Musikpsychologie : Was macht mit mir nur dieses D-Dur?
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Claudio Abbado dirigiert Mahlers 9. Symphonie in D-Dur. Die festlichste aller Tonarten verweist zugleich auf die letzten Dinge, ist ihre Paralleltonart doch das h-moll, in dem zum Beispiel das „Erbarme dich“ in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion steht. Bild: Bild Lucerne Festival
Wie wirken Klänge eigentlich – und warum tun sie das überhaupt? Das fragen sich Gelehrte seit Jahrtausenden. Die Musikpsychologie ist eine Grenzwissenschaft in mehrfacher Hinsicht.
Noch ein Räusperer, dann Stille. Der Dirigent hebt den Taktstock, und mit zwei Schlägen setzt er das Tempo. Orgel und Pauke legen los. Ihre ersten Tönen etablieren bereits die Tonart D-Dur samt dem beschwingten Dreierrhythmus: „Jauchzet! Frohlocket!“ Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ist im Advent aus Kirchen und Konzertsälen fast ebenso schwer wegzudenken wie George Michaels ebenfalls in D-Dur gehaltene Schnulze „Last Christmas“ aus Kaufhäusern und dem Dudelfunk.
So unterschiedlich beide Werke sind, bei ihrem jeweiligen Zielpublikum lösen sie ähnlich wonnige Weihnachtsgefühle aus und erfüllen damit ebenjene Aufgabe, die Musik wohl schon seit ihren Anfängen hat: nonverbalen Transport von Emotionen. „Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief, wie die Musik – eben weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und unmittelbar erkennen lässt“, befand einst Arthur Schopenhauer. Und das heißt dann ja wohl: Sprachlich verfasstes Denken kann da nicht mithalten – auch und erst recht nicht, wenn es um die Musik selbst geht.
Big Data reicht da nicht
Musik als Mysterium, das dem Intellekt allenfalls indirekt zugänglich ist? Wie will man dem mit empirischer Wissenschaft beikommen? Und doch wird genau das seit der Antike immer wieder versucht. Jüngst waren es Informatiker der University of Indiana. Für eine Mitte November in der Zeitschrift „Royal Society Open Science“ erschienene Studie luden sie sich Begleitakkorde und Texte von 90.000 Popsongs von der Website „Ultimate Guitar“ herunter, auf der Nutzer Transkriptionen ihrer Lieblingsstücke einstellen. Mit Hilfe einer linguistischen Datenbank, die gut 10.000 gängigen englischen Wörtern eine emotionale Valenz mit Werten zwischen 0 (am traurigsten) und 9 (am glücklichsten) zuordnet, konnten sie dann Korrelationen von Akkordtypen und textlich artikulierten Emotionen berechnen. Die Ergebnisse dieser Fleißarbeit lassen sich schnell zusammenfassen: Wie man schon in der Schulmusik lernt, waren Moll-Akkorde eher mit traurigen, Dur-Akkorde mit heiter gestimmten Worten verbunden. Nicht ganz so schulbuchkonform war lediglich ein weiterer statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen frohen Versen und Septakkorden, in denen einfache Dreiklänge in Dur oder Moll noch um einen vierten Ton erweitert werden. Die Studie belegt vor allem die Grenzen des „Big Data“-Ansatzes, zumindest in der Musikforschung.
Doch wie lässt sich dann dem Geheimnis auf die Schliche kommen, was uns in der Musik berührt? Das Problem beginnt schon mit der Identifizierung von Wohlklang. Was man unter schönen Harmonien oder Melodien versteht, hängt stark von der Epoche und Kultur ab, in der man lebt. Aber gibt es nicht doch ein paar gemeinsame Nenner, auf die man sich zumindest innerhalb der Tradition des Abendlandes einigen könnte?
Am Anfang war Pythagoras
Dort beschäftigen sich Gelehrte schon lange mit dem Rätsel, warum Luftschwingungen überhaupt als etwas Schönes oder gar Bedeutungstragendes wahrgenommen werden. Angefangen hat es mit Pythagoras, der sich nicht nur für rechtwinklige Dreiecke, sondern auch für das Monochord interessierte. An diesem einsaitigen Instrument mit verschiebbarem Steg soll er untersucht haben, warum manche Töne besser zusammenpassen als andere. Seine Antwort fand Pythagoras im Zahlenverhältnis der Schwingungsfrequenzen. Halbiert man etwa die Saite und verdoppelt damit die Frequenz (Zahlenverhältnis 2:1), so erklingt im Bezug auf den Grundton eine Oktave. Auch die nächsten einfachen Frequenzverhältnisse liefern mit der Quinte (3:2) und der Quarte (4:3) weitgehend reibungsfreie Klänge. Höherzahlige Verhältnisse dagegen galten von Pythagoras bis in die Renaissance als unvollkommen bis dissonant. Etwa die kleine Sekunde mit ihrem Frequenzverhältnis von 16:15.