Titel von Kunstwerken : Alles so schön unverständlich
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Sollten diese Werke einen Bullshit-Titel tragen? Ein Blick in den Louvre in Paris. Bild: dpa
Alles nur Bullshit im Kunstbetrieb? Ein psychologisches Experiment zeigt, dass Künstler bei der Betitelung ihrer Werke möglichst keine Klarheit walten lassen sollten.
Bullshit – das ist nicht nur ein Schimpfwort, sondern auch ein wissenssoziologischer Begriff. Geprägt hat ihn der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt, um zu erklären, warum es mitunter auch ganz unsinnigen Meinungen gelingt, ein breites und urteilsunfähiges Publikum zu überzeugen. Frankfurts Erklärung: Wer Unsinn verbreiten möchte, ohne sogleich gestoppt zu werden, der sollte sich der imponierenden Stilmittel des Tiefsinns bedienen.
Der Berliner Kunsthistoriker Jan von Brevern hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kürzlich eine sehr lesenswerte Kritik am Bullshit des Kunstbetriebs vorgelegt: Was müsste, so seine erste Frage, ein heutiger Kurator sagen, um das Verhalten eines notorischen Schwarzfahrers zu einem bedeutenden Kunstwerk zu erklären? Antwort: Er müsste sagen, die Verweigerung des Fahrpreises sei eine „transgressive Geste“, die einen „widerständigen Raum“ öffne, in dem neben der Wirtschaft auch „das andere“ erfahrbar werde.
Zweite Frage: Und was müsste derselbe Kurator sagen, wenn derselbe „Künstler“ keineswegs immer, sondern nur hin und wieder schwarzführe? Antwort: Dann müsste er tapfer versichern, dass sein schmächtiger Schützling nicht nur das Ungetüm des globalen Kapitalismus „herausfordere“, sondern zusätzlich auch noch die binäre Unterscheidung von Rechtstreue und Ungehorsam „dekonstruiere“. Es handelt sich also um eine Sprache, in der man jedes beliebige Verhalten in einem ganz unverbindlichen Sinne als Opposition deuten – und damit zugleich der Frage ausweichen kann, warum zwischen Kunst und Opposition nicht unterschieden wird.
Soziale Vertrauenswürdigkeit moderner Kunst
Psychologen der University of Waterloo in Kanada haben nun erstmals versucht, den Anteil einer esoterischen Sprache an der sozialen Vertrauenswürdigkeit einer bestimmten Art von moderner Kunst, nämlich der ungegenständlichen Malerei, zu bestimmen. Methodisch geht so etwas natürlich am besten, wenn es sich gar nicht um Malerei handelt.
In einer ersten Version des Experiments zeigte man daher „Kunstwerke“, die ein Computer nach dem Zufallsprinzip fabriziert hatte. Wiederum nach dem Zufallsprinzip wurde die eine Hälfte dieser objektiv unverständliche Dinge mit einem geheimnisvoll-bedeutungsschwangeren Titel (Muster: „Stummes Echo“) ausgestattet, während die anderen ohne Titel daherkamen. Die Titel selbst waren gleichfalls von einem Zufallsgenerator produziert worden, den man vorher mit esoterischem Vokabular gefüttert hatte. Es wurde also zugunsten der ersten Unverständlichkeit mit einer zweiten, nun aber immerhin sprachförmigen Unverständlichkeit geworben. Und siehe da: In Teilen der Versuchsgruppe hatte dies großen Erfolg. Bilder, die einen Titel trugen, wurden deutlich häufiger als tiefgründig („profound“) eingeschätzt als die anderen.
In einer Vorstudie hatte man alle Versuchsteilnehmer auf ihre Empfänglichkeit für Bullshit getestet. Sinnvolle und sinnlose Aussagen wurden ihnen in bunter Folge vorgelegt, und zwar mit der Bitte, die sinnlosen herauszufinden. Diejenigen, denen das nicht gelang, waren dann auch deutlich öfter bereit, auf den Trick mit den Titeln hereinzufallen.
Um sicherzugehen, dass es nun auch wirklich die Hermetik des Titels war, die das Misstrauen gegen das Computergekritzel beschwichtigte, wurden dieselben Bilder in einer zweiten Version des Experiments einem anderen Publikum vorgelegt. Anders als beim ersten Mal gab es nun aber, neben den mysteriösen Titeln, auch ganz nüchterne wie „Leinwand sieben“ oder „Studie in Schwarz“. Aber von diesen Titeln ging keinerlei Werbewirkung aus, die von ihnen begleiteten Bilder wurden nicht wohlwollender beurteilt als die namenlosen Gebilde. In einer dritten Version wurden die Computerbilder um eine Zufallsauswahl aus richtiger, aber ebenfalls ungegenständlicher Malerei ergänzt. Auch diese hochangesehenen Kunstwerke waren von den Forschern teils unverständlich, teils nüchtern und teils überhaupt nicht betitelt worden. Das Ergebnis stellt dem Urteilsvermögen des ungeschulten Publikums kein gutes Zeugnis aus. Denn auch hier war es vor allem der unverständliche Titel, der den Anfangsverdacht auf Bedeutungslosigkeit zu entkräften vermochte.
Für eine vierte und letzte Version des Experiments haben die Forscher noch einmal ausschließlich mit Aussagen gearbeitet. Ähnlich wie bei der Vorstudie über Bullshit-Empfänglichkeiten sollten die Probanden auch hier wieder sinnvolle von sinnlosen Aussagen unterscheiden, nur dass nun auch einige zufällig ausgewählte Zitate heutiger Künstler und Kuratoren zur Wahl standen. Die freche Hypothese, wer Bullshit für tiefgründig halte, dem werde womöglich auch das Geblubber der Ausstellungseröffnungen zusagen, wurde dabei vollauf bestätigt. Offenbar trägt das „International Art English“ doch sehr dazu bei, eine schwierig gewordene Kunst auch den einfach gebliebenen Gemütern nahezubringen. In einer Museumswelt, die der Politik gegenüber mit der Größe ihres Publikums punkten muss, sollte man diesen Vorzug nicht unterschätzen.