Die „Musik-Konzepte“ : Der Lärm der Zeiten
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Noten zur Literatur zur Musik: Tonbeispiel aus dem Heinz Holliger gewidmeten Heft 196/197 der „Musik-Konzepte“ Bild: et+k
Wie kann man über zeitgenössische Komponisten schon so etwas wie historische Urteile fällen? Ulrich Tadday, Herausgeber der „Musik-Konzepte“, nimmt sich zurück und will Neues bieten – weshalb der Band über Schostakowitsch noch auf sich warten lässt.
In der Musik bezeichnet die Reihe 1-2-3 eine Urformel, den stufenweisen Aufstieg vom Grundton zur Terz. Wenn sich also im Jahre 2004 die quartalsweise erscheinenden „Musik-Konzepte“ just mit der Nummer 123 von ihren Begründern und Herausgebern Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, dem Dioskuren-Paar der Avantgarde-Szene nach Adorno, verabschiedeten und fortan ausdrücklich als „Neue Folge“ weitermachten, dann mochten Wohlmeinende vielleicht sogar in dieser unschuldigen Zahl eine Chiffre für das weiterhin Beabsichtigte lesen: Weiterentwicklung in der Kontinuität, Respekt für das bisher Geleistete, aber auch Öffnung für bisher nicht Gedachtes.
Nur Wohlmeinende allerdings gab es, wie obligatorisch bei solchen Wechseln, auch damals nicht, und Ulrich Tadday, der seinerzeit frisch angetretene „Neue“, erinnert sich an Szenen demonstrativer Ignoranz in einschlägigen Zirkeln – zumal die erste von ihm verantwortete Ausgabe mit Charles Ives gleich einen Künstler würdigte, der sich einigermaßen abseits von dem bewegte, was Metzger und Riehn als „musikalischen Fortschritt“ einzugliedern gewillt waren. Als bald auch noch Edvard Grieg, Richard Strauss und schließlich gar das „Weiße Rössl“ zwischen den Softcover-Deckeln erschienen, dürfte sich die alt-dogmatische Fraktion in ihrem Grimm durchaus bestätigt gefühlt haben. Tadday, der in Bremen lehrt, blickt mittlerweile schon auf knappe zwanzig Jahre und mehr als siebzig nummerierte Ausgaben zurück; die umfangreicheren Sonderbände, einer pro Jahr, erscheinen ohne durchlaufende Zählung. Er hat sich heute weniger mit thematisch-konzeptionellen Anfechtungen als mit dem Verdacht zu befassen, dass bei der Auswahl seiner Autoren Geschlechtergerechtigkeit fehle oder postkoloniale Ignoranz walte.
„Dem Zeitgeist kann man nicht entgehen“, ist Taddays Kommentar dazu. Das gilt erst recht, wenn die Aktualität Programm einer Reihenpublikation ist und bleiben soll. Von jenen zwanzig Komponisten, die in den letzten vier Jahren Titelblätter und Inhalte der „Musik-Konzepte“ zierten – die bis dato letzten waren Heinz Holliger und Sidney Corbett –, sind zwölf noch aktiv, und der im vergangenen Jahr verstorbene Alvin Lucier weilte, als „sein“ Heft erschien, noch unter den Lebenden. Da aber Künstlereitelkeit eine der wenigen verlässlichen Konstanten dieses sensiblen Geschäfts ist, wundert es wenig, wenn die Ehre, in der Reihe gewürdigt zu werden, bisweilen mit dem Bedürfnis zusammentrifft, am eigenen Bild für die Nachwelt mitzuformen, und sei es durch Empfehlungen „passender“ Autoren oder symbolhaft aufgeladener Fotomotive für die Titelseite.
59 Seiten zu 119 Takten
Tadday hat mit der im Münchner Richard-Boorberg-Verlag angesiedelten „edition text + kritik“ und dort besonders mit dem für die Gestaltung verantwortlichen Lektor Johannes Fenner Partner, die das Projekt schon seit Jahrzehnten begleiten. Seitdem er die Herausgeberschaft übernommen hat, gibt es außerdem einen wissenschaftlichen Beirat. Die außerordentlich sorgfältig durchgesehene, grafisch attraktiv eingebettete Textgestalt fällt im heutigen Sachbuch-Verlagswesen auf. In jedem Heft findet man einen soliden und übersichtlichen Quellenapparat mit bibliographischen Hinweisen, Zeittafel und Autorennoten.