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Soziologie und Politik : Effektive Vetternwirtschaft

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Am Beispiel von Schulen in ärmeren Regionen Brasiliens ließe sich der Vorteil der Patronage zeigen, finden Soziologen. Diese schwimmende Schule befindet sich in der Region Manaus. Bild: REUTERS

Enge Beziehungen zwischen Politik und Verwaltung gelten als Problem. Unter bestimmten Bedingungen kann sie jedoch Vorteile haben, finden Soziologen. Vorausgesetzt, alle hegen gute Absichten.

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          Die politische Neutralität und Unabhängigkeit der Verwaltung gilt als wichtige Errungenschaft. Sie stellt sicher, dass die Behörden auch bei einem Wechsel der politischen Führung weiterarbeiten können und dann eben andere politische Programme umsetzen. In vielen Ländern reicht es darum bei einem Regierungswechsel aus, einige Spitzenpositionen neu zu besetzen.

          Dies gilt nicht überall: In den Vereinigten Staaten zum Beispiel war es lange üblich, nach einer Präsidentenwahl praktisch alle Stellen in der staatlichen Verwaltung neu zu vergeben – von der Generalstaatsanwältin bis zum Postboten. Da dieses Vorgehen mit einer rationalen und kontinuierlichen, auf Fachwissen beruhenden Verwaltung schwer vereinbar scheint, war sie für Max Weber der Inbegriff einer „Dilettantenverwaltung durch Beutepolitiker“.

          Wenn auch nicht in diesem Ausmaß, so werden doch in vielen Ländern nach wie vor Verwaltungsstellen nach politischen Kriterien besetzt. Karrieren in der öffentlichen Verwaltung hängen dann ab von fluktuierenden politischen Mehrheitsverhältnissen.

          Patronage als Einfallstor für Korruption?

          Insbesondere in Ländern des globalen Südens ist die politisch motivierte Ernennung und Entlassung von Beamten häufig. Die Stellenbesetzungen dienen nicht nur als Hebel, um politische Ziele umzusetzen, sondern als Ressourcen, um Loyalität zu belohnen und Weggefährten abzusichern. Doch beeinträchtigt dies die Qualität der Verwaltungsarbeit?

          Am Beispiel Brasiliens, wo politische Ernennungen, vor allem auf kommunaler Ebene, üblich sind, zeigt der Politikwissenschaftler Guillermo Toral, dass dies keineswegs der Fall sein muss. Er stützt diese These auf Ergebnisse der vergleichenden Verwaltungsforschung, die der Patronage, also einer politisch motivierten Entscheidung über Stellenbesetzungen, positive Effekte zuschreiben: So kann Patronage dazu beitragen, dass sich politische Parteien formieren und stabilisieren, und damit die Aggregation von Interessen unterstützen.

          Sie ist auch ein Mittel, um die Verwaltung zu kontrollieren und die Umsetzung politischer Ziele sicherzustellen. Patronage kann also die Handlungs- und Steuerungskapazität der Politik erhöhen.

          Dem steht der Verdacht gegenüber, dass eine politische Ernennung nicht Qualifikation, sondern Loyalität prämiert und daher ein Einfallstor für Korruption darstellt.

          Doch zwischen bürokratischer Kompetenz und persönlicher oder politischer Loyalität muss es keinen Trade-off geben. Toral argumentiert, dass vor allem dort, wo materielle Ressourcen knapp sind, die engen Beziehungen zwischen Verwaltung und Politik von Nutzen sind.

          Beispiel: Schuldirektoren in Brasilien

          In Brasilien lässt sich diese Frage am Beispiel von Schuldirektoren untersuchen: Sie werden oft von Lokalpolitikern ernannt. Die Qualität der Schulen wird mittels standardisierter Tests regelmäßig geprüft und dokumentiert. Wenn die These zuträfe, dass Beziehungen zwischen Politik und Verwaltung einen Unterschied machen, müsste sich dieser insbesondere beim Wechsel politischer Mehrheiten zeigen: Politisch ernannte Schulleiter verlieren ihre Verbindungen zur örtlichen Regierung, wenn die Bürgermeisterin, die sie ernannt hat, abgewählt wird.

          Es zeigt sich, dass sich die Qualität dieser Schulen im Vergleich zu Schulen mit einer nicht politisch ernannten Leitung verschlechtert. Dass der Wegfall von Patronagebeziehungen negative Konsequenzen hat, deutet darauf hin, dass sie nützlich sind, um die Aufgaben der Schulleitung effektiv zu erledigen. Patronage führt außerdem dazu, dass die Schulleitung unter genauerer Beobachtung steht: Nur für politisch bestellte Schulleiter macht es wohl einen Unterschied, ob ihre Schulen sichtbare Erfolge verzeichnen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie abgesetzt werden, ist dann geringer. Im Gegensatz dazu hat das gute Abschneiden unabhängiger Schulleiter weniger Einfluss auf ihren Verbleib. Eine politische Ernennung befreit also gerade nicht davon, Leistung zu erbringen.

          Diese Ergebnisse bestätigen die These, dass die Einbindung der Verwaltung in persönliche Beziehungen mit der Politik in beide Richtungen von Nutzen sein kann: Sie stellt der Verwaltung Ressourcen zur Verfügung und erlaubt der Politik mehr Kontrolle. Dies hilft insbesondere in Fällen, in denen Materialien, Finanzmittel und Legitimität knapp sind: Die Alternative zu einer politisch abhängigen, aber dadurch gut eingebundenen Verwaltung ist dann nicht eine autonome und rationale Verwaltung, sondern eine handlungsunfähige. Vorausgesetzt werden muss allerdings, dass die Politik tatsächlich ein Interesse an guten Ergebnissen hat – wenn etwa eine Wahl ansteht oder sie international Eindruck schinden möchte.

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