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Soziologie des Populismus : Wie populistisch sind wir Deutschen?

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Wie populistisch ticken die Deutschen? Einer aktuellen Studie zufolge immer weniger. Bild: Picture-Alliance

Eine Bertelsmann-Studie zeigt, dass die Deutschen immer weniger populistisch denken. Tatsächlich ist es schwer, Populismus zu messen und überhaupt zu definieren. Denn er scheint zu sinken, wenn die Regierenden ihm nachgeben.

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          Befragt man Wähler nach ihren politischen Einstellungen, dürfte die persönliche Einordnung auf der Links-Mitte-rechts-Skala den meisten noch recht leichtfallen. Würde man dagegen die gleichen Wähler fragen, ob sie populistisch sind, bekäme man wahrscheinlich die Rückfrage, was das eigentlich sei – Populismus.

          Die Bertelsmann-Stiftung hat jetzt gemeinsam mit dem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, WZB, in ihrem Populismusbarometer 2020 erfreut festgestellt, dass dieses Phänomen rückläufig sei: „nur noch 20,9 Prozent“ der Wahlberechtigten seien populistisch eingestellt. Immerhin waren es 2018 noch 32,8 Prozent. Das verrate eine „Trendwende im Meinungsklima“, denn die „politische Mitte“ habe sich in der Auseinandersetzung mit der „populistischen Versuchung“ als „lernfähig“ erwiesen.

          Populismus kann man soziologisch natürlich nicht einfach abfragen. Man muss diesen Komplex von Einstellungen indirekt bestimmen, indem man den Befragten Sätze vorlegt und dann aus dem Ausmaß der Zustimmung oder Ablehnung Schlüsse auf das Vorhandensein populistischer Überzeugungen zieht. Dass solch ein Verfahren methodisch herausfordernd ist, überrascht nicht. Populismus, so Bertelsmann und das WZB, konstituiere sich aus drei Dimensionen: „Anti-Establishment, Pro-Volkssouveränität und Anti-Pluralismus“. Wer etwa dem Satz zustimmt, die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen, hat gemäß dieser Studie schon eine Neigung zum Populismus verraten. Aber was denkt dann richtigerweise der Antipopulist? Dass Politiker nie dem Willen der Bürger folgen sollten? Oder nur gelegentlich? Wie verhielte sich diese Überzeugung zum Prinzip der repräsentativen Demokratie?

          Studie warnt vor Anschwellen des Populismus

          Auch wer Volksentscheide über wichtige politische Fragen bejaht, macht sich bei den Autoren des Populismus verdächtig. Obwohl in allen Bundesländern Volksabstimmungen gängige politische Praxis sind und alle Parteien im Bundestag, mit Ausnahme der Union, für die Erweiterung des Geltungsbereiches von Volksentscheiden auch auf Bundesebene sind.

          Oder der Satz, die Bürger in Deutschland seien sich im Prinzip einig darüber, was politisch passieren müsse. Wer dem zustimmt, steht hier dem Populismus zumindest nahe, vor dessen „Anschwellen“ die Studie warnt. Aber sind die Deutschen nicht gerade gelobt worden für ihre Einigkeit darüber, was politisch passieren müsse, um die Corona-Pandemie zu beherrschen? Machen Krisen den Populismus dann doch wieder wünschenswert?

          Der Eindruck drängt sich auf, dass die Autoren dieser Studie etwas messen, aber eigentlich nicht wirklich sagen können, was es eigentlich ist. So gilt für sie einerseits der Befund, dass der Anteil von Populisten umso größer wird, je geringer Bildung und Einkommen sind. Vollends rätselhaft erscheint dann aber andererseits ihre Aussage, „dass höher gebildete Wähler auch weiterhin dazu neigen, ihren Populismus zu übertreiben“. Müssten die nicht vielmehr ihren Antipopulismus übertreiben? Oder schlägt zu viel Bildung irgendwann wieder in den Populismus der bildungsfernen Schichten um? Außerdem erschienen populistische Einstellungen „damit weiterhin für einige Menschen sozial erwünscht“. Aber ist es nicht eine Trivialität, dass Populisten ihre Einstellungen für erwünscht halten? Genauso wie die Antipopulisten die ihrigen?

          Regierung lernfähiger als ihre Wähler

          Immerhin stellt die Studie fest, dass der von ihr gemessene Populismus in Deutschland seit November 2018 „im Abschwellen“ sei. Das habe mehrere Ursachen, so die Autoren der Studie: Bestimmt habe die „restriktive Migrationspolitik der Großen Koalition die Mobilisierungskraft der Migrations- und Flüchtlingsfrage geschwächt“. Aber war nicht genau das eine der zentralen Forderungen der Rechtspopulisten, also im Vergleich zu den Jahren 2015 und 2016 in der Frage der Aufnahme weiterer Flüchtlinge einen viel restriktiveren Regierungskurs einzuschlagen?

          Das hieße aber für das Thema dieser Studie, dass populistische Einstellungen unter den Wählern gerade dann zurückgehen, wenn die Regierung sich für eine populistische Politik entscheidet. Feiert die Studie von Bertelsmann und dem WZB mit ihrem Befund des abschwellenden Populismus dann nicht eher einen Erfolg, den sich die Rechten zuschreiben dürfen? Sie beschreiben ja selbst den Effekt dieser Wende: Das Migrationsthema mobilisiert nicht mehr, die AfD hat sich darum rechtsextrem radikalisiert.

          Populistische Einstellungen wären dann eher eine Form von zeitweisem und anlassbezogenem Protest gegen eine Politik, die sich zu weit vom politischen Willen der Mitte entfernt hat. Und keine feststehende Ideologie, wie es die Autoren der Studie annehmen. Korrigiert die Regierung sich im Sinne des Populismus, kann man auch als Wähler wieder vom Populismus abrücken. Als „lernfähig“ hätte sich damit also eher die Regierung mit ihrer Abkehr von der Willkommenskultur erwiesen und nicht die Wähler.

          Robert Vehrkamp, Wolfgang Merkel: Populismusbarometer 2020. Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern in Deutschland 2020. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, September 2020.

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