Holberg-Preis : Dem Frevel eine Sprache geben
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Am 8. Juni ist Preisverleihung: Joan Martínez Alier Bild: Joan Vidal
Ein Umweltgerechter, der die Verteilungskämpfe um unsere Ressourcen dokumentiert: Joan Martínez Alier bekommt den Holberg-Preis und steht damit in der Nachfolge von Jürgen Habermas und Martha Nussbaum.
Dass ein Ökonom einen der großen Preise für Geisteswissenschaften erhält, den internationalen Holberg-Preis, ist als Statement bereits die Preisbegründung. Tatsächlich wird Joan Martínez Alier gerade wegen seines interdisziplinären Ansatzes ausgezeichnet, mit dem er Forschungen in den Bereichen Ökologische Ökonomik, Politische Ökologie und Umweltgerechtigkeit seit Jahrzehnten betrieben hat und weiterhin betreibt. Seine Kriterien für eine gerechte Lösung von Umweltkonflikten sind nicht zuletzt dem von Amartya Sen und Martha Nussbaum entwickelten philosophischen Fähigkeitenansatz entnommen.
Letzterer steht Pate für eine nicht locker lassende Kritik, die auch Martínez Alier an etablierten Wirtschaftstheorien und traditionellen Ansätzen zu wirtschaftlichem Wachstum übt. Demnach soll das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator durch Messwerte für soziales und ökologisches Wohlergehen ersetzt werden.
Politikfähig wird diese Herangehensweise beispielsweise in dem von Martínez Alier mitgeleiteten Atlas of Environmental Justice, dem Atlas für Umweltgerechtigkeit, einer fortlaufenden digitalen Dokumentation von bislang 4000 sozialen Konflikten, bei denen es um ungleiche Verteilung von Umweltressourcen oder manifeste Umweltzerstörung geht. Jüngste Einträge in dem Frevel-Register lauten: „Aktivisten starteten eine Social-Media-Kampagne mit dem Titel ,Durst erstickt al-Hasakah‘, um die Türkei und ihre verbündeten bewaffneten Fraktionen zu drängen, die Alouk-Station wieder in Betrieb zu nehmen und die Stadt al-Hasaka mit Wasser zu versorgen.“ Oder so: „Die Metsäliike Forest Movement hat die Abholzungsaktivitäten in Aalistunturi in der finnischen Arktis blockiert und einen Schutzgebietsstatus des Gebiets gefordert.“ Oder so: „Diese interaktive Onlinekarte vereint Fallstudien, die eine Vielzahl von Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit Flughafenprojekten auf der ganzen Welt dokumentieren.“ In solchen Problemanzeigen stecken als erschließende Kraft eben auch Disziplinen der Geisteswissenschaften, ohne welche sich die Konflikte kaum kohärent als Gerechtigkeitsdefizite beschreiben ließen.
Das ist die leitende Idee auch für zwei der einflussreichsten Bücher von Martínez Alier: „Ecological Economics“ (1987) und „The Environmentalism of the Poor“ (2002). In „Ecological Economics“ wird die Geschichte der ökologischen Wirtschaftskritik von den 1860er- bis in die 1940er-Jahre nachgezeichnet. Dieses Buch des emeritierten Professors an der Autonomen Universität Barcelona gab einer anderen Tradition des ökonomischen Denkens eine Stimme und war ein maßgeblicher Beitrag zur Entwicklung der politischen Ökologie. Es steht insoweit in einer disparaten Reihe mit teilweise sehr populär gewordenen Publikationen im Anschluss an die vom Club of Rome 1972 markierten „Grenzen des Wachstums“. Das sind Bücher wie der kürzlich neu aufgelegte Ohrwurmtitel „Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ (1973) des britischen Ökonomen deutscher Herkunft Ernst F. Schumacher oder auch Politikerbestseller wie „Ein Planet wird geplündert“ (1975) von Herbert Gruhl.
Die nach dem Dichter Ludvig Baron Holberg benannte Auszeichnung für „Beiträge in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft oder Theologie“, so die den Preis finanzierende Ludvig-Holberg-Gedenkstiftung, ist mit etwa 550.000 Euro dotiert. Die Liste der bisherigen Preisträger beginnt 2004 bei Julia Kristeva und setzt sich fort über Jürgen Habermas, Ronald Dworkin, Bruno Latour bis hin zu Cass Sunstein, Martha Nussbaum. Martínez Alier wird die Ehrung am 8. Juni an der Universität Bergen entgegennehmen.