Gauck bevorwortet Heine : Komm doch rüber!
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Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch: In Heines Geburtsstadt Düsseldorf nahm Joachim Gauck am 22. November 2019 den Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2020 entgegen. Bild: EPA
Die Tage wurden trüber? Spätestens seit 1989 nicht mehr: Joachim Gauck schreibt ein Vorwort zu „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine. Dem nicht gegen jedermann toleranten Dichter erteilt der Altbundespräsident eine Lektion.
Hoffmann und Campe hat „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine zum hundertfünfundsiebzigsten Jahrestag neu aufgelegt, und zwar mit einem Vorwort von Joachim Gauck. Der ehemalige Bundespräsident sei, so lässt der Verlag wissen, mit Heine in ein Gespräch getreten und setze „dessen Verdruss an der Nationalgeschichte einen aufgeklärten Patriotismus entgegen“.
Eine Frage, die in Bezug auf solche postumen Kontaktaufnahmen selten gestellt wird: Können die Toten ein Gespräch auch verweigern? All jenen Redseligen, die unbedingt auch mit diesem oder jenem berühmten Toten plaudern wollen, kann man versichern: Nein, ein solches Recht auf Gesprächsabbruch gibt es offenbar nicht, das haben nur lebende Autoren, wie Peter Handke.
In der schön gestalteten Neuausgabe muss sich ein Klassiker der machtkritischen Literatur von einem der höchsten Repräsentanten der Staatsmacht schmücken lassen. Hätte sich niemand anderer gefunden, um das Erbe Heines auch in Bezug auf die politischen Kämpfe im Jahre 2019 anzunehmen? Wenn es schon kein Heine-Experte sein sollte, sondern eine Figur des öffentlichen Lebens, warum dann nicht Carolin Emcke, Deniz Yücel, Max Czollek oder Margarete Stokowski? Sie alle vertreten das Konzept von Autorschaft, dem Heine sich verpflichtet fühlte, besser als der Verfasser der Bücher „Winter im Sommer – Frühling im Herbst: Erinnerungen“ und „Freiheit: Ein Plädoyer“.
Auf Heines Katheder in Düsseldorf
Schon im vergangenen Jahr zitierte Gauck den wehrlosen Heine herbei, um als Gastprofessor an der nach Heine benannten Universität Düsseldorf über das Eigene und das Fremde zu referieren. In diesem Zusammenhang brachte Gauck unter anderem sein Erschrecken über einen angeblich enthemmten Multikulturalismus zum Ausdruck, der die Augen vor den Problemen der Einwanderung verschließe.
Dieses beklagte Zuviel an Toleranz steht dem Zuwenig gegenüber, das Gauck in seinem aktuellen Buch „Toleranz: einfach schwer“ im Lager der politisch Korrekten wittert, der Advokaten eines „betreuten Sprechens“. Nun ist Heine zum einen bekannt für seinen verstockten Kosmopolitismus und zum anderen für seine sehr mangelhafte Toleranz gegenüber Dingen, die ihm politisch verhasst waren. Als Stichwortgeber für Gaucks eigentümliches Toleranzverständnis erscheint er ungeeignet.
Es musste wohl so kommen: Auch im Vorwort zum „Wintermärchen“ sonntagsredet Gauck rücksichtslos über Heines Gespenst hinweg. Könnte es etwa sein, so lautet eine der in diesem einseitigen Gespräch geäußerten Fragen, dass „ein Bedürfnis“ das Leben des Dichters prägte – „das Bedürfnis, beheimatet und verbunden zu sein mit dem Vertrauen, den Menschen und Räumen, von dem damals die Romantik so herzbetörend zu singen und zu sagen weiß“? Dass ein ehemaliger Pfarrer von einem solchen Ersatzparadies singen und sagen will, leuchtet nicht nur zur Weihnachtszeit ein. Aber hat Heine denn mitgesungen? Gauck mutmaßt, dass ihn die Erfahrung ins „geistige Exil“ getrieben habe, nie Teil einer „ersehnten Communio“ geworden zu sein.
Die Republik der Zufriedenen
Eine gewisse Unzufriedenheit mit Heines Negativität macht Gauck ersichtlich zu schaffen. Manche „Urteile und Sottisen“, heißt es streng, mögen heute „als unfair oder boshaft erscheinen“. Folgt man dem Sozialpsychologen Gauck, waren das aber nur die Kompensationshandlungen eines Menschen, dessen großes Unglück es war, nicht in der heutigen Zeit gelebt zu haben, in der doch alles so viel besser ist und in der man auch stolz und froh sein kann, ein Deutscher zu sein.
Gauck bedauert es, dass er an den Toten keinen Brief schreiben kann, und schreibt ihn dann trotzdem: „Die Zensur ist abgeschafft. Die meisten Menschen sind mit der Demokratie und dem Leben in ihr zufrieden.“ Endlich kann ein Staatsoberhaupt (wenn auch nur eines außer Dienst) dem traurigen Heine dessen angeblich sehnlichsten Wunsch erfüllen: „Komm nach Hause, alter Freund.“ Das klingt doch verdächtig nach den beruhigend-verharmlosenden Worten der Göttin Hammonia, der Verkörperung Hamburgs, in Caput XXV: „Geh’ nicht zurück und bleib’ bey uns; / Hier herrschen noch Zucht und Sitte, / Und manches stille Vergnügen blüht / Auch hier, in unserer Mitte.“
Mit dem bürgerlichen Quietismus der apolitischen Politik eines Joachim Gauck, der vor allem möchte, dass sich alle doch bitte endlich vertragen, verträgt sich das Erbe Heines schlecht. Gerade in Zeiten großer politisch-moralischer Verwirrung könnte es uns etwas zu sagen haben, etwa weil Heines Werke zeigen, dass Ironie und eine klare kämpferische Haltung zu politischen Missständen sich nicht ausschließen. Und dass Haltung eben auch manchmal einen gezielten und wohlbegründeten Mangel an Toleranz gegenüber unerträglichen Äußerungen und Meinungen benötigt.