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Soziale Systeme : Dann eben durch die Wüste

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Mexikanisch-amerikanische Grenze Bild: AP

Grenzsicherung soll Migranten abhalten. Doch selbst an der amerikanisch-mexikanischen Grenze funktioniert das nicht richtig. Machen Kontrollen überhaupt Sinn?

          3 Min.

          Schlagbäume, Zäune und Stacheldraht haben Konjunktur. Sie werden benötigt, um Grenzen zu sichern, die man beinahe schon für überholt gehalten hätte. Die Forderung, angesichts der noch zu erwartenden Migrationsströme die Grenzen dichtzumachen, stößt vielerorts auf Zustimmung. Die politische Diskussion dreht sich bereits um die feinen und die eher groben Details der Grenzsicherung: Wie ist sie mit Grundrechten vereinbar? Auf wen darf notfalls geschossen werden? Doch selten wird die Frage gestellt, ob man Migration mit Zäunen überhaupt kontrollieren und steuern kann. Zu einleuchtend ist die Vorstellung, dass keiner mehr hineinkommt, wenn der Eingang einmal verschlossen ist.

          Der Blick auf Erfahrungen anderer Länder und Regionen zeigt jedoch, dass es ganz so einfach wohl nicht ist. Auch in den Vereinigten Staaten ist Migration, die vor allem wirtschaftlich motiviert ist, seit langem ein Thema. Insbesondere die illegale Einwanderung aus Mexiko hat seit den 1980er Jahren zu Versuchen geführt, die Grenze zum südlichen Nachbarn besser zu sichern. Die Finanzmittel der US Border Patrol wurden seitdem massiv erhöht und weite Teile der Grenze durch Zäune und Mauern so abgeriegelt, dass an ein Durchkommen nicht mehr zu denken ist. Die Zahl illegaler Grenzübertritte ist seitdem gesunken, und dennoch unternommene Versuche enden häufig mit einer Festnahme.

          95 bis 98 Prozent der Migranten erreichen ihr Ziel

          Es sind aber Zweifel angebracht, ob die Politik der geschlossenen Grenze erfolgreich ist. Die Ergebnisse einer Studie von Migrationsforschern um Douglas Massey von der Princeton University zeigen, dass die Grenzsicherung nicht nur zahlreiche Nebenfolgen hat, sondern auch keinen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der Migrationszahlen leistet. Die Analysen basieren auf detaillierten Daten, die das „Mexican Migration Project“ seit 1982 in mehr als 20.000 mexikanischen Haushalten erhoben hat.

          Die Daten belegen den bereits bekannten Sachverhalt, dass die verschärfte Grenzsicherung zu einer geographischen Verlagerung der unautorisierten Übertritte geführt hat. Statt in der Nähe größerer Städte versuchten Migranten nun vermehrt, über schwer zugängliche Wüstengebiete in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Außerdem nahmen sie vermehrt die Dienste von Schleusern in Anspruch, die sich der Nachfrage entsprechend verteuerten: von 700 Dollar im Jahr 1970 auf 2700 Dollar im Jahr 2010. Beide Entwicklungen lassen sich als Effekte der gestiegenen Haushaltsmittel der US Border Patrol erklären: Sie folgen recht genau deren Wachstum. Das gilt auch für die Zahl derer, die beim Versuch, die Grenze zu überwinden, ihr Leben ließen: Sie stieg deutlich an, obwohl insgesamt weniger Personen einen Übertritt überhaupt versuchten.

          Doch obwohl die Zahl der illegalen Grenzübertritte sank, blieb die Erfolgswahrscheinlichkeit hoch: Trotz stark ausgeweiteter Kontrollen erreichten noch 95 bis 98 Prozent der Migranten ihr Ziel - wenn auch erst nach mehreren Versuchen. Es gelang also nicht wirklich, illegale Grenzübertritte zu verhindern. Erfolgreich war die neue Grenzpolitik vor allem darin, die Versuche kostspieliger und riskanter zu machen. Dies hatte jedoch eine ungewollte Nebenfolge: Die illegal Eingereisten blieben nun häufiger in den Vereinigten Staaten, statt irgendwann wieder nach Mexiko zurückzukehren. Ein erneuter Versuch erschien ihnen mittlerweile zu riskant. Außerdem mussten sie mehr verdienen, um die Kosten wieder hereinzuholen. Die über lange Jahre weitverbreitete „zirkuläre“ Migration wurde damit zu einer Einbahnstraße. So wuchs die Population der undokumentierten Einwanderer, obwohl die Zahl der Neuankömmlinge sank.

          Migration langfristig steuern

          Dass die Zahl der Migranten immer wieder schwankte, hat verschiedene Gründe, vor allem natürlich die wirtschaftlichen Bedingungen im Ziel- und Herkunftsland. Wenn die Löhne in Amerika verhältnismäßig hoch, in Mexiko aber niedrig sind, steigen die Migrantenzahlen beziehungsweise die Zahl versuchter Grenzübertritte. Dass dennoch ein langfristiger Trend nach unten zu beobachten ist, liegt nach Massey und Kollegen jedoch keineswegs an der effizienten Grenzüberwachung. Hier wirke sich vielmehr aus, dass die mexikanische Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten im Durchschnitt älter geworden ist. Die Entscheidung zur illegalen Wanderung fällt jungen Menschen aber sehr viel leichter, so dass der „riskante“ Personenkreis über die Jahre immer kleiner geworden ist. Nicht die Politik, sondern die Demographie war also entscheidend für die sinkenden Zahlen.

          Das Beispiel der Südgrenze der Vereinigten von Amerika ist in zweierlei Hinsicht lehrreich: Zum einen zeigt es, dass scheinbar einfache Lösungen ungewollte Nebenfolgen haben können, die von jenen, die für sie werben, gerne unterschlagen werden. Zum anderen lohnt es sich, bei Erfolgsmeldungen genauer hinzuschauen. Der Beweis, dass eine restriktive Grenzpolitik überhaupt geeignet ist, Migration langfristig zu steuern, steht jedoch noch aus.

          Massey, Douglas S.; Durand, Jorge; Pren, Karen A. (2016): „Why border enforcement backfired.“ In: American Journal of Sociology 121 (5), S. 1557-1600.

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