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100 Jahre „Frau ohne Schatten“ : Was soll das bedeuten?

Asozialer Wohnungsbau: Eine Betonkiste stellte Jens Kilian 2003 für Christof Nels Inszenierung der „Frau ohne Schatten“ auf die Drehbühne der Oper Frankfurt. Bild: Thilo Beu

Alfred Roller erfand für Richard Strauss das Bühnenbildtheater: Eine Frankfurter Tagung zum hundertsten Geburtstag der Oper „Die Frau ohne Schatten“.

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          Eine Frau ohne Schatten – wie kann das funktionieren? Immer wieder kam die Diskussion auf der Tagung des Freien Deutschen Hochstifts über die vor hundert Jahren uraufgeführte vierte gemeinsame Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auf die Frage der bühnentechnischen Realisierbarkeit des titelgebenden inhaltlichen Motivs zurück, als hinge das Gelingen des mit einer überreichen Symbolik und einer problematischen Geschlechterpolitik beladenen Stücks davon ab, dass man das wirklich sehen kann: eine Frau, die keinen Schatten wirft.

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Im Podiumsgespräch von Mitschöpfern der Frankfurter Inszenierung Christof Nels von 2003 konnte man die Frage dann dem Bühnenbildner Jens Kilian vorlegen. Dieser reagierte verwundert und entzauberte die fixe Idee der Wissenschaftler mit Berliner Schnauze. Wie man „mit einem Scheinwerfer Schatten wegleuchtet“, könne man auch bei Illusionskünstlern wie David Copperfield studieren. „Klick, weg ist es.“

          Die Wiener Uraufführung war kein Erfolg. Eine Erklärung besagt, die Bühnenwerkstätten der früheren Hofoper seien überfordert gewesen. Hofmannsthal wies die Verantwortung dem Bühnenbildner Alfred Roller zu, den Gustav Mahler 1903 als Vorstand des Ausstattungswesens engagiert hatte. „Das Phantastische ist ihm halt nicht gegeben“, schrieb Hofmannsthal 1920 an Strauss; Roller habe ihn „mit den Zaubersachen ganz im Stich gelassen“. Roller gestand Hofmannsthal zu, dass er die „Zaubereien“ nicht als „Hauptsache“ erkannt habe. Aus dieser Selbstkritik hört man freilich einen ironischen Vorbehalt heraus: Roller mochte glauben, das Werk vielleicht doch besser verstanden zu haben als der Dichter.

          Roller hat Anerkennung als Mitschöpfer verdient

          Als Regisseur der Uraufführung firmierte Hans Breuer, der selbst als Tenor auf der Bühne gestanden hatte. Typischerweise wurde damals ein pensionierter Sänger als Regisseur beschäftigt, dessen Aufgabe sich darin erschöpfte, seinen Kollegen ihre Plätze auf der Bühne anzuweisen. Roller, dem sich gleich drei Vorträge widmeten, war dagegen für die gesamte szenische Einrichtung verantwortlich. Man muss Roller, den Hofmannsthal und Strauss ständig über den Fortgang der Arbeit an Text und Musik unterrichteten, als den dritten Schöpfer der „Frau ohne Schatten“ ansprechen. In Entsprechung zum Regietheater unserer Zeit kann man für Rollers Epoche von einem Bühnenbildtheater reden.

          Die Kulissenbühne wollte er in einen Bedeutungsraum verwandeln: Auf diese Formel brachte Christiane Mühlegger-Henhapel vom Wiener Theatermuseum Rollers Arbeit für Mahler und Max Reinhardt. Seine Mittel waren Licht und Farbe; er verzichtete auf die statische Rampenbeleuchtung, um mit dem Seitenlicht expressive Stimmungen zu erzeugen. Im zweiten Akt der „Frau ohne Schatten“ wird der in einer lustlosen Ehe gefangenen Färberin das Trugbild eines jugendlichen Liebhabers zugeführt. Nach Rollers Vorstellung sollte der Zuschauer die Verwandlung als Blendwerk erkennen, ohne selbst mitgetäuscht zu werden.

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