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Georges Bataille : Der Haufen wird größer, auch wenn gar nichts abgeladen wird

  • -Aktualisiert am

Für Georges Bataille war alle ungenutzte Energie eine verlorene Gelegenheit zur Verschwendung: Rennen der Formel 1 um den Großen Preis der USA am 24. Oktober 2021 in Austin, Texas. Bild: firo Sportphoto/dppi

Schon Georges Bataille kannte den Begriff der Grenzen des Wachstums: Er sah einen Energieüberschuss, den es durch vorsorgliche Vergeudung unschädlich zu machen galt.

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          Und plötzlich sind die Klassiker von gestern die Kuriositäten unserer Tage. Zumindest gilt das für den Denker der Selbstverschwendung, für Georges Bataille (1897 bis 1962). Wer erinnert sich noch daran, dass Bataille einmal den unabdingbaren Referenzpunkt für Autoren wie Michel Foucault, Jacques Derrida oder Jean Baudrillard bildete? Vorbei. Mittlerweile mag man sich fragen, was man anfangen soll mit jemandem, der Ende des Zweiten Weltkriegs ernstlich schrieb: „Angesichts dessen, dass Ihr über alle Ressourcen der Erde verfügt, solltet ihr sie aktiv verausgaben, aus keinem anderen Grund als dem Verlangen, das ihr danach habt“, nicht ohne hinzuzufügen: „Diese Sprache ist eindeutig die einzig seriöse.“ Sätze wie Fremdkörper in einer Gegenwart, die ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit steht.

          Man könnte sie ein wenig leichter abtun, wenn man in ihrem Verfasser wirklich bloß die Kontrastfigur zu allen aktuellen Ambitionen sehen müsste. Doch Bataille verwendet an einer Schlüsselstelle seines berühmtesten Buches, „Der verfemte Teil“, ausgerechnet den ultimativen Nachhaltigkeitsbegriff „Grenzen des Wachstums“, und zwar schon 1949, mehr als zwanzig Jahre vor dem gleichnamigen Bericht des Club of Rome. Nur bezeichnet „Grenzen des Wachstums“ bei ihm keine Ressourcenknappheit, die einmal eintreten wird, sondern einen Energieüberschuss, der immer schon eingetreten ist. Dieser ist mindestens ebenso beunruhigend wie aus heutiger Perspektive der übermäßige Ressourcenverbrauch.

          Ein Zuviel an Energie

          Wenn es Probleme gibt, so ergeben sie sich laut Bataille niemals aus einem Zuwenig, sondern aus einem Zuviel an Energie: „Der lebende Organismus erhält, dank des Kräftespiels der Energie auf der Erdoberfläche, grundsätzlich mehr Energie, als zur Erhaltung des Lebens notwendig ist. [. . .] Wenn das System jedoch nicht mehr wachsen und der Energieüberschuss nicht gänzlich vom Wachstum absorbiert werden kann, muss er notwendig ohne Gewinn verloren gehen und verschwendet werden.“

          Das Problem wäre also einmal nicht die Verschwendung endlicher Ressourcen, sondern die Endlichkeit der produktiven Ressourcenverwendung. An die Grenzen des Wachstums würde nicht der gelangen, dessen Ressourcen erschöpft sind, sondern der sich außerstande sieht, sie zu erschöpfen. Und dies würde nicht in näherer oder ferner Zukunft geschehen, wenn der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglühte. Es geschähe andauernd: „Nur durch die Unmöglichkeit, das Wachstum fortzusetzen, gewinnt schließlich die Verschwendung den Vorrang. Der eigentliche Überschuss beginnt also immer erst dann, wenn das Wachstum des Individuums oder der Gruppe auf Grenzen stößt.“ An den Grenzen des Wachstums wäre nicht ein für alle Mal mit der Verschwendung Schluss – sie würden vielmehr deren Startschuss bilden.

          Aus dem Blickpunkt Batailles kann man nicht nicht verschwenden, doch kann man sich, immerhin, aussuchen, auf welche Art und Weise man dies tut. Und man sollte sogar extra vergeuden, denn wer in Unkenntnis der Notwendigkeit lebt, sich zu verausgaben, wird erst recht auf zerstörerische Weise von ihr heimgesucht. Wer nicht freiwillig verschwendet, der wird unfreiwillig verschwendet werden: „Denn wenn wir nicht die Kraft haben, die überschüssige Energie selbst zu zerstören, die anderweitig nicht benutzt werden kann, so zerstört sie uns wie ein unzähmbares Tier, und wir selbst sind das Opfer der unvermeidlichen Explosion.“

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