Moskau würdigt Leon Theremin : Kein Staat ohne seine Wanzen
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Wie ein Dirigent nur mit präzisen Handgesten Musik erzeugen: Der Erfinder Leon Theremin führt in New York vor, wie das von ihm entwickelte Instrument Termenvox funktioniert. Bild: akg-images / TT News Agency / SV
Kleines vaterländisches Kriegsgerät: Eine Moskauer Gedenkfeier für den Erfinder, Musiker und Meisterspion Leon Theremin, der eigentlich nur ohne Anstrengung Töne erzeugen wollte.
Leon Theremin, der russische Musiker und Physiker, dessen kontaktlos zu spielendes Instrument Termenvox die Musik revolutionierte, diente seiner Heimat auch als Superspion und revolutionierte die Überwachungstechnologie. Im sowjetischen GULag, wo der verdiente Mann kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs landete, erfand er eine Passivwanze, die ganz ohne Strom auskam und später vom britischen Geheimdienst weiterentwickelt wurde. Theremin (1896 bis 1993), der sich russisch Lew Termen nannte, erhielt zum Lohn den Stalinpreis und die Freiheit. Am Moskauer Konservatorium, wo der diplomierte Cellist nach seiner Entlassung tätig war, widmete das Zentrum für zeitgenössische Musik ihm unlängst zur Hundertjahrfeier der Erfindung des Termenvox ein Konzert mit Vorträgen. Termen, der sich trotz seiner adligen Herkunft die Sache der Bolschewiken zu eigen machte und das Vertrauen Lenins genoss, sei ein ehrlicher Wissenschaftler gewesen, versicherte der Leiter des Zentrums, Wladimir Tarnopolski, der dem betagten Pionier in den achtziger Jahren mehrfach begegnet war. Termens Sache sei der technische Fortschritt gewesen, für Ideologie habe er sich kaum interessiert.
Die Termenvox-Spielerin Olesja Rostowskaja erinnerte daran, dass man den sphärischen Klang des ersten elektronischen Instruments heute vor allem aus satirischen oder unheimlichen Filmen kennt, wo er, wie bei den „Simpsons“ oder in der Hannibal-Lecter-Serie, eine groteske bis psychedelische Atmosphäre beschwört. Dabei hatte Termen musikalisch hohe Ansprüche. In seinem letzten Interview bekannte der Dreiundneunzigjährige, als Cellisten habe ihn der Kontrast zwischen der Leichtigkeit der Musik und der mechanischen Mühsal ihrer Hervorbringung geplagt, er habe wie ein Orchesterdirigent Töne allein durch Körpergesten erzeugen wollen. Dann spielte im Rachmaninow-Saal das Studio für neue Musik die neoklassische Phantasie für Termenvox, Oboe, Streichquartett und Klavier von Bohuslav Martinů, die im Kriegsjahr 1944 entstand, als Termen im Gefängnis saß. Die Solistin Rostowskaja traktierte dabei die Luft um ihr Instrument so virtuos und präzis, dass man in der fein vibrierenden Gesangslinie wirklich eine Art aeolisches Cello zu hören meinte.
Das Termenvox funktioniert nach dem Prinzip eines elektromagnetischen Abstandssensors, das Termen während des Ersten Weltkriegs als Mitarbeiter des Labors für Elektrische Oszillation bei Petersburg entdeckte und auch für Alarmanlagen nutzte. Der technik- und musikbegeisterte Lenin, dem das Multitalent 1922 im Kreml seine Erfindungen präsentierte, intonierte auf dem Termenvox eine Glinka-Melodie und schickte das Genie als Botschafter seines Elektrifizierungsplans GOELRO durchs weite rückständige Land. Damals hoffte Termen auch auf das Unsterblichmachen durch Einfrieren von Körpern. Er wollte sich selbst nach seinem Tod einfrieren lassen und war entsetzt, als Lenins Leichnam nicht tiefgekühlt, sondern einbalsamiert wurde.