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Dieter Henrich über Fichte : Zweite Gedanken zur allerersten Einsicht

  • -Aktualisiert am

Geprägtes Selbstverhältnis: 1990, als Dieter Henrich in der edition suhrkamp den Band „Eine Republik Deutschland. Reflexionen auf dem Weg aus der deutschen Teilung“ publizierte, gab die DDR zum Gedenken an den Autor der „Reden an die deutsche Nation“ eine von Heinz Hoyer entworfene silberne Sondermünze zum Nennwert von 10 Mark aus. Bild: Wikimedia Commons

Es muss ein ursprüngliches Bewusstsein geben, für das Subjekt und Objekt nicht getrennt sind: Diesen Gedanken entwickelte Dieter Henrich aus seiner Lektüre Fichtes. Nach langer Auseinandersetzung mit der analytischen Philosophie ist Henrich jetzt auf „Fichtes ursprüngliche Einsicht“ zurückgekommen.

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          Bis in die sechziger Jahre war die deutsche Nachkriegsphilosophie geprägt durch zwei Fatalitäten: den fortwährenden Einfluss der schon im Dritten Reich staatstragenden Theorie Martin Heideggers einerseits, den nie verwundenen Aderlass, den sie durch die Ausbürgerung des Wiener Kreises und verwandter Denkrichtungen erlitten hatte, andererseits. Die von den Wienern praktizierte „logische Analyse der Sprache“ hatte tiefe Risse im Mauerwerk der Großtheorien hinterlassen, und der Berufung auf höhere Wahrheiten war der Kredit ausgegangen. Nur mühsam ließ sich eine zunächst sogenannte sprachanalytische Philosophie im Deutschen wieder ansiedeln.

          Kurioserweise kam sie mit dem Heideggerianismus in einer Überzeugung überein: Mit der neuzeitlichen Zentrierung des Subjekts als des hellen Punktes, aus dem Licht auf alle Wissensbereiche strahlt, habe das abendländische Denken seinen Verblendungsgipfel erstiegen. Die einen sprachen von einer Selbstermächtigung der Subjektivität, die zu einer Seinsvergessenheit geführt habe. Die anderen sahen im seiner selbst gewissen Subjekt ein Epiphänomen übergreifender Sozialsysteme von weit größerer Erklärungskraft: in letzter Instanz der Sprache als des Verständigungsmediums, in dem allein sich Geltungsansprüche erheben und rechtfertigen lassen.

          Das war die Geburtsstunde der Heidelberger Schule. Sie ist das Werk eines bedeutenden Philosophen, der keiner der genannten Strömungen zuzurechnen ist: Dieter Henrich. Am ehesten ließe sich sagen, dass er dem Heideggerianismus ebenso wie der Sprachanalyse mit einem ganz neu gewendeten Argument aus den Beständen des deutschen Frühidealismus vor Augen führte, wie unabgegolten das subjektphilosophische Erbe in Wahrheit ist. An Fichtes „ursprünglicher Einsicht“ hat Henrich schlagend belegt, dass die Geistesgeschichte entscheidende Einsichten nicht etwa vergessen, sondern überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Fichtes Einsicht aber war zeitlos aktuell.

          Die Wendung weg von der Sprache

          Die Lehre ist inzwischen angekommen: Man spricht mit Blick auf die „Sprachanalyse“, die mit dem „Linguistic turn“ (der Wendung zur Sprache) begonnen hatte, inzwischen von einem „Turn away from language“ (einer Abkehr von der Sprachfixierung). Ermutigt wird er – empirisch – durch Einsichten der Hirnforschung, welche die Bedeutung der Sprache bei der Entwicklung des Bewusstseins, ja selbst kognitiver Fähigkeiten überschätzt findet.

          René Descartes, „der Anreger der subjektiven Betrachtung und damit der Vater der neueren Philosophie“ (wie ihn Schopenhauer gelegentlich nennt), hatte vor 400 Jahren starke Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass uns psychische Zustände ungleich besser bekannt („notiores“) sind als physische. Er hatte sogar erwogen, ob das Licht aus dem hellen Punkt unseres Selbstbewusstseins nicht geeignet sei, unsere Wissensansprüche insgesamt zu begründen. Johann Gottlieb Fichte war ihm gefolgt. Auch er meinte, aus dem unumstößlich gewissen Satz „Ich denke“ viele, wenn nicht alle übrigen wahren Sätze „ableiten“ zu können. Darum nannte Fichte sein System „Wissenschaftslehre“. Den Ausdruck „déduire“ hatte Descartes zuerst vorgeschlagen.

          Obwohl auch diese Ableitungsfantasie keineswegs auf dem Schrottplatz der Philosophiegeschichte gelandet ist (in unserer Zeit haben sie Philosophen wie Roderick Chisholm und Laurence BonJour in abgespeckter Version erneuert), war es nicht dies, was Henrich in einem fünfzigseitigen Aufsatz von 1966 als „Fichtes ursprüngliche Einsicht“ identifiziert hat. Fichte sei vielmehr der Erste gewesen, der sich nicht (nur) um die Grundsatz-Eignung des „Ich denke“, sondern um dessen innere Verfasstheit, um die Aufklärung von dessen Struktur Gedanken gemacht habe. Was Descartes, Leibniz und Kant dazu vorgeschlagen hatten, bestand in paradoxen Formulierungen. Sollte es überhaupt eine konsistente Beschreibung von Selbstbewusstsein geben, bedurfte diese einer ganz anderen Hintergrundtheorie.

          Nachgedanken in sechsfachem Umfang

          Henrichs Text erschien 1967 als Monographie separat im Verlag Vittorio Klostermann. Inzwischen hat ihr Autor die Schrift aus dem Abstand eines guten halben Jahrhunderts mit „Nachgedanken“ versehen, die ihren ursprünglichen Umfang versechsfacht haben (Dieter Henrich: „Dies Ich, das viel besagt“. Fichtes Einsicht nachdenken. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2019. XIV, 306 S., br., 39,– ). Sie erläutern nicht nur den gedanklichen und historischen Kontext, aus dem das Büchlein hervorgegangen ist, sondern setzen es auch in Beziehung zu zeitgenössischen und auffällig parallelen Entwicklungen der analytischen Philosophie.

          Seit den siebziger Jahren – nämlich seit Henrichs Harvard-Vorlesungen aus dem Jahr 1973 über den deutschen Idealismus („Between Kant and Hegel“) – hat sich ein zarter Dialog entwickelt, der in unseren Tagen an Volumen zugelegt hat. Immer häufiger verweisen jüngere Publikationen der Philosophie des Geistes auf Einsichten der Heidelberger Schule. Ja, inzwischen erscheinen fast im Wochentakt in englischsprachigen Fachzeitschriften Artikel zu dem von Henrich angestoßenen Thema.

          Worum geht es? Keineswegs um ein abgetanes Problem der Ideengeschichte, sondern um ein Menschheitsinteresse. „Tat twam asi“, „das bist du“, heißt es im Veda (ein Wort, das übrigens mit unserem „Wissen“ verwandt ist). „Tua res agitur“, sagt ein sprichwörtlich gewordenes Horaz-Zitat: „Es geht um dich.“ Niemand bestreitet aber, dass der Kern dessen, was uns betrifft, im Bewusstsein unserer selbst berührt wird. Das ist jedenfalls die bittere Einsicht des sterbenden Beamten Ivan Iljitsch (in Tolstois Erzählung). Er liest in Kiesewetters „Logik“ den Syllogismus: „Alle Menschen sind sterblich. – Cäsar ist ein Mensch. – Also ist Cäsar sterblich.“ Das leuchtet ihm ein wie nichts Früheres in seinem Beamtenberuf. Aber plötzlich schnellt der Schlusssatz aus seiner behaglichen Drittpersönlichkeit und zeigt mit dem Finger auf ihn: „Cäsar, das bist ja du.“ Die logische Evidenz wird existentiell.

          Der unbemerkte Spiegel

          Fichte hat zuerst – nämlich in Absetzung von allen seinen Vorgängern – bemerkt, dass Selbstbewusstsein nicht als Bewusstsein eines Gegenstandes gefasst werden kann, der sich dann – wie ein zunächst verkanntes Spiegelbild – als „ich selbst“ herausstellt. Solch eine gegenständliche Selbstidentifikation misslang zum Beispiel dem Wiener Physiker Ernst Mach, der nach einer ermüdenden Reise in einen Bus einstieg und im gleichen Rhythmus, mit dem er die Stufen hinaufkletterte, sich gegenüber einen Mann einsteigen sah, bei dessen Anblick ihm der Gedanke durch den Kopf schoss: „Mein Gott, was ist das für ein heruntergekommener Schulmeister, der da einsteigt!“ Er hatte den Spiegel nicht bemerkt, der ihm gegenüber hing.

          Ebenso wenig kann ich lernen, dass von mir die Rede ist, indem ich die Wahrheit von Sätzen prüfe, in denen etwas über mich gesagt wird. Mag sein, dass ich der Schulbub bin (oder war), von dem der folgende Satz spricht: „Der dreizehnjährige Wuppertaler Schüler Manfred Frank ging jeden freien Nachmittag in einen Wülfrather Steinbruch klettern.“ Ich könnte die Wahrheit dieses Satzes bestätigt finden, ohne zu wissen, dass er von mir handelt. Diese Möglichkeit lässt sich mit einiger Phantasie leicht in eine realistische Erzählung verwandeln. Beide Male – in der Rede über Gegenstände und über Aussagen – musste ich, um die Aussage erfolgreich auf mich zu beziehen, ein Bewusstsein meiner selbst vorher schon haben.

          Denn im Spiegelbild – die Philosophen sprechen von Reflexion – erkenne ich mich nicht ursprünglich, sondern erkenne ich mich allenfalls wieder. Zu diesem Wiedererkennen bedarf es eines Kriteriums, das dem spiegelnden Subjekt die Identifikation des Spiegelbildes mit ihm selbst nicht nur ermöglicht, sondern zur Gewissheit macht. Dies Kriterium besitzen bewusste Subjekte offenbar, und zwar – woran Fichte nicht im Traum dachte – nicht nur Menschen, sondern, wie Gordon Gallups „recognition test“ mit Schimpansen vor Spiegeln gezeigt hat, auch einige Tiere. Worin besteht es?

          Ungetrennt, ewig einig

          Fichtes Antwort: Es muss ein unmittelbares Bewusstsein geben. Damit meinte er ein solches, in dem gar keine Trennung eines gespiegelten und eines sich spiegelnden Ichs, also keinerlei Subjekt-Objekt-Spaltung auftritt. Gäbe es nämlich eine solche Trennung, dann würde das Subjekt sich seiner selbst nur vermittels einer spiegelartigen Selbstvergegenständlichung bewusst; das bewussthabende Subjekt wäre aber selbst unbewusst und müsste sich erneut vergegenständlichen – und so immer fort ins Unendliche. Am Ende der Kette bliebe ein seiner selbst unbewusstes Bewusstsein stehen, und die ganze vorangehende Reihe immer höherstufiger Reflexionen stürzte ins Unbewusste.

          Nun haben wir aber ein „Bewusstsein unseres Bewusstseins“, also (im Wortsinne) ein Selbstbewusstsein, fährt Fichte fort. Wir haben Selbstbewusstsein, das heißt: Die eben gegebene Erklärung ist falsch. (Henrich nennt sie die Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins.) Also muss eine andere Erklärung wahr sein – denn Phänomene sind nicht wahr oder falsch, nur Theorien können das sein. Hier ist die Alternativtheorie: Es muss ein unmittelbares, ein aller Reflexion zuvorkommendes Bewusstsein geben, in dem Subjekt und Objekt schlechterdings eins und dasselbe sind.

          Was soll das heißen? Im Selbstbewusstsein kommt es zu einer Kenntnis, die sich nicht eintragen lässt in eine Karte der objektiven, der gegenständlichen Welt. Das wird Henrichs Einsicht zu einer notorischen Widersacherin materialistischer Selbstbewusstseins-Erklärungen machen. Aber auch dies Problem ist von der analytischen Philosophie erkannt.

          Wie ist einer Fledermaus zumute?

          Henrich zitiert Thomas Nagel, der seinen berühmten Aufsatz „Wie ist einer Fledermaus zumute?“ mit den Worten begonnen hatte: „Bewusstsein ist es, was Leib-Seele-Theorien wirklich vertrackt macht.“ Er hätte auch Joe Levine anführen können, der von einer „Erklärungslücke“ der exakten Wissenschaften hinsichtlich des Selbstbewusstseins gesprochen hat. Der berühmteste Einwand gegen den modischen Materialismus der Hirnforscher stammt von Saul Kripke: An der Identität etwa eines Schmerzes mit einem Schmerzbewusstsein kann ich – die Einsicht des Descartes – nicht zweifeln, wohl aber an der behaupteten Identität eines Schmerzes mit einem bestimmten Typ von Hirnfaserreizungen.

          Im Selbstbewusstsein haben wir es mit einem Bewusstsein eigener Art zu tun. Gewöhnliches Bewusstsein ist gegenstandsbezogen (gegenständlich, sagten Fichtes Zeitgenossen; intentional sagt man seit Brentano, Husserl und Searle). Subjekt und Objekt des Bewusstseins fallen auseinander. Nicht so bei der Kenntnis vom Subjekt des Bewusstseins. Man nennt es darum auch intransitiv. Das spaltet sich nämlich nicht in eine zweistellige Beziehung, sondern schaut gleichsam, auf den äußeren Gegenstand – transitiv – gerichtet, durch sich hindurch.

          Kein „innerer“ Gegenstand steht ihm im Wege oder trübt seinen Blick nach draußen. Darum hatte schon Kant vom „Ich“ als einer „an Inhalt gänzlich leeren Vorstellung“ gesprochen. Diese seine „Transparenz“, die in ungezählten Aufsätzen der letzten zwanzig Jahre von der englischsprachigen Bewusstseinsphilosophie diskutiert, problematisiert und immer wieder anerkannt worden ist, ist eben von der Art, dass sie sich nicht ignoriert. Sie ist sich ihrer Transparenz bewusst.

          Das sich setzende Ich

          Fichte hatte das 1797 nur scheinbar kompliziert in die Wendung gepresst: Das Ich setze nicht einfach sich selbst, sondern setze sich „als sich setzend“. Er wollte sagen: Es vollzieht sich etwas, das sich dieses seines Vollzugs mit bewusst ist, ohne ihn dadurch zu einem unabhängigen Objekt zu vergegenständlichen. Etwas später, etwa von 1801 an – und das ist ein Hauptaugenmerk von Henrichs Nachgedanken –, ersetzt Fichte die Formel durch die andere: Das Ich sei eine Kraft, „der ein Auge eingesetzt ist“. Jetzt, meinte Fichte, nämlich mit der Ersetzung der Tätigkeit durch ein passives Geschehnis, sei jede Gefahr einer unendlichen Verwicklung aufeinander gerichteter Bewusstseine gebannt.

          Man könnte meinen, Fichtes Als-Formulierung sei eine höchst überflüssige, weil typisch philosophische Verklausulierung des schlichten Sachverhalts, dass ich mir eben meiner und nicht eines anderen bewusst bin. Mit solchen Sperenzien werde sich die analytische Philosophie nicht lange aufhalten. Das Gegenteil ist der Fall. Kaum eine Formel hat sich seit der subjektphilosophischen Wende der vormals sprachanalytischen Philosophie als so erfolgreich erwiesen wie die vom Verweis auf mich als mich. Hector-Neri Castañeda war der Erste, der sie in einem mit Henrichs Fichte-Schrift genau gleichzeitig erschienenen Aufsatz über Eigentümlichkeiten gewisser Indexwörter (wie „er/sie sich selbst“ mit einem Kognitionsverb dazwischen) aufgriff – in späteren Aufsätzen unter ausdrücklicher Würdigung von Fichtes und Henrichs Vorläufer- beziehungsweise Weggenossenschaft.

          Henrich erzählt von seiner ersten Begegnung mit Castañeda in Oxford und von späteren, immer freundschaftlicheren Diskussionen in Heidelberg. Die markantesten Spuren seiner Lehrtätigkeit in Harvard sieht Henrich in einigen Publikationen seines damaligen Hörers Robert Nozick. „Ist er doch“, schreibt Henrich, „der einzige, der seine Untersuchung zum Thema ,Selbstbewusstsein‘ ausdrücklich an Fichte angeschlossen hat. Dem liegt freilich nicht eine Lektüre von Texten Fichtes, sondern nur die Kenntnis der Begründung von Fichtes zweiter Formel zugrunde: ,Das Ich setzt sich selbst als sich setzend.‘ Nozick fand in ihr sowohl das Problem, so wie es ihm selbst vor Augen stand, wie auch die Skizze zu seiner Lösung prägnant angezeigt.“ 1981 hat Nozick geschrieben: „Kein wissender Selbstbezug lässt sich aus der bloßen Selbstbeziehung eines Gegenstandes erklären.“

          Ich ist kein anderer

          Wäre es dann nicht überhaupt besser, die Benutzung von Reflexpronomina bei der Rede von Selbstbewusstsein zu vermeiden? Diesen Vorschlag hatte Henrich wenige Jahre nach seinem Fichte-Büchlein erwogen: in einem vielbeachteten und auch bald ins Englische übersetzten Aufsatz „Selbstbewusstsein. Kritische Einleitung in eine Theorie“. Die jetzt publizierten Nachgedanken halten an der alten Überzeugung fest, dass sich Selbstbewusstsein allein oder doch wesentlich als eine wissende und „ich“-dominierte Selbstbeziehung artikuliert.

          Damit hat sich Henrich – wie Fichte selbst – allein auf die kognitiv anspruchsvolle Variante von Selbstbewusstsein als einem Gedanken eingelassen. Sind wir uns aber nicht auch – und viel alltäglicher – nichtbegrifflicher psychischer Zustände bewusst (Sinneseindrücke, Gefühle und so weiter), die ganz anonym (also „ich“-los) ablaufen und keine Gedanken realisieren? So, wenn ich nach einer Operation aus einer tiefen Ohnmacht erwache und rieche: „Es stinkt“ und fühle: „Es tut weh“ – ohne noch mich oder sonst etwas identifiziert zu haben. Und kommt nicht Denken in solchem feldartig strukturierten Bewusstsein allererst auf?

          Sodann: Obwohl er betont, nur Fichtes ursprüngliche Einsicht herausarbeiten und ihre Aktualität im Konzert der Stimmen heutiger Bewusstseinstheorie zur Geltung bringen zu wollen, lässt Henrich sich doch zu ausführlichen Interpretationen der Ich-Theorie im Gesamtsystem Fichtes und dessen Stellung etwa zu Kant hinreißen. Aber dieses System ist mit seinem Autor gestorben, und seine Revitalisierung wird Analytiker von der Lektüre von Henrichs Nachgedanken abschrecken. Schon Zeitgenossen haben gegen Fichtes Absolutierung des Ichs protestiert, so sein Schulfreund Friedrich Weißhuhn: Er sei sich wohl eines Ichs bewusst. Als „einem Mann aus dem Volke“ erschließe sich ihm dies aber nur als das seinige, nicht als ein absolutes. Kant selbst distanzierte sich von dem spekulativ überfrachteten Unterfangen. Und die philosophische Frühromantik ging einen anderen Weg als Fichte.

          Aber warum darf man aus der Hinterlassenschaft eines Philosophen nicht eine bleibende Einsicht heraussieben, selbst wenn sie zu weiteren Fragen drängt? Henrich jedenfalls ist das ganz Unwahrscheinliche gelungen: Er hat einen Dialog gestiftet zwischen „analytischer“ und „kontinentaler“ Philosophie, über ein Kernthema der letzteren.

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