Die Stars der Akademie : Wie wird man als Wissenschaftler prominent?
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Er war der Höhepunkt einer jeden Kosmologen-Konferenz: Stephen Hawking (1942-2018) rockt den Tagungssaal. Bild: AFP
Warum sind manche Wissenschaftler prominenter als andere? Eine Studie zeigt, das wissenschaftliche Berühmtheit häufig nicht allein auf aktuellen Leistungen beruht. Aber worauf dann?
Zum Programm größerer wissenschaftlicher Tagungen gehören oft Vorträge prominenter Vertreter des Faches. Sie müssen sich nicht im Vorfeld bewerben, sondern werden eingeladen und in der Regel auch finanziell entschädigt. Schon die Ankündigung macht oft deutlich, dass es weniger um das Thema geht, weil der Titel entweder bis kurz vor dem Termin offenbleibt oder mit dem eines kürzlich veröffentlichten Werks identisch ist. Wenn die Veranstaltung trotzdem gut besucht ist, beruht das wohl weniger auf der Erwartung neuer Erkenntnisse, sondern auf dem Interesse an der Person.
Ähnlich wie die Film-, Buch- und Musikbranche, die Politik oder der Sport produziert auch die Wissenschaft „Celebrities“, deren Ausstrahlung die Grenzen des eigenen Werkes, ihres Fachgebiets oder sogar ihrer Disziplin übersteigen kann. Die subjektive – man könnte auch sagen: magische – Dimension der „Academic Celebrity“ veranschaulichen Peter Walsh und David Lehmann in ihrer Analyse des Phänomens anhand einer öffentlichen Vorlesung in Cambridge: Eine nicht namentlich genannte, bekannte Vertreterin postkolonialer und poststrukturalistischer Theorie hält einen gut besuchten, aber weitgehend unverständlichen Vortrag. Der Applaus nach dem Vortrag ist deutlich spärlicher als zu Beginn, die Kommentierung beginnt mit einem zögerlichen „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, …“ und dauert weniger als eine Minute. Und doch drängeln sich anschließend viele Interessierte um das Podium, um wenigstens einen Blick auf die Prominenz zu erhaschen.
Der Matthäus-Effekt in Reinkultur
Die Episode zeigt, dass wissenschaftliche Prominenz nicht allein oder vielleicht gar nicht auf aktueller Leistung beruht. Eine „Celebrity“, so formulierte in den 1960er Jahren der amerikanische Historiker Daniel Boorstin, „is a person who is known for his well-knownness“. Entsprechend heißt es von der zeitgenössischen Medienprominenz oft, sie sei „famous for being famous“. Nun gibt es natürlich immer irgendeinen Grund, warum jemand prominent geworden ist. So stützt sich akademische Prominenz oft auf ein Werk, das den Ruhm begründet. Doch dies ist nur der Ausgangspunkt für eine Karriere, die sich wesentlich auf den von Robert K. Merton als „Matthäus-Effekt“ bezeichneten Sachverhalt stützt, dass einmal erreichte Reputation die Aufmerksamkeit für spätere Leistungen erhöht. In der Konkurrenz um die knappe Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit reüssiert die Prominenz durch den erworbenen Startvorteil in disproportionaler Weise.
Dieser Mechanismus wissenschaftlichen Reputationserwerbs weist auf eine wichtige Grundlage akademischer Prominenz hin: die Zitationskonkurrenz. Von anderen zitiert zu werden gilt als entscheidender Indikator wissenschaftlicher Leistung. Zitationen sind aber nicht nur ungleich, sondern sehr einseitig verteilt. Der am häufigsten zitierte Sozialwissenschaftler, der Brite Anthony Giddens, kommt zum Beispiel auf sechsmal mehr Zitationen als Fachkollegen, die immerhin noch unter den „Top 20“ der Soziologie firmieren. Das hat mit einer weiteren Dimension von Prominenz zu tun, die vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften von Bedeutung ist: Zitationen dienen hier nicht nur dazu, auf konkrete Forschungsergebnisse zu verweisen, sondern die eigene Position „auszuflaggen“. Von diesem „name dropping“ profitieren aber bevorzugt diejenigen, deren Namen geeignet sind, um die Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen Gemeinschaft zu signalisieren.
Wer gerne berühmt wäre, forscht an Allgemeinheiten
Akademische Prominenz wird also im Rahmen der alltäglichen Routinen wissenschaftlichen Publizierens erzeugt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften beruht sie deshalb vor allem auf Polyvalenz: Wer sich mit allgemeinen Sachverhalten beschäftigt, ist aus vielen Spezialgebieten heraus zitierbar. Und Zitationen verbessern nicht nur die Chancen auf dem akademischen Arbeitsmarkt, sondern insbesondere die Aussichten auf eine Stelle ohne Lehr- und Verwaltungspflichten – entscheidende Voraussetzung dafür, Gelegenheiten zur Darstellung und Mehrung der eigenen Prominenz auch wahrnehmen zu können.
Einmal erreicht, ist Prominenz kaum mehr von künftigen Leistungen abhängig: Häufig wird sie von Verfahren der Prüfung und Bewährung, wie zum Beispiel einem kritischen Peer Review, verschont. Und auch ihre Anwesenheit bei akademischen Ritualen wird – siehe oben – unabhängig vom wissenschaftlichen Ertrag gewürdigt. Eine „Celebrity“ ist eben nicht einfach eine erfolgreiche Forscherpersönlichkeit, sondern sie repräsentiert das Fach – und damit etwas, was von allen Beteiligten geschätzt wird.