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Soziale Systeme : Der doppelte Liberalismus

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Magaret Thatcher und Ronald Reagan – diese zwei haben den Neoliberalismus voran getrieben. Bild: AFP

Der gerne unterstellte Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Multikulturalismus existiert womöglich nicht. Doch das könnte sich bald ändern.

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          Wahlergebnisse und Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die Konjunktur des Rechtspopulismus in einigen Ländern wieder abflaut. Doch haben sich rechtspopulistische Parteien in zahlreichen Parteiensystemen etabliert. Erklärungen des Erfolgs populistischer Politik führen sie auf ökonomische, aber auch auf kulturelle Ursachen zurück: die negativen Folgen wirtschaftlicher Globalisierung für bestimmte Gruppen und Regionen sowie kulturelle Veränderungen, die manchen zu weit gehen. In beiderlei Hinsicht lässt sich das, wogegen aufbegehrt wird, als Öffnung beschreiben: für den weltweiten Handel und wirtschaftliche Konkurrenz sowie für neue gesellschaftliche Gruppen und deren Inklusionsansprüche. Als Gegenstrategien werden Protektionismus beziehungsweise soziale und kulturelle Abschließung propagiert.

          Man kann diese Konstellation so beschreiben, dass der Populismus sich gegen zwei politische Strömungen richtet: gegen den Neoliberalismus und gegen den Multikulturalismus – und damit gegen einen „doppelten Liberalismus“, der wirtschaftlich wie kulturell für eine Offenheit steht, die von Rechtspopulisten als „Globalismus“ attackiert wird. Doch gibt es überhaupt eine derartige Allianz liberaler Positionen, die nach Meinung der Rechtspopulisten in vielen Ländern zu viel Einfluss gewonnen hat? In einem aktuellen Beitrag meldet der Berner Soziologe Christian Joppke Zweifel an dieser Interpretation an und argumentiert, dass der Populismus mit seinen vermeintlichen Gegnern mehr gemeinsam hat, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

          Rechtspopulistische Parteien passen nicht zu ihren Wählern

          Die Idee eines „doppelten Liberalismus“ unterstellt, dass der ökonomische Neoliberalismus mit multikulturellen Ideen nicht nur kompatibel ist, sondern diese unterstützt. Der politische Erfolg des neoliberalen Programms, das vor allem von den Regierungen Thatchers und Reagans vorangetrieben wurde, basierte allerdings eher auf (neo-)konservativen Ideen. Die Fixierung auf wirtschaftliche Effizienz führe allenfalls dazu, dass Diskriminierung oder Exklusion im „Wettbewerbsstaat“ keinen Platz mehr hatte. Der Neoliberalismus hat eine kosmopolitische Grundhaltung, die ihn mit einem „dünnen“ Multikulturalismus, der unter dem Titel der „Diversität“ mittlerweile auch von vielen internationalen Organisationen gepflegt wird, kompatibel macht. Das hat aber wenig zu tun mit einer Politik, die auf die Unterstützung von Minderheiten und soziale Gerechtigkeit setzten würde. Der Neoliberalismus kann Argumente liefern für universalistische Gleichbehandlung, nicht aber für die partikularistische Förderung einzelner Gruppen.

          Es sollte deshalb nicht überraschen, dass der Populismus allenfalls regional, zum Beispiel in linkspopulistischen Strömungen Südeuropas, den Neoliberalismus bekämpft. Vielmehr waren und sind viele rechtspopulistische Parteien eher wirtschaftsliberal orientiert: nicht nur in Deutschland, wo die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als europakritische, aber marktgläubige Partei begann, sondern zum Beispiel auch in der Schweiz, wo die Schweizerische Volkspartei (SVP) den Marktliberalismus verteidigt. Das ist insofern erstaunlich, als diese Parteien oft von Gruppen gewählt werden, die von den ökonomischen Folgen neoliberaler Politik besonders negativ betroffen sind: Diese hat den Abstand zwischen den Mittel- und Oberschichten deutlich vergrößert und damit einen relativen Abstieg der Mittelschicht befördert.

          Ähnlich stellt sich die Situation gegenüber dem Multikulturalismus dar. Zwar werden Rechtspopulisten nicht müde, ihre Ablehnung von „Multikulti“ zu betonen, doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst „Identitätspolitik“ betreiben. Der „Ethnopluralismus“, der zum Beispiel von Vordenkern der Neuen Rechten vertreten wird, will kulturelle Vielfalt nicht abschaffen, sondern argumentiert, dass „Einheimische“ ebenso geschützt werden müssten wie Minderheiten. Alle dürfen unterschiedlich sein und bleiben – wenn sie nur „zu Hause“ bleiben.

          Es gibt also weder eine klare Positionierung des Rechtspopulismus gegen Neoliberalismus und Multikulturalismus noch eine Allianz zwischen diesen Ideologien. Bislang ist der „doppelte Liberalismus“ eine Kon-struktion, die Rechtspopulisten als Feindbild und Sozialwissenschaftlern als Erklärungsformel dient. Dies, so Joppke, könnte sich freilich ändern, wenn „Die Grünen“ ihren Weg zu einer „Bündnispartei“ linker und rechter Milieus erfolgreich fortsetzten: Damit könnte ein doppelter Liberalismus Wirklichkeit werden, an dem sich der Rechtspopulismus noch lange abarbeiten könnte.

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