Sozialforschung zu Immigration : Die Ressourcen der Toleranz
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Am Palacio de Cibeles in Madrid, dem Sitz der Stadtverwaltung, prangte im September 2015 ein Plakat, dass Geflüchtete willkommen hieß. Bild: AFP
Gebildete Bürger sehen die Zuwanderung nach Deutschland gelassener, das haben Sozialwissenschaftler herausgefunden. Aber liegt das an ihrer Bildung?
Im „Sozio-oekonomischen Panel“ (SOEP), der umfassendsten Langzeitbefragung der deutschen Bevölkerung, werden die Interviewten auch nach ihren Besorgnissen befragt. Unter anderem sollen sie angeben, ob sie sich „über die Zuwanderung nach Deutschland“ Sorgen machen. Das SOEP stellt diese Frage seit 1999, man kann also prüfen, ob sich an dieser Sorge im Laufe der Jahre etwas ändert. Ändern sich die Einstellungen einer Person, lässt sich hier untersuchen, ob das etwas mit einer wichtigen Veränderung in ihrem Leben zu tun hat. Der Münchner Soziologe Fabian Kratz verweist dazu auf den Befund, dass ein höherer Bildungsabschluss generell mit einer positiveren Einstellung gegenüber Zuwanderung verbunden ist. Kratz fragt aber weiter, wie stabil dieser Zusammenhang im Lebensverlauf ist. Gibt es „kritische Ereignisse“, die an dieser Bejahung von Zuwanderung etwas ändern?
Kratz geht es hier darum, die sogenannte „education as buffer“-Hypothese zu testen. Bildung fungiert danach als eine Art Puffer gegenüber negativen Einstellungen zu Zuwanderung und Migration: Man erkenne dann eher die langfristigen Vorteile der Zuwanderung, bilde sich differenziertere Urteile und vermeide Pauschalisierungen. Daneben steht allerdings die Hypothese, negative Einstellungen gegenüber Zuwanderern hätten weniger mit Bildung zu tun als mit Konflikten und Konkurrenz. Anders formuliert: Wer aufgrund seiner durch Bildung erreichten Stellung am Arbeitsmarkt oder bei der persönlichen Wohnsituation privilegiert ist, erlebt Migranten nicht als Konkurrenten, fühlt sich also von Zuwanderung gar nicht betroffen und kann sich daher seine positiven Einstellungen ihr gegenüber leisten.
Was sagen die Daten? Kratz konzentriert sich auf die Frage, wie sich arbeitsmarktbezogene Veränderungen im Leben junger Menschen auf ihre Einstellungen auswirken. Sein Befund: Der Berufseinstieg verstärke die Sorgen gegenüber Zuwanderung, aber nur unter Befragten mit niedrigen oder mittleren Bildungsabschlüssen. Der gleiche Effekt zeige sich bei Arbeitslosigkeit sowie der Familiengründung. Beides führe dazu, dass sich die Befragten mehr Sorgen machten über die Zuwanderung. Aber wieder nur jene mit niedrigerer Bildung. Kratz folgert also aus seinen Beobachtungen, dass Bildung tatsächlich einen „Puffer“ zwischen solchen Lebensereignissen und den Sorgen gegenüber der Zuwanderung bilde – und dass solche kritischen Ereignisse die bildungsbedingten Unterschiede in der Wahrnehmung von Migration noch verstärkten.
Folgerungen auf einem schwachen Fundament
Aber was sagen diese Befunde aus? Die Ausgangsfrage lautete schlicht, ob sich jemand „Sorgen mache“ über die Zuwanderung. Doch ist damit schon eine Ablehnung intendiert? Kann man sich nicht Sorgen machen, auch wenn man der Zuwanderung grundsätzlich positiv gegenübersteht? Das Problem dieser Studie ist, dass ihre abhängige Variable, also die Sorgen über Zuwanderung, schwach formuliert ist. Es brauchte schon eine direkte Frage nach Bejahung oder Ablehnung von Migration.
Damit stehen die Schlussfolgerungen von Kratz auf einem schwachen Fundament. Er verzichtet auch völlig auf eine Überprüfung seiner Thesen anhand weiterer Fragen zu Herkunft, Muttersprache und Staatsangehörigkeit der Befragten, die das SOEP ja enthält. Stattdessen konzentriert sich seine Studie ganz auf den Bildungsstand, kann sich dabei aber nicht entscheiden, ob Bildung nun einen irgendwie mentalen „Puffer“ darstellt zwischen dem Befragten und den bei anderen einstellungsverändernden Ereignissen oder ob es nicht vielmehr um einen „Schutzschild“ geht. Personen mit einem niedrigen Bildungslevel stünden in einem direkten „Wettbewerb“ mit Immigranten, schreibt Kratz. Menschen mit höherem Bildungsstand stünden in diesem Wettbewerb, weil sie über eine „Fülle an Ressourcen“ verfügen, die „sie und ihre Familie davor beschützen“.
Es wäre dann gar nicht die Bildung, die hier einen Puffer darstellt, sondern die Ressourcen – Dinge wie Einkommen, Rücklagen, Wohnungsgröße, Attraktivität des Wohnviertels. Sie schützen vor möglichen konfliktbehafteten Kontakten mit den Migranten. Es geht also nicht nur um den Arbeitsmarkt: Auch wer nur über eine geringe Bildung verfügt und ein Kind bekommt, macht sich anschließend mehr Sorgen über die Zuwanderung – was nicht überraschen kann, wenn man auf dem Wohnungsmarkt mit zugewanderten Großfamilien konkurriert. Wer hier seine Sorgen äußert, spricht also eigentlich mehr von der Sorge um sich selbst als von der Zuwanderung als einem gesellschaftlichen Vorgang.
Fabian Kratz: Do Concerns about Immigration Change after Adolescence? How Education and Critical Life Events Affect Concerns about Immigration, in: European Sociological Review, 2021, 1.17.