
Frauen in Naturwissenschaften : Das Problem sind nicht die Besten
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Mehr Mut: Nach wie vor trauen sich viele Frauen kein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium zu. Bild: dpa
Physik, Informatik, Ingenieurwissenschaften – in diesen Fächern herrscht nach wie vor Frauenmangel. Interessanterweise variiert die Geschlechterverteilung aber deutlich, sobald nach Leistung differenziert wird. Daraus folgt ein Problem.
Man kann die Menschen, ganz grob zumindest, in zwei Gruppen einteilen: Diejenigen, die, von wiederkehrenden Selbstzweifeln geplagt, fortwährend mit den eigenen Fähigkeiten hadern. Und diejenigen, die sich und ihr Potential als so überragend einschätzen, dass kritische Rückmeldungen sie gar nicht erst erreichen. Psychologische Studien haben gezeigt, dass sich in ersterer Gruppe insbesondere die Kompetenten, in letzterer die Inkompetenten tummeln. Man kennt dieses Doppel-Phänomen heute unter den Namen „Hochstaplersyndrom“ sowie „Dunning-Kruger-Effekt“.
Dass eine Variante dieser komplexen Verschränkung von Leistungsfähigkeit und Selbstvertrauen auch eine Rolle spielen könnte, wenn es darum geht, das Geschlechter-Ungleichgewicht in den Fächern Physik, Ingenieurswissenschaften und Informatik (englisch: „Pecs“) zu erklären, legt nun eine in „Science“ vorgestellte Studie nahe. Amerikanische Sozialwissenschaftler analysierten dafür Daten, die über einen Zeitraum von sieben Jahren von knapp 6000 repräsentativ ausgewählten amerikanischen Schülern ab der neunten Klasse gesammelt wurden. Diese Daten erlaubten, die Entwicklung der Berufswünsche und Leistungen während der Schul- und Studienzeit zu untersuchen. Nach der Highschool verfolgten demnach viermal so viele Jungs den Plan, einen Pecs-Abschluss zu machen, wie Mädchen.
Unter weniger Talentierten überwiegen Männer deutlich
Interessanterweise variierte die Geschlechterverteilung aber deutlich, sobald die Gruppe der Pecs-Interessenten in Leistungsgruppen differenziert wurde. Unter den weniger Talentierten überwogen die Männer deutlich, unter den Leistungsstarken gab es dagegen beinah eine Gleichverteilung. Noch eindrücklicher waren die Daten bei denjenigen Schülern, die nach der Highschool zunächst keinen Pecs-Abschluss angestrebt hatten: Unter diesen war die Wahrscheinlichkeit der ein Prozent leistungsschwächsten Männer dafür, später doch ein Pecs-Studium zu absolvieren, so hoch wie die der besten ein Prozent Frauen.
Typische Erkläransätze für die Scheu von Frauen vor Pecs-Fächern – andere vorherrschende Talente etwa oder andere Schwerpunktsetzungen in der Lebensplanung – erklärten den Wissenschaftlern zufolge nur die beobachtete Geschlechterdifferenz in der Gruppe der Leistungsstarken, nicht aber den größeren Unterschied bei den Leistungsschwächeren.
Dieses Ergebnis sei relevant für die Beurteilung der Geschlechtergerechtigkeit im Lauf der Karrierestufen: Selbst ein konstant bleibender Frauenanteil im Laufe der wissenschaftlichen Karriere bedeute demnach vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Leistungsverteilungen keine gleichberechtigte Behandlung.
Ein anderes Fazit der Autoren mag überraschend klingen: Wer mehr Frauen in Pecs-Fächer locken will, der sollte sich nicht nur an die Besten, sondern auch an die durchschnittlich Begabten richten, denn bei Letzteren sei das Frauendefizit am größten. Und noch ein weiteres Problem nennt die Studie: Da sich nur die talentiertesten Frauen in Pecs-Fächern durchsetzen, fehlten den weniger begabten Frauen schlicht die Vorbilder.