Forschung und Lüge : Wo die Saboteure der Wahrheit sich austoben
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Ist das Vertrauen in die Arbeit der Forscher wirklich so groß, wie das Wissenschaftsbarometer ausweist? Anlass für Zweifel finden sich viele, in Politik und Institutionen. Wie die Wissenschaftskultur im Land beschädigt wird.
Die Pandemie macht mürbe, aber die Mehrheiten stehen. Unsere Wissenschaftskultur lebt und ist gesund. So könnte man deuten, was das neue Wissenschaftsbarometer vor wenigen Tagen an Umfrageergebnissen lieferte: ein ungebrochen „hohes Vertrauen“ in der Bevölkerung und einen noch deutlicheren „Wunsch nach Politikberatung durch die Wissenschaft“. 61 Prozent vertrauen eher oder voll und ganz dem wissenschaftlichen Personal, sogar 69 Prozent meinen, politische Entscheidungen sollten generell auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Die repräsentative Befragung durch „Wissenschaft im Dialog“ hätte kaum deutlicher ausfallen können. Corona, das haben schon die Erhebungen im vorigen Jahr gezeigt, hat Wissenschaft und Gesellschaft näher zusammenrücken lassen. In den Jahren vor der Pandemie lag das Vertrauen deutlich darunter, bei um die fünfzig Prozent.
Die Krise schweißt also zusammen. Das wäre die rundweg positive Deutung — und würde in der Bewältigung auch anderer großer Krisen helfen. Eine andere, weniger schmeichelhafte Interpretation des Vertrauensbelegs ergibt sich durch Analogieschluss mit einer aktuellen soziologischen Studie der TU Chemnitz und der Universität Konstanz zu den Ursachen der oft beklagten Abweichungen bei den Impfquoten-Angaben: Viele lügen in Umfragen, weil sie das Impfen – im Wissenschaftsbarometer die wissenschaftliche Evidenz – als normativ erwünscht erkannt haben.
Der bekannte Effekt der „sozialen Erwünschtheit“ muss kein Schaden sein, jedenfalls nicht, wenn es um die Krisenbewältigung geht. Demokratietheoretisch aber ist die Sache haarig, wie der mögliche künftige Finanzminister Christian Lindner in seinen jüngsten Selbstverstrickungen zum Thema Corona-Maßnahmen eindrücklich gezeigt hat. In den „Tagesthemen“ behauptete er am Abend noch steif und fest, die Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen sei wissenschaftlich nicht belegt. Tags darauf entschuldigte er sich für seine „missverständlichen“ Antworten.
Das war selbstverständlich kein zufälliger Anflug von „Querdenken“. Lindner, aber längst nicht nur er, hat im Corona-Wahlkampf immer wieder öffentlich mit teils populistischen, antiwissenschaftlichen Andeutungen gespielt. Das Kalkül ist leicht zu durchschauen: Zum sozial Erwünschten gehört in vielen Milieus inzwischen auch eine überzogene Wissenschaftsskepsis, die dort als sogenannter gesunder Menschenverstand getarnt wird. Nicht alles für bare Münze nehmen, was an vermeintlicher Evidenz geliefert wird, das ist bis heute in der Klimadebatte eines der argumentativen Muster, um „wissenschaftlichen Mainstream“ zu desavouieren. Hier allerdings mit abnehmender Wirkung. Das Risiko des sozial erwünschten – jedoch heimlich unverstandenen oder geleugneten – Wissens besteht also vor allem in seinem politischen Missbrauch.
Wem das nutzt, lässt sich ebenfalls im aktuellen Wissenschaftsbarometer nachverfolgen: Der Behauptung „Wissenschaftler sagen uns nicht alles, was sie über das Coronavirus wissen“ stimmten immerhin 39 Prozent eher oder voll und ganz zu, 26 Prozent pflichteten außerdem der Aussage bei, dass aus der Pandemie eine größere Sache gemacht werde, als diese eigentlich sei. Hinter dem plakativen Vertrauen verbirgt sich in der Umfrage also auch ein beachtliches Misstrauen gegen das wissenschaftliche Establishment. Dieser Eindruck wird mit dem deutlichen Votum zur Politikberatung noch verstärkt: Lediglich 29 Prozent in der Bevölkerung äußern im Wissenschaftsbarometer, eine Vorstellung davon zu haben, wie die für die Beratung der Politik zuständigen Wissenschaftler ausgewählt werden, und nur 43 Prozent haben eine Ahnung vom Einfluss der Forschenden auf die politischen Entscheidungen generell.
Das Mindeste also, was über die Wissenschaftskultur im Land zu sagen wäre, ist: dass sie noch lange nicht transparent genug ist. Damit bietet sie ein ideales Einfallstor für alle, die Zweifel an den hehren Absichten einer evidenzbasierten Wissenschaftsberatung säen.
Worum aber geht es dabei: Evidenz? Um eine intellektuelle Währung, die man wohl immer noch als schwer vermittelbar bezeichnen muss. In keiner Legislaturperiode vorher sind vom Staat und seinen Institutionen so viele Kommunikationsinitiativen gestartet worden, wissenschaftliche Evidenzen an die Frau und den Mann zu bringen, wie in der nun auslaufenden. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek selbst hat einiges getan, den Konnex zwischen Politik, Gesellschaft und Forschungsbetrieb zu stärken. Ein Anfang. Wie viel davon bleibt oder fortgesetzt wird, steht in den Sternen.
Die Wissenschaftskultur gehört aber keineswegs nur an den Schnittflächen der Kommunikation gestützt. Jürgen Windeler, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), eine der maßgeblichen Institutionen für evidenzbasierte Medizin in Deutschland, hat soeben in einem Brandbrief im Fachorgan Observer Gesundheit eine in weiten Teilen „traurige Forschungskultur“ beklagt sowie den fehlenden politischen Willen für mehr Evidenz in der klinischen Forschung. Die Politik sei durchdrungen von einer „desinteressierten Grundhaltung“. Sie belügt sich gewissermaßen selbst, indem sie Wissenschaftsfreundlichkeit nur vorgibt. Förderprogramme seien in der Pandemie im Sande verlaufen, aussagekräftige kontrollierte Patientenversuche gab es nur im Ausland, und die Datenschutzregeln seien am Erkenntnisziel vorbei ausgestaltet worden. Ein eindrückliches Zeugnis, wie Politik die Wissenschaftskultur im Land nachhaltig zu schädigen versteht.