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Suche nach Energiequellen : Das gebändigte Sonnenfeuer

Das Areal des internationalen Fusionsreaktors ITER in Cadarache, Südfrankreich im April. Zu erkennen sind die Montagehalle und die daran anschließende Reaktorhalle (rechts). Bild: ITER

Hat die Kernfusion das Potential, den wachsenden Energiehunger zu stillen? Über die realistischen Chancen einer großartigen Technologie.

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          Die Vorstellung klingt großartig: Könnte man das Sonnenfeuer im Labor bändigen, stünde der Menschheit eine unerschöpfliche Energiequelle zur Verfügung. Denn schon ein Gramm des Brennstoffs – die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium – würde in einem künftigen Fusionsreaktor so viel Energie liefern, wie bei der Verbrennung von elf Tonnen Kohle entsteht, ohne dabei aber das Klima durch den Ausstoß von Kohlendioxid zu belasten. Auch über eine Verknappung des Brennmaterials müsste man sich keine großen Sorgen machen. Kann doch Deuterium aus Wasser und Tritium über eine Kernreaktion aus Lithium gewonnen werden. Da keine langlebigen radioaktiven Abfälle entstünden, entfiele das Problem der Endlagerung. Auch ein Unfall wie bei einem Kernkraftwerk wäre bei einem Fusionskraftwerk nicht zu befürchten.

          Manfred Lindinger
          Redakteur im Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Ist die Kernfusion also die ideale Energiequelle, um den ungebremsten Energiehunger der Welt langfristig zu stillen und das Weltklima vor dem Kollaps zu bewahren? Dieser Frage stellten sich am Dienstagnachmittag Constantin Häfner vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Aachen, Peter Leibinger vom Hochtechnologieunternehmen Trumpf, Vinod Philip von Siemens Energy und Tim Luce, wissenschaftlicher Leiter des im Bau befindlichen internationalen Fusionsreaktors im südfranzösischen Cadarche.

          Experimentelle Plattformen für Verwirklichung der Kernfusion

          „Die Planungs- und Konstruktionsphase liegt hinter uns, nun bauen wir alle Komponenten von ITER zusammen“, sagte Luce. Doch die Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure der sieben ITER-Partner – Europa, Japan, Russland, China, Südkorea, Indien und die USA – stehen unter Zeitdruck. Bereits in vier Jahren soll in Cadarche erstmals ein Wasserstoffplasma zünden und im Jahr 2035 Tritium- und Deuteriumkerne miteinander verschmelzen. „ITER wird dann 500 Megawatt an Fusionsenergie liefern, das Zehnfache der aufgewendeten Heizleistung.“ Peak ist überzeugt, dass das gewaltige Vorhaben gelingt. Laborversuche wie JET in Culham, eine kleinere Version von ITER, hätten gezeigt, dass die Kernfusion funktioniert. Mit ITER wäre der Weg frei für ein Fusionskraftwerk. Dies könnte dann Mitte des Jahrhunderts in Betrieb gehen und sauberen Strom liefern.

          Podiumsdiskussion: „Advances in Fusion Technology – Breakthrough in unlimited  Energy Generation mit Constantin Häfner, Peter Leibinger, Melanie Windridge, Tim Luce, Vinod Philip (von links nach rechts)
          Podiumsdiskussion: „Advances in Fusion Technology – Breakthrough in unlimited Energy Generation mit Constantin Häfner, Peter Leibinger, Melanie Windridge, Tim Luce, Vinod Philip (von links nach rechts) : Bild: Janine Schmitz/photothek.de

          Doch wie groß ist die Chance für die Kernfusion überhaupt auf dem Energiemarkt? Für Vinod Philip hängt das vor allem davon ab, wie schnell es Fusionskraftwerke geben wird. „Das Zeitfenster ist vergleichsweise klein, denn der Ausbau der Erneuerbaren schreitet rasant voran.“ Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA sagt in ihrem jüngsten Bericht für die Kernenergie, worunter auch die Kernfusion fällt, bis 2050 einen Anteil am Energiemarkt von zehn bis zwölf Prozent voraus. Für Windkraft und Sonnenenergie sind es sogar bis zu 80 Prozent. „Wir brauchen die Kernfusion also möglichst schnell.“

          „Wir haben jetzt die experimentellen Plattformen, um die Kernfusion zu verwirklichen“, bestätigte Constantin Häfner. Für ihn ist es jetzt vor allem eine Ingenieursaufgabe. Große Potentiale sieht Peter Leibinger in der Laser- oder Trägheitsfusion, ein Verfahren, das vor allem in Amerika vorangetrieben wird, der sich mittlerweile aber auch einige Start-ups in Europa verschrieben haben. Während bei einem Tokamak wie ITER das extrem heiße Fusionsplasma mit starken Magneten eingeschlossen und so lange verdichtet wird, bis es zündet, nutzt man bei der Trägheitsfusion besonders intensive Laserstrahlen. Diese werden auf eine kleine Kapsel mit dem Fusionsbrennstoff im Inneren fokussiert, bis Atomkerne verschmelzen. „Wir haben inzwischen die kompakten und effizienten Laser, um die Trägheitsfusion zu verwirklichen“, so Leibinger. Viele Start-ups werben damit, bis 2030 diese Technologie nutzbar gemacht zu haben. Die entsprechenden Anlagen könnten wesentlich kleiner gebaut werden als ITER, vor allem günstiger, so die Hoffnung Leibingers. „Für die jungen Firmen könnte sich die Laserfusion rechnen.“ Sowohl Trumpf als auch Siemens Energy sind seit Kurzem Partner des Münchner Start-ups „Marvel-Fusion“. Dort will man statt Deuterium- und Tritiumkernen schwerere Borkerne mit Protonen fusionieren – was eine große Herausforderung ist. „Die zur Laserfusion notwendige Laserleistung ist so groß wie die Leistung aller industriell gefertigten Laser zusammengenommen“, verdeutlicht Leibinger die Anforderungen.

          Er zieht Parallelen zur Entwicklung der EUV-Lithographie, mit der heutzutage die nanometergroßen Transistoren auf modernen Computerchips hergestellt werden. Zwanzig Jahre habe es gedauert, bis entsprechende Plasmalaser entwickelt wurden, die die erforderlichen intensiven ultravioletten Strahlen mit Wellenlängen von 13,5 Nanometern erzeugen. „Selbst wenn die Laserversuche nicht klappen, hätten wir eine Menge dabei gelernt.“

          Blick ins Innere des Torus vom ITER. Zusehen ist eine der gewaltigen supraleitenden Magnetspulen des 40 mal 40 Meter großen Fusionsreaktors, aufgenommen am 9. Juni.
          Blick ins Innere des Torus vom ITER. Zusehen ist eine der gewaltigen supraleitenden Magnetspulen des 40 mal 40 Meter großen Fusionsreaktors, aufgenommen am 9. Juni. : Bild: ITER

          Aber auch bei ITER liegt noch einiges im Ungewissen, räumt Tim Luce ein. Es gebe derzeit noch nicht genügend Tritium für die in den Dreißigerjahren anstehenden Fusionsexperimente. „Während sich Deuterium aus Wasser leicht gewinnen lässt, können Kernkraftwerke nicht die benötigten Mengen an Tritium erzeugen.“ Das schwerste Wasserstoffisotop zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,5 Jahren und muss deshalb ständig nachgeliefert werden. Bei ITER will man Tritium, wenn es erst einmal zur Verfügung steht, parallel zur Fusion vor Ort erbrüten und wieder aufbereiten. „So hätten wir einen geschlossenen Tritiumkreislauf und müssten uns keine Sorgen um Nachschub machen“, sagt Luce. „Für künftige Fusionskraftwerke brauchen wir jedoch eine industrielle Tritium-Produktion.“ Doch derzeit will noch kein Unternehmen in entsprechende kerntechnische Anlagen investieren.

          Chancen der Fusion bei der Materialentwicklung

          Eine weitere Hürde für künftige Fusionsreaktoren nach dem Tokamak-Prinzip sieht Luce in den teuren supraleitenden Magneten, die notwendig sind, um das Fusionsplasma einzuschließen und von den Gefäßwänden fernzuhalten. Die Magnetspulen müssen aufwendig mit flüssigem Helium gekühlt werden und sind bis zu 18 Meter hoch.

          Wesentlich kompaktere Fusionsanlagen wären, so Luce, mit Magneten aus Hochtemperatur-Supraleitern möglich. Die Magnetspulen, die dann nur einige Meter messen, würden höhere Magnetfelder erzeugen. Dadurch könnte man einen Reaktor verwirklichen, der nur ein Zehntel des Umfangs der Anlage in Südfrankreich hätte. Allerdings sind Hochtemperatur-Supraleiter von Natur aus spröde, weshalb sie sich nur mit großem Aufwand zu Drähten verarbeiten lassen.

          Häfner sieht große Chancen der Fusion bei der Materialentwicklung. Die magnetischen Fusionsreaktoren bräuchten beispielsweise besondere Stähle, die die hohe Strahlenbelastung im Inneren des Reaktors aushalten. Bei ITER würden sie zum ersten Mal unter extremen Bedingungen getestet.

          Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Kernfusion einen wichtigen Beitrag zu einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung leisten kann. Entscheidend wird es aber sein, ob der Preis des Fusionsstroms bezahlbar ist und mit dem der Erneuerbaren konkurrieren kann.

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