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Suche nach Energiequellen : Das gebändigte Sonnenfeuer

„Wir haben jetzt die experimentellen Plattformen, um die Kernfusion zu verwirklichen“, bestätigte Constantin Häfner. Für ihn ist es jetzt vor allem eine Ingenieursaufgabe. Große Potentiale sieht Peter Leibinger in der Laser- oder Trägheitsfusion, ein Verfahren, das vor allem in Amerika vorangetrieben wird, der sich mittlerweile aber auch einige Start-ups in Europa verschrieben haben. Während bei einem Tokamak wie ITER das extrem heiße Fusionsplasma mit starken Magneten eingeschlossen und so lange verdichtet wird, bis es zündet, nutzt man bei der Trägheitsfusion besonders intensive Laserstrahlen. Diese werden auf eine kleine Kapsel mit dem Fusionsbrennstoff im Inneren fokussiert, bis Atomkerne verschmelzen. „Wir haben inzwischen die kompakten und effizienten Laser, um die Trägheitsfusion zu verwirklichen“, so Leibinger. Viele Start-ups werben damit, bis 2030 diese Technologie nutzbar gemacht zu haben. Die entsprechenden Anlagen könnten wesentlich kleiner gebaut werden als ITER, vor allem günstiger, so die Hoffnung Leibingers. „Für die jungen Firmen könnte sich die Laserfusion rechnen.“ Sowohl Trumpf als auch Siemens Energy sind seit Kurzem Partner des Münchner Start-ups „Marvel-Fusion“. Dort will man statt Deuterium- und Tritiumkernen schwerere Borkerne mit Protonen fusionieren – was eine große Herausforderung ist. „Die zur Laserfusion notwendige Laserleistung ist so groß wie die Leistung aller industriell gefertigten Laser zusammengenommen“, verdeutlicht Leibinger die Anforderungen.

Er zieht Parallelen zur Entwicklung der EUV-Lithographie, mit der heutzutage die nanometergroßen Transistoren auf modernen Computerchips hergestellt werden. Zwanzig Jahre habe es gedauert, bis entsprechende Plasmalaser entwickelt wurden, die die erforderlichen intensiven ultravioletten Strahlen mit Wellenlängen von 13,5 Nanometern erzeugen. „Selbst wenn die Laserversuche nicht klappen, hätten wir eine Menge dabei gelernt.“

Blick ins Innere des Torus vom ITER. Zusehen ist eine der gewaltigen supraleitenden Magnetspulen des 40 mal 40 Meter großen Fusionsreaktors, aufgenommen am 9. Juni.
Blick ins Innere des Torus vom ITER. Zusehen ist eine der gewaltigen supraleitenden Magnetspulen des 40 mal 40 Meter großen Fusionsreaktors, aufgenommen am 9. Juni. : Bild: ITER

Aber auch bei ITER liegt noch einiges im Ungewissen, räumt Tim Luce ein. Es gebe derzeit noch nicht genügend Tritium für die in den Dreißigerjahren anstehenden Fusionsexperimente. „Während sich Deuterium aus Wasser leicht gewinnen lässt, können Kernkraftwerke nicht die benötigten Mengen an Tritium erzeugen.“ Das schwerste Wasserstoffisotop zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,5 Jahren und muss deshalb ständig nachgeliefert werden. Bei ITER will man Tritium, wenn es erst einmal zur Verfügung steht, parallel zur Fusion vor Ort erbrüten und wieder aufbereiten. „So hätten wir einen geschlossenen Tritiumkreislauf und müssten uns keine Sorgen um Nachschub machen“, sagt Luce. „Für künftige Fusionskraftwerke brauchen wir jedoch eine industrielle Tritium-Produktion.“ Doch derzeit will noch kein Unternehmen in entsprechende kerntechnische Anlagen investieren.

Chancen der Fusion bei der Materialentwicklung

Eine weitere Hürde für künftige Fusionsreaktoren nach dem Tokamak-Prinzip sieht Luce in den teuren supraleitenden Magneten, die notwendig sind, um das Fusionsplasma einzuschließen und von den Gefäßwänden fernzuhalten. Die Magnetspulen müssen aufwendig mit flüssigem Helium gekühlt werden und sind bis zu 18 Meter hoch.

Wesentlich kompaktere Fusionsanlagen wären, so Luce, mit Magneten aus Hochtemperatur-Supraleitern möglich. Die Magnetspulen, die dann nur einige Meter messen, würden höhere Magnetfelder erzeugen. Dadurch könnte man einen Reaktor verwirklichen, der nur ein Zehntel des Umfangs der Anlage in Südfrankreich hätte. Allerdings sind Hochtemperatur-Supraleiter von Natur aus spröde, weshalb sie sich nur mit großem Aufwand zu Drähten verarbeiten lassen.

Häfner sieht große Chancen der Fusion bei der Materialentwicklung. Die magnetischen Fusionsreaktoren bräuchten beispielsweise besondere Stähle, die die hohe Strahlenbelastung im Inneren des Reaktors aushalten. Bei ITER würden sie zum ersten Mal unter extremen Bedingungen getestet.

Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Kernfusion einen wichtigen Beitrag zu einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung leisten kann. Entscheidend wird es aber sein, ob der Preis des Fusionsstroms bezahlbar ist und mit dem der Erneuerbaren konkurrieren kann.

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