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Attributionsforschung : Wir haben die Kausalkette zum Klimawandel geschlossen

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Griechenland erlebte dieses Jahr eine extreme Hitzewelle und verheerende Waldbrände. Rauch eines Waldbrandes steigt hinter einem Berghang in dem Ort Limni, auf der Halbinsel Euböa, etwa 160 Kilometer nördlich von Athen, auf. Bild: dpa

Über die Bedeutung der Kippelemente, die Gerechtigkeit beim Klimaschutz und nötige Schritte in der Klimapolitik: Ein Gespräch mit der in Oxford forschenden Klimamodelliererin und Philososophin Friederike Otto.

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          Stürme, Dürren, Waldbrände und in diesem Jahr nun die schreckliche Flutkatastrophe in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Frau Otto, aus Ihrer Sicht als Attributionsforscherin: Wie sehr und auf welche Art haben diese Extremwetterereignisse die Debatte um den Klimaschutz in Deutschland vorangebracht?

          Bis der Wahlkampf so richtig angefangen hat, hatte ich durchaus das Gefühl, dass sich etwas verändert. Gerade dann aber, als die letzten Wochen des Wahlkampfes begonnen haben, drehte sich die Debatte dann doch wieder nur noch darum, welche Kosten beim Klimaschutz entstehen. Da habe ich dann gedacht: Okay, wir sind wohl doch noch nicht weiter. Zuvor hatte ich durchaus das Gefühl, dass etwas in Bewegung gerät in der Wahrnehmung, gerade auch von Extremwettern. Das mag vielleicht immer noch so sein, aber der Link fehlt weiterhin, dass wir diese extremen Schäden aus Extremwetterereignissen eben nicht zahlen müssten und dass wir dieses Geld sparen könnten, wenn wir heute in Klimaschutz investieren würden. Das scheint nach wie vor zu fehlen. Es ist leicht, für das Jahr 2050 Klimaneutralität zu versprechen – es ist aber nicht glaubwürdig, wenn man nicht darlegt, was in den kommenden Jahren passiert und welche Gesetze geändert werden. An der Stelle bleibt Klimaschutz vage – und damit nicht glaubwürdig.

          Man hat während der Corona-Pandemie gemerkt, wie schnell Politik und Gesellschaft auf Ereignisse reagieren können. Glauben Sie, dass die extremen Erfahrungen aus diesem Jahr dazu führen werden, dass auch beim Handeln gegen den Klimawandel reagiert wird? Oder müssen erst die Kipppunkte erreicht und existenzgefährdende Prozesse in Gang kommen, ehe etwas geschieht?

          Dieser Begriff der Kipppunkte, von dem immer die Rede ist, ist leider irreführend. Selbst wenn wir solch eine Schwelle überschreiten, werden wir das nicht merken. Die ganze Klimadiskussion wird immer so geführt, als gäbe es bei 1,5 Grad oder 2 Grad eine Klippe, von der an etwas passiert, dass wir plötzlich herunterfallen. Das ist aber Unsinn. Das Zeitalter der klimabedingten Verluste und Schäden hat längst begonnen. Und wenn wir weiter Kohlendioxid emittieren, wird auch die globale Mitteltemperatur steigen, und desto dramatischer werden die Veränderungen, was Extremwetter und was Meeresspiegelanstieg angeht. Eine der wesentlichen Aussagen des aktuellen IPCC-Reports war ja, dass man nicht ausschließen kann, dass einige Kipppunkte bereits erreicht sind. Was bedeuten würde, dass dies schleichend und ohne großes Aufsehen geschehen ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist bei Temperaturen unter zwei Grad Celsius gering, aber ganz ausschließen kann man es halt nicht. Kipppunkte gibt es, die führen dazu, dass sich das gesamte System irreversibel verändert. Aber vollkommen unabhängig davon verändert sich das Klima bereits jetzt ganz deutlich. Je mehr wir emittieren, desto höher die Temperatur und desto stärker die Veränderung. Das heißt aber auch: Wenn wir bei Netto-Null angekommen sind, stabilisiert sich die globale Temperatur, bei der wir eben zu diesem Zeitpunkt sind – auch das war eine der wichtigen Aussagen des IPCC-Reports.

          Klimatologin Friederike Otto
          Klimatologin Friederike Otto : Bild: intertopics/eyevine/Geraint Lewis

          Das ist leider im Vergleich zu einigen anderen Inhalten untergegangen. Wenn wir bei den Kohlendioxid-Emissionen die Netto-Null erreichen und damit den CO₂-Gehalt der Atmosphäre stabilisieren, dann hört die Temperatur auf zu steigen und dann werden sich auch viele Extremwetterereignisse nicht weiter verschlimmern. Zumindest nicht schlimmer werden, als sie eben zu dem Zeitpunkt sind. Viele Folgen des Klimawandels verändern sich zusammen mit der globalen Mitteltemperatur.

          Sie sind nicht nur Physikerin, sondern auch Geisteswissenschaftlerin. Aus Ihrer Sicht als Philosophin: Haben wir mittlerweile die richtige Art gefunden, über den Klimawandel zu sprechen, ihn begreifbar zu machen?

          Wenn wir sie gefunden hätten, würden wir wahrscheinlich mehr für den Klimaschutz tun. Also: nein, haben wir nicht.

          Wenn Sie selbst über Klima und Extremwetter sprechen, wie tun Sie das?

          Gerade bei Extremwetter bietet es sich an, damit anzufangen, welche Folgen daraus entstehen. Nehmen wir Hitzewellen: Das sind mit Abstand die tödlichsten Wetterereignisse in Europa. Jedes Jahr sterben dabei Tausende von Menschen. Das könnte man leicht verhindern. Aber wir tun es nicht. Es interessiert uns nicht. Genauso wenig wie die vielen Millionen Menschen, die wegen der Luftverschmutzung in Städten versterben. Dadurch aber, dass Ex­tremwetterereignisse sehr stark an menschliche Schicksale geknüpft sind, kann man sehr gut deutlich machen, was Klimawandel bedeutet. Dass es sich dabei eben nicht um etwas rein Abstraktes handelt, das nur anhand der globalen Mitteltemperatur gemessen wird – die ja faktisch niemand erlebt – , und dass es nichts ist, das woanders und in der Zukunft stattfindet, sondern eben hier und heute. Und dass uns dieser Klimawandel daher direkt betrifft. Deswegen ist die Attributionsforschung eben auch wichtig, weil sie konkrete Erlebnisse mit der Theorie von Klimawandel zusammenbringt. Das allein reicht aber nicht, um tatsächlich Politik zu verändern. Zumindest nicht schnell genug. Sie ist aber ein wichtiger Baustein, den wir Menschen offenbar brauchen, um eine Brücke zwischen dem direkt Erlebten und dem theoretischen Klimawandel zu bauen. Und ganz wichtig: Während die meisten Veränderungen im Klimasystem linear mit der Mitteltemperatur eintreten, sind es die Schäden nicht. Die sind extrem nicht linear. Darum haben auch kleine Änderungen teilweise katastrophale Auswirkungen.

          Der IPCC sagt ja mit Blick auf die globale Erwärmung erstmals buchstäblich: Der Mensch war’s. Nun schafft die Attributionsforschung auch noch die konkrete Zuordnung zu extremen Wetterereignissen. Ist die Beweisführung damit abgeschlossen?

          Die Attributionsforschung war im Grunde das fehlende Puzzlestück. Sie hat tatsächlich die Lücke in der Kausalkette von Emissionen bis hin zu konkreten Schäden geschlossen.

          Das heißt, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse jetzt noch übersetzt werden müssen in gesellschaftliche Zusammenhänge?

          Genau. Der Haken an der Sache ist: Klimawandel ist ein Gerechtigkeitsproblem. Und wir sind weder politisch noch gesellschaftlich gut darin, solche Probleme zu lösen. Es ist doch so, dass in den allermeisten Fällen diejenigen die Schäden und Verluste erleiden, die keine Lobby haben. Das sind Menschen mit kaum finanziellen Ressourcen, die zudem wenig Informationen haben und in schlecht isolierten Häusern wohnen und die sich teure Versicherungen nicht leisten können. Wenn ich wüsste, wie man das ändern kann, würde ich Politik machen. Wo aber Beweisketten helfen, das haben wir in diesem Jahr auch in Deutschland erlebt, ist vor Gericht.

          Sie meinen den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts?

          Ja, das war wegweisend und hat gezeigt, wie es auch außerhalb des politischen Betriebes möglich ist, Klimaschutz zu beschleunigen. Die Legislative hat mit Blick auf die verpflichtende Einhaltung der Paris-Ziele ein wichtiges Zeichen gesetzt.

          Mit Blick auf die internationale Klimadiplomatie: Welche Evidenzen muss die Klimaforschung noch liefern, damit die Weltgesellschaft den Schutz des Klimas konsequenter vorantreibt?

          Es gibt absolut keinen Zweifel daran, dass wir in dieser Welt keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen sollten. Da braucht es keine weiteren Ergebnisse mehr. Egal, ob wir das Klima bei 1,5 Grad, bei 2 Grad oder bei 3 Grad stabilisieren wollen – stabilisieren heißt, Netto-Null, keine weiteren Kohlendioxid-Emissionen mehr. Was Anpassung und konkrete lokale Auswirkungen angeht, da gibt es durchaus noch viel Forschungsbedarf. Wir müssen besser verstehen, wie Vulnerabilität und bestimmte Wetterereignisse zusammenhängen. Es ist nicht so, dass wir keine Ahnung haben, was zu tun ist, aber da können wir noch besser werden.

          Dazu wird es aber wahrscheinlich noch anderer Disziplinen bedürfen, neben der Klimawissenschaft?

          Ja, das ist so. Damit wir uns gesellschaftlich aber nicht an die „falschen“ Veränderungen anpassen, dazu braucht es die Kooperation der entsprechenden Forschungsrichtungen. Das ist auch für die Klimaforschung der wichtige nächste Schritt. Wir können diese Kausalketten herstellen, nun müssen wir schauen: Wie übersetzt man das in andere Kontexte? Wie schafft man beispielsweise Gesetze, die diese Erkenntnisse berücksichtigen?

          Sie sind vom Time-Magazin unter die 100 einflussreichsten Menschen des Jahres gewählt worden: Hat das Ihre Rolle beim Klimaschutz verändert?

          Ich verbringe jetzt sehr viel mehr Zeit damit, mit Medien zu sprechen, und schreibe sehr viel seltener wissenschaftliche Paper. Geert Jan van Oldenborgh und ich haben ja die Initiative World Weather Attribution WWA aus genau diesem Grund ins Leben gerufen. Wir wollten wissenschaftliche Evidenz in die politische und gesellschaftliche Debatte hineintragen. Vorher war es oft so, dass Klimawissenschaftler sich aus der Diskussion herausgehalten haben oder aber nicht gehört wurden. Die Frage nach der Rolle des Klimawandels wurde daher lange Zeit von Menschen, die nur eine politische Agenda haben, beantwortet. Das wollten wir ändern. Die WWA war kein rein wissenschaftliches Projekt, es ging pathetisch gesagt darum, wie man mit Wissenschaft die Welt verbessern kann. Das wollen wir nach wie vor.

          Unser komplettes Alltagshandeln – egal ob Konsum, Wohnen oder Mobilität – hat Einfluss auf das Klima. Der richtige Zugang oder auch klimaschonendes Handeln scheiterten in der Vergangenheit oft an der Komplexität. Hat sich das aus Ihrer Sicht verbessert?

          Indem wir sagen, es ist ja so komplex, verbauen wir uns den Weg zum Handeln. Dabei ist es im Grunde ganz einfach. Keine fossilen Energieträger mehr verbrennen. Wenn wir das global hinkriegen, ist alles prima. Ich glaube, es fehlt uns bislang einfach der Mut. Ganz nebenbei: Die Komplexitätsdebatte entstammt ja nicht der wissenschaftlichen Community, die kam aus anderen Bereichen, wie etwa der Wirtschaft. Auch die Verbotsrhetorik, die im Zusammenhang mit Klimaschutz immer wieder bemüht wird, kommt aus bestimmten gesellschaftlichen Teilbereichen. Man könnte das politisch auch anders kommunizieren. Dass es darum geht, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und die Lebensqualität in Städten zu erhöhen – wir führen diese Diskussion nach wie vor nicht gut.

          Wir stehen wenige Wochen vor dem Klimagipfel in Glasgow. Vor dem Hintergrund der deutlichen Worte der IPCC-Autoren und den Ergebnissen der Attributionsforschung: Wie sehr sehen Sie die Politik unter Handlungszwang?

          Ich habe Hoffnung, dass der Druck, den die Entwicklungsländer ausüben werden, tatsächlich so hoch ist, dass es wesentliche Zusagen zu Anpassung und Klimafinanzierung gibt. Dass die versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich zusammenkommen, dass aber eben auch Anpassung einen höheren Stellenwert bekommt. Ansonsten ist es enttäuschend, dass der Gastgeber, Premier Boris Johnson, der sich gerne als Klimaschützer präsentiert, in all den Handelsverträgen, die nach dem Brexit geschlossen wurden, keine besondere Rücksicht auf das Klima genommen hat. Das werte ich als wenig ermutigend.

          Das Gespräch führte Ulrich Schaper

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