Zugvögel und Klimawandel : Riskante Langstreckenflüge
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Kraniche auf ihrem Flug ins Winterquartier. Bild: ZB
Noch weiter, noch mehr Pausen: Auch viele Zugvögel bekommen die Folgen des Klimawandels zu spüren. Ihre Flüge werden immer länger – und damit auch gefährlicher.
Zweimal im Jahr begeben sich Zugvögel auf die Reise. Wenn die Brutsaison endet, ziehen sie ins Winterquartier und im Frühjahr wieder zurück in ihr Brutgebiet. Spektakuläre Flugformationen wie bei Kranichen, Wildgänsen oder Staren sind allerdings die Ausnahme. Viele Singvögel machen sich allein auf den Weg, statt in einem Schwarm unterwegs zu sein. Obwohl hauptsächlich tagsüber munter, fliegen sie außerdem meist nachts. Damit können die Alleinreisenden nicht nur tagaktiven Fressfeinden wie Sperbern und Falken aus dem Weg gehen. In kühlen Nächten unterwegs zu sein, hat auch den Vorteil, dass der Körper nicht überhitzt – selbst dann nicht, wenn seine Flugmuskulatur viel Wärme produziert.
Langstreckenflüge, die von der Sahelzone oder noch südlicheren Regionen über die Sahara nach Europa führen, lassen sich freilich nicht in einer einzigen Nacht bewältigen. Auf solchen Flugrouten müssen die Vögel zwangsläufig Zwischenstopps einlegen. An ihren Rastplätzen suchen sie nach Futter, um ihre Energiereserven aufzufüllen. Ebenso wichtig sind jedoch Ruhephasen, in denen sie das Schlafpensum nachholen, das sie während des Nachtflugs versäumt haben. Dass beim Ausschlafen mitunter das Energiesparen auf Kosten der Sicherheit geht, haben Wissenschaftler um Andrea Ferretti von der Universität Wien und Niels C. Rattenborg vom Max Planck Institut für Ornithologie in Seewiesen beobachtet.
Als Forschungsobjekt diente den Biologen die Gartengrasmücke (Sylvia borin), ein kleiner braun gefiederter Vogel, der im dichten Blattwerk von Hecken und Feldgehölzen meist unsichtbar bleibt. Wenn diese Singvögel im Frühjahr übers Mittelmeer fliegen, besuchen etliche von ihnen einen beliebten Rastplatz durchziehender Zugvögel: die Insel Ponza an der Westküste von Italien. Dort haben die Biologen um Ferretti und Rattenborg ein paar Dutzend Gartengrasmücken eingefangen, in einem Käfig einquartiert, und einen Tag lang beobachtet, ehe sie die Vögel wieder frei ließen. Wie erwartet, waren Gartengrasmücken mit üppigen Fettreserven nachts häufig unruhig und schliefen dafür oft tagsüber. Weniger kräftige Artgenossen ruhten lieber nachts.
Gefährlicher Schlaf
Besonders abgemagerte Vögel fielen dadurch auf, dass sie – vor allem in kühlen Nächten – ihren Kopf zum Schlafen gern nach hinten neigten, um ihn an der Schulter tief ins Gefieder zu drücken. Wie Messungen des Sauerstoffverbrauchs zeigten, lässt sich durch diese Körperhaltung einiges an Stoffwechselenergie einsparen. Wenn Gartengrasmücken beim Schlafen lediglich den Hals einzogen, ihr Kopf aber komplett sichtbar blieb, war ihr Energieumsatz deutlich höher. Wie Infrarotaufnahmen belegen, geht über den Kopf, insbesondere über die Augenpartie, enorm viel Wärmeenergie verloren.
Wer seinen Kopf im Gefieder verbirgt, kann solche Verluste vermeiden. Doch das offenkundig seinen Preis. Die Vögel reagieren dann deutlich langsamer auf eine Gefahr. Das zeigte sich, als die Forscher schlafende Gartengrasmücken mit dem Rascheln von Laub konfrontierten. Solch ein Geräusch wirkt bedrohlich, könnte es doch von einem heranschleichenden Raubtier herrühren. Vögel, die ihren Kopf auch im Schlaf aufrecht hielten, wurden davon merklich schneller aufgeschreckt als Artgenossen, die den Kopf an die Schulter gebettet hatten, so dass er größtenteils von Federn verdeckt war. Grasmücken, die so ein Kopfkissen benutzten, brauchten deutlich länger, um sich aufzurichten und die Augen zu öffnen.
Auf eine drohende Gefahr so spät zu reagieren, ist riskant. Es kann schnell zu spät sein, um einem Angreifer zu entwischen. Da sich Gartengrasmücken als Alleinreisende nicht auf wachsame Nachbarn verlassen können, müssen sie auch im Schlaf möglichst aufmerksam bleiben. Den Kopf in wärmendem Gefieder zu vergraben, leisten sie sich deshalb wohl nur im Notfall, nämlich dann, wenn Singvögel mit den Energiereserven so sparsam wie möglich haushalten müssen, um zu überleben.