Neutrino-Detektor „Borexino“ : Was die Erde von innen wärmt
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Blick ins Innere des Borexinos-Observatoriums: 2200 Lichtsensoren schmücken die Innenseite der Stahlhülle, die den eigentlichen Detektor - einen 8,5 Meter großen Nylonballon, gefüllt mit einer Szintillatorflüssigkeit – umgibt. Bild: Borexino Collaboration
Die natürliche Radioaktivität erzeugt offenkundig einen großen Teil der Hitze unter unseren Füßen. Das belegen Messungen des Neutrino-Observatoriums „Borexino“ im italienischen Gran-Sasso-Massiv.
Wer schon einmal in einem Bergwerk in die Tiefe gefahren ist, weiß: Je tiefer man gelangt, desto wärmer wird es. In besonders tiefen Schächten kann es so heiß werden, dass Bergarbeiter mitunter nur noch sehr wenig Kleidung tragen. Doch woher stammt die Hitze im Erdinnern? Anhand von weltweiten Messungen an Bohrlöchern lässt sich der Wärmefluss, der aus dem Inneren unseres Planeten an die Oberfläche dringt, vergleichsweise präzise messen: Er entspricht einer Leistung von rund 47 Billionen Watt (Terawatt). Das ist umgerechnet die thermische Leistung von etwa 15.000 Kernkraftwerken – deren thermische Energieumsetzung ja gut dreimal so groß ist wie ihre elektrische Leistung.
Unter Geologen war lange Zeit umstritten, welche Wärmequellen welchen Beitrag zu diesem großen Energiefluss leisten. Einerseits kühlt die Erde aus. Die nach außen strömende Energie ist zum Teil schlicht die Restwärme in den Gesteinsschichten, die nach der Entstehung unseres Planeten übrig geblieben ist und als Wärmestrahlung ins All abgegeben wird. Die Erde hat aber auch eine eigene „Heizung“, die beständig Wärme nachliefert: die Radioaktivität. Dabei erzeugt der Zerfall von radioaktiven Uran- und Thoriumkernen offenkundig einen großen Anteil der Hitze unter unseren Füßen. Das hat die Analyse von Daten ergeben, die das Neutrino-Observatorium „Borexino“ im italienischen Gran-Sasso-Massiv über einen Zeitraum von zehn Jahren gesammelt hat.
Borexino befindet sich gemeinsam mit anderen Neutrino-Experimenten, geschützt vor störender Strahlung, in einem Labor tief unter rund 1400 Meter Felsgestein. Die Hauptaufgabe des Detektors ist es, Neutrinos aus den Kernfusionsprozessen der Sonne einzufangen und deren Spuren mit Hilfe eines flüssigen Szintillatorflüssigkeit sichtbar zu machen. Borexino kann aber auch Neutrinos aus anderen Quellen nachweisen, etwa aus radioaktiven Zerfällen, die im Erdinneren stattfinden.
Radioaktive Zerfälle heizen die Erde
Uran und Thorium, die im Erdmantel in verschiedenen Mineralien vorliegen, zerfallen langsam über eine Reihe radioaktiver Tochterkerne bis hin zu stabilem Blei. Die Kerne dieser beiden Schwermetalle sind langlebig genug, dass seit der Entstehung der Erde erst ein Teil von ihnen zerfallen ist. Beim Zerfall radioaktiver Kerne in Tochterkerne wird nicht nur sehr viel Wärmeenergie freigesetzt, bei einigen Zerfallsarten wie dem Beta-Zerfall entstehen auch Neutrinos oder deren Antiteilchen, die Antineutrinos. Dank seiner besonders hohen Empfindlichkeit kann der Borexino-Detektor hin und wieder eines dieser extrem flüchtigen und deshalb schwer nachzuweisenden Geisterteilchen aus dem Erdinnern einfangen und von Neutrinos unterscheiden, die aus anderen Quellen wie der Sonne, der kosmischen Strahlung oder aus Kernreaktoren stammen.
„Seit Beginn der Messungen vor über zehn Jahren haben wir insgesamt 53 Geoneutrinos identifizieren können“, erklärt die Experimentalphysikerin Livia Ludhova vom Institut für Kernphysik des Forschungszentrums Jülich. Bei so wenigen Ereignissen – im Mittel fünf Geoneutrinos pro Jahr – ist der statistische Messfehler zwar noch recht groß. Die Forscher haben aber bereits berechnet, dass der Zerfall von Uran und Thorium mitsamt deren Tochterkernen mit hoher Sicherheit für mindestens die Hälfte der Wärme aus dem Erdinneren verantwortlich ist. Der Anteil radioaktiver Zerfälle an der Erdwärme könnte sogar noch ein gutes Stück höher sein, berichten die Wissenschaftler.
Von der Wärmeentwicklung aus radioaktiven Quellen hängen viele wichtige geologische Phänomene ab, wie etwa die Dynamik des Erdmantels, das Erdmagnetfeld, die Plattentektonik und auch der Vulkanismus. Allerdings sprechen geowissenschaftliche Überlegungen dagegen, dass die Erdwärme fast ausschließlich aus radioaktiven Zerfällen stammt. „Wir arbeiten bereits an einem größeren Detektor, der kommendes Jahr in China in Betrieb gehen soll“, sagt Ludhova. Diese Apparatur namens „Juno“ (Jiangmen Underground Neutrino Observatory) basiert auf einer ähnlichen Technologie wie Borexino, ist allerdings rund siebzigmal so groß. Mit dem Juno-Observatorium sollten in einer überschaubaren Messzeit deutlich mehr Geoneutrinos nachgewiesen werden, was die Statistik verbessern und die Unsicherheiten deutlich reduzieren würde. Die Geoforscher wären dann in der Lage, die Mengen an Uran und Thorium im Erdinnern besser einzuschätzen.
In der Vergangenheit hatten Wissenschaftler spekuliert, dass sich das Uran in großer Tiefe so stark konzentrieren könnten, dass schließlich eine Art riesiger natürlicher Kernreaktor zündet. Angesichts der Borexino-Daten erscheint diese These jetzt eher unwahrscheinlich. Falls es doch zu solch einem Prozess kommen sollte, dann würde er nach Ansicht der Forscher zumindest keinen signifikanten Anteil an der Erdwärme haben.