Luftverschmutzung : Es muss nicht nur der Diesel sein
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Wer mit Farbe hantiert, setzt allerhand flüchtige Kohlenwasserstoffe frei. Bild: Picture-Alliance
Schadstoffe in der Luft sind ein Riesenthema. Im Zentrum der Kritik steht der Verkehr. Doch auch Alltagsprodukte wie Farben oder Kosmetika schaffen Probleme.
Von sauberer Luft können viele Menschen nur träumen. In der globalen Rangliste der Gesundheitsrisiken gehört die Luftverschmutzung inzwischen zu den sechs wichtigsten Faktoren neben Mangelernährung oder Tabakkonsum, dicht gefolgt von Alkohol. Mehr als vier Millionen Tote im Jahr 2016 gehen darauf zurück, schätzten im Herbst zuletzt Epidemiologen in „The Lancet“, in 195 Ländern gehöre sie zu den Top Ten der Todesursachen.
Schadstoffe in der Atemluft belasten die Lunge und das Herz-Kreislauf-System. Zu viel eingeatmeter Feinstaub, Stickstoffdioxid (NO₂) und Ozon verkürzen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation jährlich das Leben von 450.000 Menschen in Europa. In Deutschland spricht man von mehr als 70.000 Opfern. Allein 6.000 vorzeitige Todesfälle seien 2014 auf Herz-Kreislauf–Erkrankungen zurückzuführen, die mit einer NO₂-Langzeitexposition in Verbindung stehen, heißt es in einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes. Dem Stickstoffdioxid seien außerdem 437.000 Diabetes-Fälle und 439.000 Asthmaerkrankungen zuzurechnen. Die Studie stößt auf Kritik, weil die Berechnung von vorzeitigen Todesfällen in ihrer Methodik umstritten ist; dass Luftverschmutzung gesundheitliche Folgen hat, steht dennoch fest.
Für die Luftbelastung werden meist Kraftfahrzeuge verantwortlich gemacht, insbesondere Dieselautos. Doch die wurden gerade in jüngster Vergangenheit viel sauberer. Deshalb lenken Forscher jetzt das Augenmerk auf weitere Verdächtige. So konnten amerikanische Chemiker kürzlich in „Science“ nachweisen, dass Produkte wie Farben, Kosmetika und Reinigungsmittel einen beachtlichen Beitrag leisten. Solchen Alltagsmitteln entweichen demnach in amerikanischen Städten mindestens genauso viele flüchtige organische Verbindungen wie Kraftfahrzeugen. Diese Substanzen gelten als wichtige Vorläufer für Feinstaub und Ozon.
Flüchtige organische Verbindungen, abgekürzt VOCs, können Alkane, Alkohole, Ester, aromatische und halogenierte Verbindungen sein. Man findet sie in den verschiedensten Industrie- und Konsumprodukten, etwa in Autolack und Reinigungsmitteln, in Haarspray, Wandfarbe, Düngemitteln und in Duftkerzen. Sie werden bei Verbrennungsprozessen in Kraftfahrzeugen oder in der Industrie und bei der Lebensmittelverarbeitung freigesetzt, aber auch von Pflanzen. Sie verdampfen oft schon bei Zimmertemperatur und sind deshalb praktisch überall in der Luft. Manche Vertreter, wie die gebräuchlichen Lösungsmittel Benzol oder Toluol, gelten als direkt gesundheitsschädlich. Sie greifen die Lunge an und können krebserregend wirken. Eine vor kurzem im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“ veröffentlichte Studie untermauert dieses Risiko. Von 6.000 Frauen, die über zwanzig Jahre hinweg an der European Community Respiratory Health Survey teilnahmen, litten jene häufiger unter Lungenproblemen, die als Putzkraft arbeiteten oder generell häufiger putzten. Dadurch waren sie auch eher solchen Lösungsmitteln ausgesetzt.
Die meisten VOCs sorgen jedoch nur indirekt für Ärger. Aus ihnen entstehen sekundäre organische Aerosole, aus denen sich Feinstaub zu großen Teilen zusammensetzt. Wenn Stickstoffdioxid in der Luft vorkommt, können sie auch Ozon bilden. Ihre Hauptquellen waren über lange Jahre Verkehr und Industrie. Um diese kümmerte sich die Politik auch entsprechend, teils mit beachtlichem Erfolg. Heute betragen die VOC-Abgase im Verkehr weniger als ein Zwölftel der im Jahr 1990 verzeichneten Emissionen.