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Klimaforschung im Wandel : „Im ersten Moment herrschte Angst und Schrecken“

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Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber Bild: dpa

Welche klimapolitischen Perspektiven haben sich nach Bonn ergeben? Ein Gespräch mit dem Potsdamer Erdsystemforscher Hans Joachim Schellnhuber über den Trump-Effekt und den Bonner Klimagipfel.

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          Die amerikanische Klimaforschung war stets eine Größe in der Erdbeobachtung. Ändert sich das jetzt durch die antiwissenschaftliche Haltung in Washington und den Trump-Effekt?

          Natürlich, die amerikanische Infrastruktur für die Umweltforschung wird beschädigt. Das gilt für die Tiefseebeobachtung wahrscheinlich genauso wie für die Satellitenmissionen. Es wird eine Lücke entstehen, die wir nicht so schnell schließen können. Ich denke, dass am ehesten die Chinesen in diese Lücke stoßen. Wir hatten kürzlich in Norwegen ein Treffen der wichtigsten nationalen Akademien der Wissenschaften. Der Vertreter der chinesischen Akademie war voll auf der europäischen Linie. Verrückte Welt, nicht wahr?

          Und wie kommt das bei den amerikanischen Kollegen an, Sie arbeiten traditionell viel mit ihnen zusammen?

          Auf dem Treffen war auch die von mir persönlich hochgeschätzte Präsidentin der amerikanischen Wissenschaftsakademie, Marcia McNutt. Wegen der neuen politischen Linie in Washington gab sie sich recht zurückhaltend, vor allem wenn es ums Klima ging. Bis vor kurzem noch dominierten die US-Repräsentanten solche Debatten. Die meisten amerikanischen Kollegen meinen allerdings, dass man die Trump-Jahre schon irgendwie überleben wird, zumal die Forschungsmittel der Zentralregierung in Washington insgesamt doch eine geringere Rolle spielen als etwa bei uns in Deutschland. In den USA geschieht auch viel auf der Ebene der Stiftungen und der einzelnen Bundesstaaten. Was dort in Zukunft jedoch definitiv schwieriger werden wird, ist das Aufsetzen großer Kooperationsprojekte, an denen viele Zentren beteiligt sind. Hier kann die europäische Wissenschaft durchaus helfen: Wir reden inzwischen mit den amerikanischen Kollegen und überlegen mit ihnen, wie sie sich an EU-Vorhaben andocken können.

          Der französische Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Bonner Rede angedeutet, dass der Weltklimarat durch Trumps Haltung auch auf der Kippe stand. War der Weltklimarat IPCC wirklich gefährdet durch die Ausstiegsankündigung der Amerikaner aus dem Pariser Weltklimavertrag?

          Im ersten Moment herrschten Angst und Schrecken, und man rechnete schnell durch, wie das alles ohne die USA funktionieren könnte. Insbesondere war schon früh nach der Wahl Trumps klar, dass der amerikanische Beitrag von etwa zwei Millionen Dollar für den IPCC künftig wegfallen würde. Zwei Millionen sind andererseits nicht die Welt angesichts der Bedeutung des Weltklimarats. Die Europäische Kommission hat deshalb auch schon bald angekündigt, dass die Europäer ihren Beitrag verdreifachen und somit einspringen würden. In Bonn hat der französische Präsident noch eins draufgelegt und versprochen, dass Frankreich das im Notfall auch allein finanzieren würde. Europa möchte also Fackelträger der Aufklärung bleiben.

          Die Wissenschaft hat in Bonn wieder klare Vorgaben für die Politik geliefert. Die Messlatten für eine Dekarbonisierung sind skizziert worden, nicht zuletzt durch ihre „10 Must knows“-Erklärung. Ist die Politik auf Kurs – ungeachtet der amerikanischen Sonderrolle?

          Die wesentlichen Botschaften der Wissenschaft sind inzwischen durchgedrungen, das stimmt: Erstens, der Klimawandel existiert, das hat nun wirklich fast jeder verstanden. Zweitens, der Mensch ist zu 95 Prozent oder mehr verantwortlich. Drittens, die Folgen werden immer sichtbarer, und sie sind überwiegend schädlich bis gefährlich. Viele Menschen sind in diesem Jahr von den heftigen Hurrikans aufgeschreckt worden, die etwa Puerto Rico und Texas getroffen haben. Jetzt geht es viertens um konkrete Maßnahmen. Wir müssen den Einstieg in wirksame Lösungen finden; wir müssen die Propaganda, die uns auf den ausgetretenen Pfaden gefangen hält, entlarven. Bei der Kohle ist das offenkundig. Aber auch wenn behauptet wird, der in der Herstellung so emissionsintensive Stahlbeton sei das Baumaterial des 21. Jahrhunderts, dürfen wir das nicht einfach akzeptieren. Und wir müssen vor allem durchbuchstabieren, welche wirtschaftlichen und sozialen Vorteile die neuen Lösungen bringen. Die Transformation der Mobilität ist in der Hinsicht für Deutschland ein viel größeres Problem als der Kohleausstieg.

          Auf der Bonner Klimakonferenz hat es so ausgesehen, dass Kohle das größte Problem überhaupt sei. Teilen Sie die Aufregung darum?

          Kohle war in der Tat das Erregungsthema des Bonner Weltklimagipfels, auch weil man sich fragt, wie man die dazu notwendige Debatte überhaupt so lange verschleppen konnte. Aber dass Kohle keine Zukunft hat, dass wir insbesondere schleunigst mit dem Verfeuern von Braunkohle als dem dreckigsten unter den fossilen Brennstoffen aufhören müssen, dürfte inzwischen fast allen klar sein. Zumal die Kohleverstromung auch enorme Gesundheitsgefahren mit sich bringt.

          Dieselautos etwa weniger?

          Was das Thema Transport und Verkehr angeht, wird man bald sehen, wer von den deutschen Marktführern am entschlossensten auf den Pfad der emissionsfreien Mobilität einschwenkt. BMW gibt sich seit Jahren wenigstens Mühe, VW hat gerade eine Investitionsoffensive angekündigt. Diese hängt offensichtlich damit zusammen, dass die Antriebswende über den Umweg Peking erfolgen dürfte. China setzt auf Strom-Autos, und es ist der wichtigste Wachstumsmarkt der Welt. Wir werden vielleicht in Zukunft Elektrofahrzeuge von dort reimportieren, weil unsere eigenen Hersteller die entsprechenden Chancen verschlafen haben.

          Kohle als Erregungsthema des Weltklimagipfels in Bonn
          Kohle als Erregungsthema des Weltklimagipfels in Bonn : Bild: dpa

          Was an Klimaschutzmaßnahmen wurde aus Ihrer Sicht in Bonn ausgelassen?

          Es gibt aber weltweit noch zwei dickere Bretter zu bohren. Da ist zum einen das Siedlungswesen – nicht nur der Gebäudebetrieb selbst, sondern wie wir künftig bauen. Ich halte „smartes“ Holz für die entscheidende Lösung, und zwar keineswegs nur für Einfamilienhäuser. Es gibt heute schon gute Ideen zur Herstellung von feuerfestem, elastischem Holz. Wir explorieren gerade in Potsdam, wie viel Kohlendioxid man dadurch langfristig der Atmosphäre entziehen könnte, wenn man zu biobasierten Baumaterialien zurückkehrte. Und die zweite große globale Schwierigkeit ist der Landwirtschaftssektor. Hier muss die EU ran, weil die meisten Subventionen immer noch in die industrielle Agrarproduktion gehen. Wir brauchen schleunigst politische Innovationen in diesem Bereich. Insgesamt könnte man wohl mit besserer Land- und Forstwirtschaft sowie entschlossenem Waldschutz laut einer jüngsten Veröffentlichung bis zu einem Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen wegräumen. So viel wird es in der Realität nicht sein, aber wir können in den nächsten zwanzig Jahren die Emissionen aus der Landnutzung mindestens halbieren. Wenn wir uns ins Zeug legen.

          Sie sprechen von smarten Lösungen. Die kann man sich nicht überall leisten.

          Es sind am Ende Einfälle und Konventionsbrüche, die die Wende bringen. Erfindergeist kann man zwar schlecht von oben planen. Aber wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen: Wenn die Politik eindeutige Signale sendet, dass es in Richtung Dekarbonisierung geht, ob mit Gesetzen oder mit Kohlenstoffpreisen, dann pumpen die Investoren ihr Geld in saubere Technologien. Wenn wir die Emissionskurve schnell nach unten biegen wollen, kommt aber auch ein verändertes Konsumverhalten ins Spiel. Weniger Fleisch zu essen kann ein schneller Gewinn sein für die eigene Gesundheit und für den Planeten. Das wäre dann eine soziale Innovation.

          Das klingt nicht neu, eher nach klimapolitischem Gemischtwarenhandel. Was könnte am Ende den Durchbruch bringen zugunsten einer Dekarbonisierung der genannten Bereiche?

          Alle reden gerne von Apollo-Projekten und Marshallplänen, auch ich tue das bisweilen. Vielleicht noch erfolgreicher sind aber möglicherweise subversive Innovationen. Also Innovationen, die quasi unter dem Radarschirm der Marktführer, Besitzstandswahrer und Lobbyisten einfliegen und die, wenn man sie endlich bemerkt, schon zu stark zum Zertrampeln geworden sind. Der deutsche Strom-Einspeisetarif ist ein Beispiel dafür, das sogenannte EEG. Wenn die Kohleindustrie frühzeitig geahnt hätte, dass durch diesen Einspeisetarif über die chinesische Intervention schließlich die Kosten für Photovoltaikanlagen exponentiell fallen würden, dann wäre das entsprechende Gesetz wohl nie verabschiedet worden. Als gesellschaftliche Neuerung mit potentiell enormen Auswirkungen auf die Finanzmärkte macht gerade das sogenannte Divestment, also das ethisch begründete Abziehen von Kapital aus fossilen Geschäften, Furore. Ich bin sehr gespannt, was die nächste subversive Innovation sein wird. Ich warte auf Ideen.

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