Fossilien : Seltsames aus dem Sand
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Dickinsonia costata: für die Ediacara-Fauna das, was der Tyrannosaurus rex für die Dinosaurier ist Bild: F.A.Z.-Dieter Rüchel
Sie sahen aus wie Wesen von einem fremden Stern: Die frühesten höheren Lebewesen auf Erden lebten vor mehr als einer halben Milliarde Jahren und waren anders als alles, was heute lebt. Was wissen wir über die Ediacara.
Am ehesten erinnern sie an Fischfilets. Daran ändert auch das Braun des Steins nichts, aus dem sich ihre gerippten Leiber nun, im Licht der Nachmittagssonne, besonders gut sichtbar hervorwölben. Auf die Beleuchtung kommt es an, sind sie doch schon vor langer Zeit selber durch und durch Stein geworden. Es ist Quarzit, verpreßter Sandstein, dessen plattig brechende Trümmer das riesige Farmgelände in einer abgelegenen Ecke Namibias bedecken. Den Sand hatte vor ungefähr 560 Millionen Jahren ein Fluß vor der Südküste eines Urkontinentes abgelagert. Ein flaches, aber wohl nicht allzu warmes Meer breitete sich hier aus, und darin lebten sie.

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Was waren sie? Ihr wissenschaftlicher Name Pteridinium (griechisch für „gewundener Farn“) täuscht. In Wahrheit weiß niemand wirklich, womit man es hier zu tun hat, ebensowenig wie mit den rund hundert anderen Lebensformen, deren Abdrücke anderswo in ähnlichen Gesteinen erhalten blieben: etwa auf der Halbinsel Avalon vor Neufundland, im englischen Charnwood Forest, am Weißen Meer in Rußland oder in den Ediacara Hügeln im Süden Australiens. Letztere gaben dieser Fauna ihren Namen. Und seit Mai 2004 heißt die erdgeschichtliche Epoche zwischen dem Ende der letzten globalen Eiszeit vor etwa 635 Millionen Jahren und dem Beginn des Kambriums vor 543 Millionen Jahren ganz offiziell „Ediacarium“.
Die „Zeit vor den Tieren“
Das Ediacarium ist die letzte Epoche des Proterozoikums, der „Zeit vor den Tieren“, die so heißt, weil man in ihren Ablagerungen lange keinerlei Lebensspuren entdeckte (siehe Paläontologie: Aufstieg und Untergang des Reiches Ediacara). Dies bereitete etwa Charles Darwin große Bauchschmerzen, denn die Sedimente aus dem nachfolgenden Kambrium strotzen vielerorts nur so vor Fossilien: Schwämme, Weichtiere, Gliederfüßler, ja sogar die ersten Chordaten (zu denen die Wirbeltiere und damit auch wir Menschen gehören), alle heutigen Tierstämme waren da urplötzlich vertreten.
Doch wie wir heute wissen, war diese sogenannte kambrische Artenexplosion kein Urknall. Das Leben auf der Erde ist viel älter, nach Ansicht der meisten Forscher mindestens 3,5 Milliarden Jahre. Nur kam es eben lange Zeit nicht über das Stadium von Mikroben hinaus. Der erste mit bloßem Auge sichtbare Organismus ist eine Alge, die sich in 1,85 Milliarden Jahren alten Sedimenten erhalten hat. Vor 1,5 Milliarden und vor einer Milliarde Jahren gab es Lebewesen, die wohl schon so etwas wie Körper hatten, deren Fossilien aber sehen aus wie Rosinen oder verschrumpelte Würstchen und sind wohl nur von Spezialisten als Lebensspuren zu erkennen.
Gerippte Fladen
Doch dann kamen die Ediacara. Etwa 580 Millionen Jahre alt ist Charnia wardi, ein sage und schreibe zwei Meter langes Fossil, das 2002 auf Neufundland zutage kam. Wie bei Pteridinium erkennt hier auch der Laie sofort, daß es sich um die Versteinerung von etwas einst Lebendigem handeln muß. Charnia gleicht einem langen, komplex geäderten Blatt mit einer diskusförmigen Basis, die ihm als Halterung am Meeresgrund gedient haben mag. Damit gehört Charnia schon zu den wenigen Ediacara, bei denen die Phantasie überhaupt soweit kommt, einen Bezug zu unserer heutigen Fauna herzustellen. Die anderen sind fremdartiger, als jeder Creature Designer in Hollywood sich ausdenken könnte, die gerippten Fladen von Dickinsonia etwa oder die bizarre Ernietta.