Ab in die Botanik : Spekulatius ist Überall
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Palmfett kommt auch in Spekulatius zum Einsatz. Bild: Charlotte Wagner
Die Palmölgewinnung bedroht so viele Pflanzen- und Tierarten wie kein anderes Agrarprodukt. Doch käme das weltweit benötigte Öl aus anderen Pflanzen, wäre alles noch viel schlimmer
Oblaten-Lebkuchen scheinen unbedenklich. Auch die „Herzen, Sterne und Brezeln“ aus der Familienpackung sind sauber, sogar die bei den Kindern so begehrten Dominosteine. Ausgerechnet auf der Schachtel mit den Mandel-Spekulatius lesen wir dann doch die berüchtigte Ingredienz: Palmfett.

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Der auch Palmöl genannte Rohstoff wird aus den Früchten der Ölpalme Elaeis guineensis gewonnen. Ursprünglich in Afrika beheimatet, wird sie heute überall in den Tropen angebaut, vor allem in Südostasien, wo sie seit Jahren im Ruf einer der umweltschädlichsten Agrarpflanzen überhaupt steht. Ganz zu Recht, wie auch einem Anfang dieser Woche in Nature Plants erschienenen Übersichtsartikel zu entnehmen ist. Demnach sind insgesamt 312 Tier- und Pflanzenarten durch die Palmölwirtschaft bedroht, darunter so kultige Spezies wie der Orang-Utan. Das sind mehr als bei jedem anderen Agrarprodukt, selbst Mais und Soja haben bislang lediglich 131 respektive 73 Arten an den Rand des Aussterbens gebracht.
Kennzeichnungspflicht mit Lücken
Damit der Verbraucher das Gefühl bekommt, etwas dagegen tun zu können, müssen palmölhaltige Lebensmittel in Europa seit 2014 als solche gekennzeichnet sein. Das gilt allerdings nicht für Pflegeprodukte oder die Auslagen der Fleischtheke, obwohl laut der Naturschutzorganisation WWF dreizehn Prozent des importierten Palmöls – die Europäische Union ist nach Indien der zweitgrößte Abnehmer – zu Futter für Schweine, Rinder und Geflügel verarbeitet werden. Tatsächlich schätzt der WWF, dass an der Erzeugung jedes zweiten Artikels im Sortiment deutscher Supermärkte Palmöl beteiligt ist. Wer also den Orang-Utans zuliebe vom Mandel-Spekulatius lässt, versündigt sich womöglich bei der Weihnachtsgans.
Leider ist auch dieses Ökoproblem zu vertrackt, um ihm allein durch Konsumentenmacht beizukommen. Diese ist einerseits durchaus existent. Wie die Autoren in Nature Plants schreiben, habe der besonders schlechte Ruf des Palmöls dazu geführt, dass unter den in diesem Feld aktiven Firmen sich heute deutlich mehr mit Selbstverpflichtungen hervortun, um ihrer Branche nicht noch mehr Regenwald zu opfern als Unternehmen der drei anderen besonders waldvernichtenden Agrarsektoren Soja, Holz und Rinderzucht. Tatsächlich habe sich etwa in Malaysia die Ausweitung des Anbaus verlangsamt.
Fressen und Moral
Andererseits ist ein Boykott der Ölpflanzer keineswegs die Lösung, nach der er aussieht. Auf Palmöl entfallen heute vierzig Prozent des globalen Pflanzenfettverbrauchs, doch wächst es auf weniger als sechs Prozent der weltweit mit Ölfrüchten bepflanzten Fläche. Denn Elaeis guineensis produziert Fett äußert effizient: Palm-Plantagen erzeugen 1,9 bis 4,8 Tonnen Öl pro Hektar; Soja, die Nummer zwei unter den Ölfrüchten, bringt es auf gerade mal 0,4 bis 0,8 und auch deutscher Raps nur auf 0,7 bis 1,8 Tonnen pro Hektar. Nun wird aber die weltweite Nachfrage nach Pflanzenfett in der Einschätzung der Nature-Plants-Autoren bis 2050 um 46 Prozent steigen. Soll diese mit etwas anderem als noch mehr Ölpalmen gedeckt werden, sind die Folgen für die Umwelt wohl noch schlimmer.
Da der prognostizierte Zuwachs aber weniger von einem steigenden Spekulatiusverbrauch in Europa bestimmt sein dürfte als von demographischen und soziokulturellen Dynamiken in Afrika und Asien, stehen wir wieder vor dem Phänomen, dass faktisch das Fressen vor der Moral kommt, normativ es aber genau umgekehrt sein müsste.