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Gespräch zum 1,5-Grad-Bericht : „Klimaschutz ist kein Wunschkonzert“

Wann werden die letzten Kohlekraftwerke wie hier in Hohenhameln in Niedersachsen abgeschaltet? Bild: dpa

Der Weltklimarat ringt in dieser Woche mit den Regierungen um die Begrenzung der globalen Erwärmung. 1,5 Grad statt zwei – geht das? Vier prominente Klimaforscher nehmen im F.A.Z.-Gespräch Stellung und meinen: Mission impossible!

          13 Min.

          Der Klimawandel ist Realität, die Aussichten düster. Kann die globale Erwärmung dennoch so begrenzt werden, dass die Temperaturen global gesehen nur noch minimal ansteigen – auf plus 1,5 Grad über dem vorindustriellen Mittelwert? Das prüft der zwischenstaatliche Weltklimarat IPCC im Auftrag aller Nationen, die das ursprüngliche Klimaziel 2 Grad auf der  Pariser Klimakonferenz 2015 durch ein „möglichst auf 1,5 Grad“ ergänzt haben. Kommenden Montag sollen die Empfehlungen des IPCC im 1,5-Grad-Sonderbericht des IPCC vorgelegt werden. Erst einmal aber müssen die Wissenschaftler in Südkorea mit den Regierungsvertretern um brisante Formulierungen ringen, denn es geht auch um die Pflichten – und die Versäumnisse – der nationalen Klimapolitiken. Im Vorfeld dieser Veröffentlichung haben wir in der Nationalakademie Leopoldina in Berlin vier prominente Klimaforscher getroffen, die ausgesprochen dezidiert Stellung zum 1,5-Grad-Sonderbericht nehmen.

          Joachim Müller-Jung
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Frage: Schon vor der Veröffentlichung des IPCC-Sonderberichts gab es Kritik aus Ihren Reihen, der Klimaforschung. Wie soll man das verstehen, wo doch eine Absenkung des Erwärmungsziels auf maximal 1,5 Grad über dem vorindustriellen Wert ganz Ihrer Philosophie eines möglichst schnellen und konsequenten Klimaschutzes entspricht?

          Unsere Gesprächsteilnehmer (v.l.): Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI); Thomas Stocker, Klimatologe und ehemaliger IPCC-Co-Vorsitzender der Universität Bern, Gerald Haug, Meeresgeologie und Paläoklimaforscher an der ETH Zürich und dem Max-Planck-Institut für Chemie; Hans Joachim (“John“) Schellnhuber, emeritierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitglied der deutschen Kohlekommission.
          Unsere Gesprächsteilnehmer (v.l.): Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI); Thomas Stocker, Klimatologe und ehemaliger IPCC-Co-Vorsitzender der Universität Bern, Gerald Haug, Meeresgeologie und Paläoklimaforscher an der ETH Zürich und dem Max-Planck-Institut für Chemie; Hans Joachim (“John“) Schellnhuber, emeritierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitglied der deutschen Kohlekommission. : Bild: Kerstin Rolfes, Universität Bern, privat, PIK/Batier

          Schellnhuber: Tatsächlich ist das wahrscheinlich der schwierigste Auftrag überhaupt, den das IPCC je hatte. Offen gestanden hätte ich den Auftrag zurückgegeben an die Politik, denn die Bewertung, wie gut das 1,5-Grad-Ziel noch machbar ist, können wir es einhalten oder nicht, da ist die Wissenschaft überfordert. Natürlich müssen wir um jedes Zehntelgrad kämpfen. Aber Fakt ist doch: Schon bei bislang grob einem Grad globaler Erwärmung sehen wir heftige Folgen, etwa Wetterextreme – und wir sind auf dem Weg in eine drei bis fünf Grad wärmere Welt bis Ende des Jahrhunderts, wenn wir nicht rasch umsteuern. Das sind die Größenordnungen, auf die es jetzt wirklich ankommt.

          Gab es Versuche, den Bericht zu modifizieren oder zu verhindern?

          Stocker: Das war schwierig. Spezialberichte werden normalerweise von Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen vorgeschlagen. In dem Fall war es die Klimarahmenkonvention, und das heißt, dahinter standen die Stimmen von 195 Ländern, der Hauptklient von IPCC. Das konnte man nicht ablehnen. Aber ich stimme zu, man hätte das wahrscheinlich zumindest modifizieren können. Ich hätte es viel lieber gesehen, wenn man es weiter gefasst und sich generell über Klimaziele Gedanken gemacht hätte.

          Schellnhuber: Wir haben in der zweiten Woche von Paris gewarnt, die Schraube weiter anzuziehen. Natürlich sind 1,5 Grad aus Sicht der Klimafolgenforschung sinnvoll, das macht etwa im Hinblick auf den Meeresspiegelanstieg einen qualitativen Unterschied. Aber es gibt ja noch immer keinen wirklichen Plan für die zwei Grad. Und weil man dieses Ziel aus den Augen verliert jetzt einfach ein noch deutlich ambitionierteres Ziel vorzuschlagen, das halte ich, nun ja, für moralisch unbeschwert. Die Politiker in Paris haben sich bis dahin absolut keine Gedanken gemacht, wie das zu schaffen sein wird. Wir brauchen statt ehrgeizigerer Ziele endlich ehrgeizigere Maßnahmen zur Klima-Stabilisierung.

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