Kampf gegen Aids : Ein Krebsmedikament zeigt Wirkung gegen HIV
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Die rote Schleife ist weltweit das Symbol für die Solidarität mit HIV-Infizierten. Bild: dpa
Hoffnung auf Heilung? Ein Krebsmedikament hat versteckte HI-Viren enttarnt – und könnte so eine nachhaltige Bekämpfung ermöglichen. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen.
Eine HIV-Infektion lässt sich gut behandeln, aber nicht heilen. Die antiretrovirale Therapie (ART) verhindert, dass sich HIV vermehrt und an andere Menschen weitergeben wird, aber das Virus bleibt im Körper. Das liegt daran, dass sich HIV während der Therapie im Genom langlebiger Immunzellen versteckt und dort vor den antiretroviralen Medikamenten und dem Immunsystem geschützt ist. Die Betroffenen müssen die Medikamente daher lebenslang einnehmen. Wird die Behandlung abgesetzt, melden sich die latenten Viren zurück und zirkulieren schnell wieder im Blut. Alle Versuche, sie aus ihren Reservoiren zu vertreiben, sind bislang gescheitert.
Thomas Uldrick vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle und seine Kollegen zeigen in „Science Translational Medicine“, dass dies womöglich einem Krebsmedikament gelingt. Die Hinweise darauf sind aber noch vage. Es handelt sich bei dem Wirkstoff um den therapeutischen Antikörper Pembrolizumab, der eine Bremse des Immunsystems löst und Immunzellen aus ihrer Lethargie holt. In der Krebsmedizin hat die Entfesslung des Immunsystems – die sogenannte Checkpoint-Hemmung – eine Euphorie ausgelöst, obwohl bisher nur wenige Tumorpatienten davon profitieren und die Nebenwirkungen erheblich sind.
Die Viren aus dem Versteck locken
Warum könnte der Antikörper ein Hoffnungsschimmer sein? HIV versteckt sich während der antiretroviralen Therapie in erschöpften CD4-positiven Gedächtniszellen, die sich über das Bremsprotein PD-1 aus der Schusslinie genommen haben. Die HIV-Gene werden dort kaum abgelesen und in Proteine übersetzt, obwohl das Erbgut der Immunzellen weiterhin aktiv ist. Dadurch fehlt dem Immunsystem jeder Hinweis auf die latenten Viren. Um sie zu enttarnen, müssten die Virus-Gene weiterhin aktiv sein und vermehrungsfähige HI-Viren bilden. Uldrick und seine Kollegen vermuten, dass PD-1 der richtige Hebel für die Enttarnung der latenten HI-Viren sein könnte. Das Protein dämpft nicht nur die Gedächtniszellen, sondern könnte auch bewirken, dass sich HIV in diesen Zellen sicher fühlt. Deshalb wollen sie PD-1 mit Pembrolizumab blockieren und so die Immunzellen aktivieren.
Da HIV-Infizierten ohne Krebs eine Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten und Pembrolizumab nicht zumutbar war, haben Uldrick und seine Kollegen 32 Patienten untersucht, die an beiden Krankheiten litten und deswegen beide Therapien erhielten. Nach der ersten Infusion stieg die Menge an viraler RNA in den Immunzellen und im Blut an. Der Antikörper muss das Virus also aktiviert haben. Die Forscher beobachteten auch, dass die Menge an Immunzellen mit vermehrungsfähigen Viren nach sechs Behandlungszyklen um das 1,4-Fache gestiegen war. Allerdings reichten diese Effekte nicht aus, um HIV aus den Rückzugsorten zu vertreiben. Uldrick und seine Kollegen hoffen nun, dass der Erfolg bei Menschen, die nur mit HIV infiziert sind und keine Krebserkrankung haben, größer ist.
Noch sind viele weitere Fragen offen. Wie oft und in welchem Abstand müsste die Behandlung wiederholt werden? Gibt es eine Dosis, bei der die Nebenwirkungen so niedrig sind, dass die Behandlung von Infizierten, die mit der antiretroviralen Therapie sehr gut leben können, gerechtfertigt ist? Hinzu kommt, dass frühere Untersuchungen mit einem anderen Antikörper gegen PD-1, dem Nivolumab, keine Wirkung gegen latente HI-Viren gezeigt haben.
Forscher von der Universität Oxford berichten in „Science“ zudem von einer virulenteren HIV-1-Variante vom Subtyp B. Diese ist offenbar vor mehr als zwanzig Jahren entstanden, wurde aber jetzt erst bei 109 HIV-Infizierten in den Niederlanden entdeckt. Die Variante erzeugt eine höhere Viruslast im Blut, ist ansteckender und führt schneller zum Niedergang der CD4-positiven T-Zellen und damit schneller zur Immunschwäche Aids. Trotzdem sei die neue Variante kein „Super Aids“, schreibt Joel Wertheim von der University of California in San Diego in einem Begleitkommentar. Die antiretrovirale Therapie und die gängigen Schutzmaßnahmen wirken weiterhin.