Die lieben Kleinen (1) : Mutters Glück, Mutters Leid
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Bild: F.A.Z./Isabel Klett
Wenn ein Kind geboren wird, ist das für viele der größte Moment im Leben. Was davor und danach kommt, ist aber auch nicht ohne.
„Hauptsache gesund.“ Kaum einen Satz hören werdende Eltern häufiger. Und dafür mühen sie sich ab: Neun Monate lang gibt es Kaffee nur noch ohne Koffein, morgens dafür Yoga und abends Folsäure-Pillen. Neun Monate lang klappern sie die Infoabende der regionalen Entbindungskliniken ab und trainieren Atmen und Entspannen für eine Geburt möglichst ohne Schwierigkeiten.
Dieser Idealfall sieht seit Millionen Jahren gleich aus. Und zwar in etwa so: Das Zeichen zum Aufbruch soll das Kleine geben dürfen, denn vermutlich werden die Wehen angeregt, wenn das Kind gegen Ende der Schwangerschaft verstärkt ein für die Lungenentfaltung nötiges Protein bildet. Während der Geburt gilt: ausreichend Sauerstoff und keinen Streß. Und das heißt vor allem: keinen Streß für die Mutter, also keinen Hunger, keinen Durst, keine Sorgen, drum herum vertraute Begleiter und Begleiterinnen. Erschöpft, aber wach und gesund - so starten Vater, Mutter, Kind am besten ins neue Familienleben.
Laut, brutal und blutig
Doch die Realität sieht, wie immer, anders aus. Von jährlich gut 700.000 Kindern in Deutschland werden nur einige zehntausend streßfrei geboren. Weil es nämlich in der Regel Komplikationen gibt und weil die Klinikroutine nervt: Einlauf, Schamhaarrasur und stundenlanges Liegen, während das CTG-Gerät pochend die Herztöne und Wehen aufzeichnet. Alle halbe Stunde eine Hand zwischen den Beinen, die kontrolliert, ob und wie sich der Muttermund öffnet. Essen und Trinken ist verboten, für den Notfall. Obwohl ziemlich viele Geburtshaltungen möglich sind - in der Wanne oder am Seil oder auf allen vieren -, muß sich das Baby meist aus einer auf dem Rücken liegenden Mutter winden, statt sich von der Schwerkraft helfen zu lassen.
Für viele Frauen ist das eigene Kind der erste Säugling, den sie im Arm halten, die eigene Geburt die erste, über die sie nicht nur lesen. Werdende und erfahrene Mütter tauschen sich heute nur noch selten aus. Und wenn, dann im Stile von "Schön ist das nicht, aber das steht ja schon in der Bibel". Oder: "Da müssen wir alle durch." Und: "Wenn das Kind erst mal da ist, hast du alles sofort vergessen."
Woher sollen Frauen schon wissen, daß eine Geburt so erhaben nicht ist, sondern laut, brutal und blutig? Daß Apparate, Instrumente und Medikamente doch nicht alle Mühen und Schmerzen verschwinden lassen? Daß auch ein gesundes Kind viele frischgebackene Mütter nicht gleich vor Liebe überfließen läßt? Daß der in der Ratgeberliteratur zugestandene eine Heultag im Wochenbett selten ausreicht, weil das Kind mit der Zange oder der Saugglocke aus der Mutter herausgezerrt wurde? Weil es allein in seinem Wärmebettchen in der Kinderklinik liegen muß, weil die im Notfall hektischen Handgriffe zur OP-Vorbereitung und der unfreundliche Anästhesist die Frau noch bis in ihre Träume verfolgen? Woher sollen Frauen wissen, daß es zwar nicht im eigentlichen Sinne schön ist, ein Kind auf die Welt zu bringen, aber bewegend und bedeutend? Und daß man dieses Erlebnis nicht ohne Not der Klinikroutine opfern sollte?
Hochtechnologie oder intime Atmosphäre?
Die Suche nach dem besten Ort für die Entbindung wirft jedenfalls einige Fragen auf. Geht es um medizinische Hochtechnologie oder eher um eine möglichst intime Atmosphäre, in der die Gebärende weniger durch Raum- und Schichtwechsel, Geräte und Formalitäten gestört wird? Soll es die Uni-Klinik sein oder lieber ein Geburtshaus? Lieber das Krankenhaus mit dem jovialen Chefarzt, der den Infoabend mit Dias von Pharaonengebärstühlen auflockerte? Oder das, wo die Hebammen zum Geburtsgespräch einladen, um die Frauen kennenzulernen, damit sie wissen, ob ihnen mit Schmerzmitteln oder Durchhalteparolen besser gedient ist? Sind viele Parkplätze ein wichtiges Kriterium oder eine niedrige Dammschnittrate? Familienzimmer oder Frühstücksbüfett, Babypaß oder Stillberaterin, Gebärhocker, Akupunktur oder Homöopathie?