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Dekarbonisierung : Der Dauerbrenner

  • -Aktualisiert am

Ich war ein Schachtelhalm - Steinkohle aus dem Ruhrgebiet. Bild: Rüchel, Dieter

Der Jubel war groß: Die Welt soll bis Ende des Jahrhunderts dekarbonisiert werden, kündigten die G7-Staaten vergangene Woche an. Doch bedeutet das wirklich den Ausstieg aus der Kohle? Schön wär’s.

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          Man musste in der vergangenen Woche schon zweimal hinhören, um den Reaktionen auf den G7-Gipfel im bayrischen Elmau wirklich zu glauben. Dabei standen nicht etwa Weißwurst zuzelnde Regierungschefs im Mittelpunkt, sondern die Abschlusserklärung der sieben führenden Industrieländer zum Klimawandel. Es gab Lob, teilweise sogar Jubel – und das ausgerechnet von Umweltorganisationen wie Greenpeace und Germanwatch. Selbst ökologische Hardliner wie Oxfam sprachen von einem „positiven Signal“. Wie bitte?

          Am Ende war nach zwanzig Jahren voller Misserfolgen in der Klimapolitik ein einziges, wenngleich sperriges Wort der Auslöser für jene erstaunliche Reaktion: Dekarbonisierung. Die Deutungen reichten vom Ende des fossilen Zeitalters bis zum Beginn einer globalen Energiewende. Doch was ist mit Dekarbonisierung genau gemeint? Und ist ein globaler Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas überhaupt realistisch?

          Die Mehrdeutigkeit des Wortes „Dekarbonisierung“

          Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin kann die allgemeine Euphorie nicht teilen. Ihn erinnere der Gipfel stark an frühere Gelegenheiten. „Solche Erklärungen waren nicht weniger ehrgeizig, hätten am Ende aber auch nichts verändert“, sagt er. Im Gegenteil: Die Emissionen der Treibhausgase steigen weiter. Bis heute steht kein verbindliches Klimaabkommen. Auch die Erklärung von Elmau ist bisher lediglich eine Ankündigung und keine Verpflichtung. So etwas kennt man ja bereits.

          Entscheidend ist nach Ansicht des Politikexperten Geden aber nicht die Verhandlung selbst. Es ist der Begriff Dekarbonisierung, der bewusst viel Interpretationsspielraum lasse. „Insofern hat mich der überschwängliche Jubel über die G7-Erklärung schon überrascht“, sagt er. Ein globaler Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern, wie er von Umweltschützern nun gefeiert wird, ist Geden zufolge nur eine mögliche Deutung des Begriffs, allerdings eine willkommene, da die Organisationen dadurch „kampagnenfähiger“ würden. Geden selbst kann sich unter Dekarbonisierung aber auch etwas anderes vorstellen. Etwas, das Umweltschützer nicht gerne hören – nämlich Geoengineering, also der bewusste Eingriff in die Stoffkreisläufe des Planeten, wie es selbst in den Berichten des Weltklimarates der Vereinten Nationen IPCC mittlerweile erwogen wird.

          Ein Taschenspielertrick

          Die Überlegung dabei: Die Länder könnten weiterhin und bis Ende des Jahrhunderts Kohle, Öl und Gas verfeuern, wenn sie eine Technik fänden, der Atmosphäre gezielt CO2 zu entziehen. Auch Wiederaufforstung, Ozeandüngung und andere „fancy technologies“ könnten fossile Treibhausgasemissionen theoretisch ausgleichen – und das alles im Einklang mit dem angekündigten Dekarbonisierungsziel. Dabei ist völlig offen, ob diese Technologien etwas taugen, die Atmosphäre solche Eingriffe verträgt - und nicht doch Schlimmeres anrichten. Von völkerrechtlichen Bedenken gegen derartige Eingriffe einmal abgesehen.

          „Kohleländer wie Kanada werden solche kreativen Lösungen vorantreiben“, sagt Geden. Schließlich gehe es in den Treibhausgas-Budgets bloß darum, am Ende eine Netto-Null zu schreiben. Damit die Rechnung stimmt, würden bereits jetzt diese sogenannten negativen Emissionen in klimaökonomischen Modellen berücksichtigt. Geden hat auf diese Option kürzlich in einem Kommentar in Nature hingewiesen und er bezeichnet sie als klassischen Taschenspielertrick: Die Welt überzieht erst einmal ihr Emissionsbudget und will die Schulden später zurückzahlen. Aber das ist zunächst einmal nur ein Plan. Ob er eingehalten wird, ist nicht nur technisch unklar.

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