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Psychologie der Isolation : Diese Einsamkeit im Kopf

  • -Aktualisiert am

Der Lockdown war auch mit einer psychischen Belastung verbunden. Bild: Maximilian von Lachner

Mit Covid-19 kamen die Leere und ein Gefühl des Alleinseins, das viele nicht kannten. Dabei hängt die Widerstandskraft der Menschen gerade in Zeiten der Krise von der Verlässlichkeit ihrer sozialen Beziehungen ab. Wie wirkt sich das auf Psyche und Körper aus?

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          Zu den Schattenseiten der Coronavirus-Pandemie gehört zweifellos die soziale Isolation, die die Betroffenen in ihren Krankenbetten, in den Alters- und Pflegeheimen und in der Quarantäne ertragen müssen. Was diese Absonderung für die mentale Gesundheit der Einzelnen bedeutet, lässt sich heute nicht einmal ansatzweise abschätzen. Die Berichte der Betroffenen offenbaren eine tiefe Not und Einsamkeit, wie ein Erlebnisbericht der amerikanischen Ärztin Sondra Crosby in der Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ zeigt. Sie habe während ihrer vierwöchigen akuten Covid-19-Erkrankung unter quälender Angst, Hilf- und Hoffnungslosigkeit gelitten, schreibt Crosby. Sie sei trostlos gewesen, habe Todesangst gehabt, sei von schrecklichen Albträumen und Halluzinationen gequält worden und habe unter schweren Schuldgefühlen gelitten.

          Die Fragen, wo sie sich angesteckt habe und wen sie möglicherweise infiziert habe, hätten sie nicht mehr losgelassen. Sie hätte gerne jemanden zur Seite gehabt, diesen Gedanken aber verworfen, weil sie ihre Familie nicht gefährden wollte. Ihr sei klar gewesen, dass sie diesen Weg allein gehen müsse. Auch ihr Mobiltelefon sei keine Hilfe gewesen, schreibt Crosby weiter, weil sie es nicht mehr habe bedienen können. Sie habe schlichtweg vergessen, wie das geht. Nach der akuten Phase hat sie sich auch nur schleppend erholt, sie leide unter Erinnerungslücken und habe Panikattacken, wenn sie sich überfordert fühle, schreibt die Ärztin. Sie sei durch Covid-19 viel langsamer und dünnhäutiger geworden. Berichte wie von Crosby gibt es inzwischen zuhauf.

          Soziale Isolation und Einsamkeit sind nicht dasselbe

          Im Grunde ist diese Pandemie ein gigantisches seelisches Experiment. Dabei hängt die Widerstandskraft der Menschen gerade in Zeiten der Krise von der Qualität und der Verlässlichkeit ihrer sozialen Beziehungen ab. Es gibt eine wachsende Zahl an Studien, die zeigen, dass soziale Isolation und Einsamkeit Ängste wecken, Depressionen fördern, Schlaflosigkeit begünstigen und der Gesundheit schaden. Allerdings sind soziale Isolation und Einsamkeit nicht dasselbe.

          Soziale Isolation lässt sich anhand von Kontakten messen. Einsamkeit ist dagegen das nagende, negative Gefühl, dass etwas fehlt, was man gerne hätte. Nicht jeder, der sozial isoliert ist, ist einsam, und nicht jeder, der sozial eingebunden ist, fühlt sich nicht einsam. Die negativen Folgen sind nicht erst durch die Coronavirus-Pandemie in den Blick geraten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO äußerte sich im vergangenen Jahr besorgt, weil immer mehr Menschen allein leben und ihre Zeit auch allein verbringen. Nach einer Statistik der Europäischen Union treffen sich sieben Prozent der Europäer nicht einmal mehr jedes Jahr mit Freunden oder Verwandten. Wie desaströs soziale Isolation für die Psyche ist, haben auch einige spektakuläre Selbstversuche gezeigt. Im Jahr 1972 verbrachte der Forscher Michel Siffre sechs Monate allein in einer Höhle. Als er wieder ans Tageslicht kam, war er völlig verwirrt. Körperlich sei es nicht anstrengend gewesen, aber psychisch sei es die Hölle gewesen, sagte er später über sein Experiment. Der amerikanische Poker-Spieler Rich Alati musste sich 2018 nach zwanzig Tagen mit einer hohen Summe von einer Wette freikaufen. Er wollte dreißig Tage allein im Dunkeln verbringen. Schlagzeilen hat auch der Fall des Amerikaners Robert King gemacht. King saß 29 Jahre für einen Mord in einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft, den er nie begangen hat. Als er endlich freikam, konnte er Gesichter nicht mehr gut erkennen, sein Augenlicht hatte gelitten und sein Gedächtnis war dauerhaft geschädigt.

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