Mathematiker Peter Scholze : Räume, die vor ihm niemand sah
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Ein Hit, trotz des doch eher kleinen Leserkreises: Ausriss aus Peter Scholzes epochaler Arbeit „Perfectoid Spaces“ von 2011. Vor allem dafür bekam er jetzt die Fields-Medaille. Bild: F.A.S.
Wofür hat der Mathematiker Peter Scholze eigentlich die Fields-Medaille bekommen? Ein Erklärungsversuch.
Wer wenigstens eine Ahnung davon bekommen möchte, worum es Peter Scholze geht, sollte sich die Aufzeichnung seiner Vorlesung zum Bonner dies academicus vom Mai vergangenen Jahres ansehen. Es ist so ziemlich der einzige seiner zahlreichen online verfügbaren Vorträge, den er auf Deutsch gehalten hat. Aber das ist nicht der Grund, warum man als Nichtfachmann dort mehr, das heißt: überhaupt etwas versteht. Vielmehr ist der junge Mathematikprofessor hier bestrebt, sich einem breiteren Publikum mitzuteilen. Dabei bringt er es über sich, Sätze zu sagen wie: „Die ganzen Zahlen kann man sich vorstellen als Funktionen in einem dreidimensionalen Raum. Und die Primzahlen entsprechen Knoten in einem dreidimensionalen Raum“, um gleich anzufügen: „Es ist unklar, was das überhaupt heißen soll. Man darf diese Aussage auf keinen Fall zu wörtlich nehmen.“
Wie man es denn dann nehmen soll, das ist das Problem. Die moderne Mathematik erforscht ein gewaltiges Universum aus immateriellen Strukturen, die oft aufeinander aufbauen oder anderweitig konzeptionell zusammenhängen. Die Mathematiker geben ihnen Namen, wie das auch andere Forscher mit ihren Gegenständen tun. Aber wenn Botaniker oder Planetologen mit Begriffen wie „Chloroplast“ oder „Ionosphäre“ mitunter auch recht exotische und komplexe Dinge erfassen, kann jeder, der hinreichend Geduld aufbringt, sie sich erklären lassen, ohne gleich das Fach studiert haben zu müssen. Denn meist ist man in wenigen Erklärschritten bei Dingen angelangt, unter denen man sich etwas vorstellen kann, weil sie aus dem Alltag oder zumindest der Schule bekannt sind.
Mehr als nur ein guter Mathematiker
In der modernen Mathematik aber wären statt Schritten oft ganze Weltreisen zu unternehmen. Und die Sache wird nicht einfacher dadurch, dass viele mathematische Begriffe ihre Namen Alltagskonzepten wie „Raum“ oder „Funktion“ entlehnen, mit denen sie, wenn überhaupt, nur noch sehr entfernt etwas zu tun haben. Mathematiker müssen einen ganzen Kosmos solcher Konzepte samt ihrer Eigenschaften überblicken, und gute Mathematiker sehen dort hin und wieder neue Beziehungen, mit denen sich Fragen über alte Beziehungen einfacher oder überhaupt erst beantworten lassen. So kommt Scholze in besagtem Vortrag auf die Lösungen quadratischer Gleichungen zu sprechen, auf Primzahlen und auf räumliche Objekte. Alles drei kennt man aus der Schule, wo sie aber nie etwas miteinander zu tun haben. Dass da durchaus ein Zusammenhang besteht, kann auch Scholze seinem nichtmathematischen Publikum keineswegs demonstrieren, sondern nur referieren, am Ende gar nur vage andeuten. Doch kann allein die Mitteilung über die Existenz derartiger Zusammenhänge Anlass zum Staunen sein.
Scholze ist mehr als nur ein guter Mathematiker. Mit 24 promovierte der heute 30-Jährige, noch im selben Jahr wurde er Professor an der Universität Bonn, erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter den Leibnizpreis, ist seit diesem Jahr auch Direktor am Bonner Max-Planck-Institut für Mathematik und seit vergangenem Mittwoch, zusammen mit drei Fachkollegen aus Princeton, Zürich und Cambridge, Träger der Fields-Medaille, der höchsten Auszeichnung seiner Zunft. Berücksichtigt man alles, was Insider schon seit Jahren über ihn sagen, dann ist er in seinem Forschungsgebiet der Beste der Welt.