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Hitzewelle in Südasien : Wie feuchte Hitze zum Killer wird

Selbst Stehplätze sind rar am Juhu Beach von Mumbai, wenn eine Gluthitze wie in beiden vergangenen Wochen die Menschen zur Abkühlung ans Meer treibt. Bild: AP

Lebensfeindliche Hitzewellen wie derzeit in Südasien werden wahrscheinlicher, und im Zusammenspiel mit feuchter Luft könnten sie Teile des Planeten unbewohnbar machen. Forscher tasten sich an die Grenzen des Ertragbaren heran.

          7 Min.

          Extreme Wochen durchleiden die Menschen in Indien und Pakistan. Ein vorläufiger Höhepunkt der brutalen Hitzewelle wurde am Wochenende erreicht: 51 Grad meldete die Wetterstation im pakistanischen Jacobabad am Samstag, ein neuer Rekord wurde knapp verfehlt. Für Mitteleuropäer sind das unvorstellbare Werte, aber die trockene Gluthitze bringt selbst die hohe Temperaturen gewöhnten Menschen in der dicht bevölkerten Region an die Belastungsgrenze. Beispiellos ist die Hitzewelle vor allem wegen ihrer Dauer, seit März jagt ein Rekord den nächsten. Klimaforscher sorgen sich, was noch kommt – kurzfristig in diesem Frühsommer, aber vor allem in Zukunft. Sechzig Grad und mehr scheinen auf dem Planeten Erde nicht mehr undenkbar, der Klimawandel könnte Südasien in eine Sauna verwandeln, aus der es kein schnelles Entrinnen gibt.

          Andreas Frey
          Freier Autor in der Wissenschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Noch beängstigender ist ein Szenario, zu dem deutlich weniger geforscht wird: extreme Schwüle. Feuchte Hitze belastet den Organismus stärker als trockene Hitze, das spürt jeder bei dampfigen Gewitterlagen wie in dieser Woche: Je höher die Luftfeuchte im Sommer, desto lauter darf gejammert werden. Das Einzige, was dann hilft, sind Trinken und Schwitzen. Verwandelt sich die Außensauna allerdings in eine veritable Dampfsauna, hilft selbst das nicht mehr. Heiße und vollständig gesättigte Luft nimmt kein Wasser mehr auf, Schweißtröpfchen auf der Hautoberfläche können nicht mehr verdunsten. Die natürliche Kühlung des Menschen versagt, und so wird feuchte Hitze zum Killer: Ohne Schwitzen überhitzt der Körper, die Körperkerntemperatur steigt pro Stunde um mehr als ein Grad an. Der Tod tritt nach wenigen Stunden ein.

          Dieses Horrorszenario entstammt keinem Hollywooddrehbuch, sondern könnte bittere Wirklichkeit in einem sich erhitzenden Klima werden. Es tritt ein, wenn die Luft sehr heiß ist und die Luftfeuchte gleichzeitig sehr hoch – Meteorologen sprechen von einer sehr hohen Feuchttemperatur. Dieses Maß für Schwüle gibt die Temperatur an, auf die eine feuchte Oberfläche wie die verschwitzte Haut eines Menschen durch Verdunstung maximal gekühlt werden kann. Bei 35 Grad ist ein kritischer Wert erreicht, dann ist ein Mensch physikalisch nicht mehr in der Lage, Wärme an die Umgebung abzuführen, weil die Temperatur der Hautoberfläche genau der Feuchttemperatur entspricht. Physiologen sprechen daher von der maximalen Belastungsgrenze des Menschen.

          Wie viel hält ein Körper aus?

          Der Klimaforscher Steven Sherwood von der University of New South Wales in Sydney legte vor zwölf Jahren in der Fachzeitschrift „PNAS“ eine umfassende Studie zum Thema vor und sorgte für große Diskussionen in der Wissenschaft. Damals erklärte er die thermodynamische Betrachtung dieses tödlichen Phänomens so: „Das Limit der menschlichen Belastbarkeit ist der Punkt, an dem man überhitzen würde, selbst wenn man triefend nass und nackt vor einem großen Ventilator im Schatten läge.“

          Eine halbe Stunde hält ein gesunder Mensch so etwas vielleicht aus, dann wird es lebensgefährlich. Doch die extremen Belastungen für den Körper beginnen nicht erst bei einer lebensfeindlichen Feuchttemperatur von 35 Grad Celsius, sondern deutlich früher. Schon bei Werten um 30 Grad, wie sie derzeit in Indien und Pakistan ermittelt werden, wird es für Ältere, Säuglinge und Vorerkrankte gefährlich. Eine aktuelle amerikanische Untersuchung kam vor zwei Monaten sogar mit jungen, gesunden Probanden zum dem Ergebnis, dass Feuchttemperaturen von 31 Grad bereits kritisch sind. Schon ab diesem Wert stieg die Körperkerntemperatur der Probanden an, heißt es in der Studie, die im „Journal of Applied Physiology“ erschienen ist.

          Im Gegensatz zum vertrauten Maß der Lufttemperatur ist die Feuchttemperatur keine einfache Größe. Gemessen wird sie mit einem Psychrometer, das aus zwei Thermometern besteht. Das eine misst die Lufttemperatur, das andere ist in einen feuchten Baumwollstrumpf gewickelt, um die Feuchttemperatur zu ermitteln. Beträgt die Luftfeuchte hundert Prozent, zeigen beide Thermometer dieselbe Temperatur an. Sonst liegt die Feuchttemperatur immer unter der Lufttemperatur: Je trockener die Luft, desto niedriger ist sie, desto effektiver kann Schweiß die Haut kühlen.

          Werden weite Landstriche unbewohnbar?

          Von lebensgefährlichen Feuchttemperaturen sind die meisten Regionen noch weit entfernt. Weltweit steigt die Feuchttemperatur glücklicherweise selten über die Dreißig-Grad-Marke. Doch das muss nicht so bleiben. Südasien, die Arabische Halbinsel sowie küstennahe Teile Afrikas, Australiens und Mittelamerikas gelten als feuchte Hotspots und werden intensiv erforscht. Der Frankfurter Klimaforscher Joachim Curtius hält Dampfsaunabedingungen rund um das Arabische Meer und den Persischen Golf schon in naher Zukunft für ein realistisches Katastrophenszenario mit möglicherweise sehr vielen Todesfällen. „Meines Erachtens ist dieses Risiko bisher unterschätzt und zu wenig bekannt“, sagt er. Besonderes Augenmerk richten gewissenhafte Wissenschaftler wie er dabei auf die besonders vulnerablen Länder am Arabischen Meer, die sich der kritischen Grenze langsam nähern. Einige Hundert Millionen Menschen leben hier in Pakistan und Indien in einem Klima des zunehmenden Hitzestresses. Die Zukunft dieser Region ist massiv bedroht.

          In Lahore, Pakistan, schwimmen Menschen in einem Kanal, um sich abzukühlen. Die Wetterstation in Jacobabad registrierte am Wochenende 51 Grad Celsius.
          In Lahore, Pakistan, schwimmen Menschen in einem Kanal, um sich abzukühlen. Die Wetterstation in Jacobabad registrierte am Wochenende 51 Grad Celsius. : Bild: dpa

          An der ETH Zürich forscht Erich Fischer an solchen Extremszenarien. Als einer der Leitautoren des jüngsten Weltklimaberichts möchte er besser begreifen, wie solche Bedingungen genau entstehen und ob deshalb irgendwann ganze Landstriche unbewohnbar werden. Die Nähe zum warmen Ozean, die großen Flüsse und weite Bewässerungsflächen machen die Region zwischen Indus und Ganges anfällig für hohe Luftfeuchte. Fischer ist ein fitter Mittvierziger, der trotz Hitze gerne laufen geht. Bei großer Schwüle komme er jedoch schnell an seine Belastungsgrenze, erzählt er. Und das seien nur mitteleuropäische Werte. Extreme Hitze hält er zwar ebenfalls für gefährlich, aber „selbst im Death Valley kann man mit ausreichend Trinken überleben“. Trockene Hitze habe kein physiologisches Limit.

          Bei extremen Feuchttemperaturen sinkt die Überlebenschance hingegen schnell gegen null. Solche Bedingungen sind kein gruseliges Zukunftsszenario, sondern vereinzelt schon bittere Realität. Klimaforscher haben Hinweise gefunden, dass das Limit der Belastbarkeit bereits mehrfach im heutigen Klima aufgetreten ist. Vor zwei Jahren legte Colin Raymond vom California Institute of Technology im Fachmagazin „Science Advances“ eine Datenanalyse zu den Jahren 1979 bis 2017 vor und konnte solche Extrembedingungen nachweisen. Demnach wurden auf der Arabischen Halbinsel schon achtzigmal Feuchttemperaturen von mehr als 33 Grad erreicht, zweimal knackte die Temperatur sogar kurzzeitig die Schwelle von 35 Grad.

          Und noch etwas zeigte die Studie: Feuchte Extremhitze trat am Ende des Untersuchungszeitraums doppelt so häufig auf wie am Anfang. Ein Ereignis hat die Klimaforscher besonders elektrisiert: die letzte Juliwoche 2015 am Persischen Golf. Eine Woche lang herrschte damals in der Region außergewöhnliche Hitze, die Temperatur stieg täglich auf mehr als 40 Grad. Am letzten Julitag erreichte die Hitzewelle ihren Höhepunkt: Im irakischen Basra und iranischen Omidiyeh kletterte das Thermometer auf 51 Grad, das Wasser im Golf erhitzte sich auf mehr als 34 Grad. Am späten Nachmittag drehte der Wind auf Südost, und die Waschküchenluft über dem Golf zog landwärts. In der iranischen Hafenstadt Mahschahr stieg die Temperatur dadurch auf 46 Grad, die Luftfeuchte erreichte 49 Prozent – umgerechnet fast 35 Grad Feuchttemperatur. Für kurze Zeit herrschten Bedingungen, die ohne eine künstliche Kühlung nicht zu überleben sind. Bis heute gilt das Ereignis als schlimmste feuchte Hitzewelle, die jemals aufgezeichnet wurde.

          Die Beobachtungen passen noch nicht zu den Labordaten

          Epidemiologen befürchteten eine hohe Übersterblichkeit, vor allem in den Bevölkerungsgruppen, die mit extremen Belastungen nur schlecht zurechtkommen. Also werteten sie Sterbezahlen aus. Doch in den Daten fand sich kein Hinweis auf eine erhöhte Mortalität, und auch in anderen Studien ließ sich bislang nicht nachweisen, dass Feuchte zusammen mit Hitzewellen zu höherer Mortalität führt. Wie kann das sein?

          An der maximalen Belastungsgrenze von 35 Grad Feuchttemperatur gibt es jedenfalls keine Zweifel. Das dafür notwendige physiologische Wissen ist komplett, die Zusammenhänge sind spätestens seit den Experimenten des amerikanischen Militärs in den fünfziger Jahren klar. Hitzestress bedeutet eben mehr als hohe Temperaturen, daher wurden mehr als 120 verschiedene Hitzestressindikatoren entwickelt, um die Auswirkungen auf den menschlichen Körper näherungsweise abzubilden. Darunter sind die „Wet Bulb Globe Temperature“ des amerikanischen Militärs, der Hitzeindex des amerikanischen Wetterdiensts NWS oder der Humidex aus Kanada.

          Dass Schwüle desto gefährlicher für den Organismus ist, je extremer sie wird: das sei in vielen Laborstudien an Tieren und Menschen bestätigt worden, sagt Antonio Gasparrini, Epidemiologe an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Allerdings zeigen reale Untersuchungen gewaltige Unterschiede zwischen Regionen und Bevölkerungen. Das ist das große Problem mit der feuchten Hitze: Die Studienergebnisse, die die Laborstudien erwarten lassen, passen nicht zu den epidemiologischen Untersuchungen. Der Effekt der feuchten Hitze schimmert bisher noch nicht durch. „In der Tat bestätigen die Ergebnisse der epidemiologischen Untersuchungen nicht die Hypothesen der Laborstudien“, sagt Gasparrini, „genauso wenig, wie sie das physiologische Wissen bestätigen, wonach feuchte Hitze notwendigerweise schlimmer ist als trockene Hitze.“

          Welche Rolle spielt das Verhalten jedes Einzelnen?

          Ein Grund hierfür könnte sein, dass die untersuchten Daten nicht die besten sind. Das trifft nicht auf Wetterdaten zu, die gebe es in hoher Abdeckung, Auflösung und akzeptabler Verlässlichkeit, erklärt Gasparrini. Gute Sterbedaten hingegen stehen nur aus den Industrieländern zur Verfügung. Hinzu kommt der Faktor Mensch: Wie belastend feuchte Hitze ist, hängt auch vom Verhalten jedes Einzelnen ab. Das können die Hitzestressindikatoren nicht abbilden. Insofern seien sie „mit Vorsicht zu genießen“, sagt Jakob Zscheischler, Hydrosystemforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. So macht es einen großen Unterschied, welche Kleidung man trägt, ob man arbeitet oder ruht, ob ein Lüftchen weht oder ob man der direkten Sonne ausgesetzt ist. Entscheidend ist außerdem, wie lange die unerträglichen Bedingungen anhalten – und ob man Zugang zu Kühlräumen hat.

          Das exakte Muster von feuchter Hitze und Mortalität bleibt also vorerst ein Rätsel. Um es zu lösen, haben sich nun Epidemiologen und Klimaforscher unter dem Dach der Europäischen Geowissenschaftler-Union (EGU) zusammengetan. Eine Erklärung könnte sein, dass Feuchte auf lokaler Ebene zeitlich kaum variiert, die Temperatur aber sehr wohl. Und da epidemiologische Modelle oft kleinräumig angelegt sind, lässt sich ein möglicher Feuchteeffekt lokal gar nicht aufspüren, höchstens zwischen Regionen oder Ländern. Unterschiede in der Temperatur fallen da schon eher auf.

          Sicher ist nur eines: Die Uhr tickt. Feuchttemperaturen von 35 Grad könnten in den vulnerablen Regionen bei einem globalen Temperaturanstieg von drei Grad beinahe jährlich auftreten, die Wahrscheinlichkeit für feuchte Hitze lässt sich in den Klimamodellen ziemlich genau vorhersagen. Damit ist klar, was auf dem Spiel steht: das Überleben ganzer Regionen dieser Welt.

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