Papierrecycling in der Antike : Literatur in Mumien
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In diesem Papyrusballen, mit dem wahrscheinlich eine Mumie ausgestopft war, fand man Teile eines Werkes des Artemidor von Ephesos. Die Zahl „2“ markiert ein kleines rechteckiges Symbol für eine Stadt der in dem Manuskript enthaltenen Landkarte. Bei „3“ zeigen sich Schriftzüge aus einem etwa in die Regierungszeit Kaiser Domitians datierbaren Dokuments. Bild: Fondazione per l’Arte della Compagna di San Paolo
Papyrus war das Papier der Antike, das besonders im alten Ägypten verbreitet war. Doch über die Herstellung und das Recyclings des Materials ist vergleichsweise wenig bekannt.
Auf dass es den Fischen nicht an Einwickelpapier fehle und den Oliven nicht an Tüten / oder die schmutzige Küchenschabe ärmlichen Hunger fürchte, / nehmt hinweg, ihr Musen, was ich verlor: die Papyri vom Nil.“ So beginnt ein Epigramm des römischen Dichters Martial. In der Regel dürften die Fischhändler damals ihre Ware eher in „charta emporitica“ eingewickelt haben, „Kaufmannspapier“. „Zum Schreiben ist es unbrauchbar und wird benutzt, um [anderes] Papier einzuwickeln oder Waren zu verpacken“, schrieb um das Jahr 70 nach Christus Plinius der Ältere, der sich im 13. Buch seiner „Naturalis historia“ ausführlich – wenn auch nicht immer sonderlich zuverlässig – mit dem Papyrus beschäftigt. Laut Plinius war emporitica die billigste von sechs Qualitätsstufen, in denen Papyrusbögen damals erhältlich waren, die teuerste hieß „Augusta“ – Kaiserpapier.
Sehr viel mehr ist über die antike Papyrusbranche leider nicht überliefert. Das Produkt des Sauergrasgewächses Cyperus papyrus war ein allzu alltäglicher Artikel, zumal für Schriftsteller, um darüber viele Worte zu machen. „Wir wissen, dass Papyrus recycelt wurde, aber die praktische Organisation dieses Recyclings ist für uns nicht greifbar“, schreibt die finnische Papyrologin Erja Salmenkivi 2020 in einem Buchbeitrag. Schon das Produktionsverfahren von Papyrusbögen ist nirgendwo zuverlässig überliefert. Zwar gibt Plinius eine Beschreibung, doch wie der amerikanische Papyrologe Naphtali Lewis einmal bemerkte, erweckt die Stelle nicht den Eindruck, der römische Gelehrte habe die Papyrusherstellung jemals selbst miterlebt. Auch aus Ägypten, wo Schriftrollen bereits vor der Wende zum dritten Jahrtausend vor Christus nachweisbar sind, wird die Papyrusherstellung nirgends beschrieben, ja nicht einmal bildlich dargestellt, die Pflanze selbst und deren Ernte schon – aber nicht ihre Verarbeitung zum Schreibstoff.
Steuerlich waren Oliven wichtiger
Ob man im Heimatland von C. papyrus die ganze Wertschöpfungskette kontrollieren und das Verfahren daher geheim halten wollte? Immerhin war das Land am Nil Hauptlieferant für den gesamten Mittelmeerraum – und das schon früh. In Griechenland zum Beispiel muss spätestens ab dem 7. Jahrhundert vor Christus auf Papyrus geschrieben worden sein, sagt Kilian Fleischer von der Universität Würzburg, der die bei dem Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 konservierten Schriftstücke aus der „Villa dei Papiri“ erforscht. Schon die Werke Hesiods und Homers wurden auf Papyrusrollen verbreitet. „Wobei nichts gegen einen etwas früheren Zeitpunkt spricht“, sagt Fleischer. „Jedoch dürften Papyri schon bald nach Übernahme des phönizischen Alphabets, etwa im 9. Jahrhundert vor Christus, genutzt worden sein, vermutlich in bescheidenem, aber nennenswertem Umfang ab dem 8. Jahrhundert.“ Für einen noch früheren Papyrusgebrauch, etwa zu mykenischer Zeit, gebe es hingegen keine eindeutigen Indizien.
Allerdings war der Papyrusexport selbst in der hellenistischen und römischen Epoche kaum ein Hauptposten der ägyptischen Handelsbilanz. Zwar stellte die Papyrusindustrie keinen ganz vernachlässigbaren Wirtschaftssektor dar, was man daran erkennt, dass der Staat eine Steuer auf den Schreibstoff erhob, die „Chartēra“. Doch wie Erja Salmenkivi schreibt, ist diese Papyrussteuer zwischen der Mitte des 3. Jahrhunderts vor und dem 4. Jahrhundert nach Christus nur an neun Stellen belegt. Im gleichen Zeitraum wird eine Steuer auf Leinen zehnmal, eine auf Olivenöl sogar 28-mal erwähnt, weswegen die Papyrusindustrie von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung gewesen sein dürfte.
Papyrusrollen wurden zunächst nur einseitig beschrieben
Zugleich war das Produkt relativ erschwinglich. So kostete um das Jahr 1200 vor Christus eine Rolle aus 20 Blättern den Gegenwert eines kleinen Esels. „Das war nicht unbedingt teuer für die Elite, die lesen und schreiben konnte“, schreibt Salmenkivi. Und um das Jahr 320 nach Christus wird ein gewisser Theophanes erwähnt, der unbeschriebene Papyrusrollen für 100 Drachmen das Stück erwarb. So viel ungefähr kostete damals auch ein Laib hochwertigen Weißbrots. Dem Schreiber, der ihm darauf geschäftliche Dokumente kopierte, zahlte Theophanes dann allerdings 3000 Drachmen. Fertige Bücher waren also teuer, das Papier dafür aber eher nicht.
Trotzdem wurde es recycelt. Das belegen Tausende Funde von Papyri, bei denen die Rückseite sekundär beschrieben ist. Denn bis sich im 4. Jahrhundert die Codices durchsetzten – also die Buchform, die wir heute kennen –, waren die meisten Bücher Rollen aus aneinandergeklebten Bögen. Auf der Innenseite verliefen die Papyrusfasern horizontal und waren bequemer zu beschreiben als auf der vertikal strukturierten Außen- oder Rückseite, weswegen Letztere bei neuen Buchrollen gewöhnlich leer blieb. Nun dienten viele dieser Rollen juristischen oder administrativen Zwecken, die Texte darauf wurden also nur für eine begrenzte Zeit benötigt. War eine Rolle nicht mehr aktuell, wurde die freie Rückseite oft mit etwas anderem beschrieben.
„Oft wurden literarische Texte auf die Rückseite dokumentarischer Papyri geschrieben, nur in seltenen Fällen andersherum“, erklärt Kilian Fleischer. „Oft auch dokumentarische Texte auf dokumentarische Texte. Für die Datierung von Hand-Schriften, also den Stilen von Schreibern, sind solche Papyri sehr willkommen. So geht man etwa bei einem Vertrag oder Erlass auf der Vorderseite, der auf den 25.7.218 datiert ist, davon aus, dass die Rückseite in der Regel nicht mehr als 25 Jahre später beschrieben wurde, eher 5 bis 10 Jahre später.“ Für literarische Papyri, von denen mehr als 95 Prozent kein Datum tragen, lasse sich daher abschätzen, wann ungefähr sie niedergeschrieben oder kopiert wurden.
Schriftrollen zum Ausstopfen von Mumien
Neben dem Beschreiben freier Rückseiten, gab es aber auch eine Wiederverwertung durch Verarbeitung zu sogenannter Kartonage sowie ab dem 4. Jahrhundert zu Buchdeckeln für Codices. Aus Kartonage, einer Pappe aus Papyrus und Leinen, wurden in Ägypten Mumienmasken oder auch ganze Särge hergestellt – denn dergleichen aus Zedernholz oder gar Gold anfertigen zu lassen, konnten sich nur allerhöchste Kreise leisten. Belegt ist die Verwendung solcher Kartonagen seit frühdynastischer Zeit, spätestens ab etwa dem 4. Jahrhundert vor Christus wurden sie auch aus Altpapyrus gefertigt. Dann findet man Fragmente von Schriftstücken darin.
Auch zum Ausstopfen von Mumien – den Toten wurden bei der Mumifizierung in der Regel diverse Organe entnommen – nutzte man zuweilen verklebte Ballen aus weggeworfenen Schriftrollen. Vermutlich diente auch das oben abgebildete Konvolut diesem Zweck. Es erlangte Berühmtheit, nachdem man es in den 1980er-Jahren auftrennte und unter den verleimten Schriftstücken Teile eines verschollenen Werkes des Artemidor von Ephesos fand, eines griechischen Geographen des späten 2. Jahrhunderts vor Christus. Diese Rolle war sogar insgesamt viermal verwendet worden – zunächst für den Artemidor, danach als eine Art Musterbuch mit Abbildungen verschiedener Fabeltiere und schließlich als Skizzenblock für Zeichenübungen, bevor sie um das Jahr 100 nach Christus zusammen mit einigen zum Teil datierbaren Dokumenten in der Bauchhöhle eines Verstorbenen landete.
Inwieweit die Mumifizierbetriebe sich solches Material über hauptberufliche Altpapyrussammler beschafften und über welche Entfernungen diese operierten, ist unklar. Für Erja Salmenkivi ergeben Vergleiche von Fundorten recycelter Papyri und der Herkunft darin vorgefundener Dokumente bislang keine Hinweise auf ein überregionales Recyclingbusiness. „Es scheint, dass die Hersteller von Kartonage ihr Rohmaterial aus Quellen in ihrer Umgebung bezogen.“