Es soll Menschen geben, die zu jedem kalendarischen Anlass eine entsprechende Dekoration anbringen. Meine lieben Nachbarn, um ein Beispiel zu nennen, behängen sogar zu Fastnacht Türen, Wände und Möbel mit Girlanden und Gedöns, so dass man als Gast lieber gleich auf den Balkon flüchtet, wenn man psychedelische Gartenzwerge für das geringere Übel hält. Ich sehe es so: Ein Großteil handelsüblicher Dekoration ist nutzloser Kitsch, der Haus und Garten verschandelt und die Tiere verschreckt.

Freier Autor in der Wissenschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Auch jetzt im Advent haben sich viele Wohnungen und Balkone wieder in blinkende Besinnlichkeitshöllen verwandelt, die in mir vieles auslösen, nur keine Weihnachtsstimmung. Auf dem Balkongeländer gegenüber reitet derzeit eine lebensgroße Playmobilfigur als Weihnachtsmann verkleidet auf einem Rentierschlitten aus Lichterketten dem Fest entgegen. Wer so etwas schön findet, hält vermutlich auch „Last Christmas“ für unentbehrlich, als stimmungsvolle Ballade. Allergischer reagiere ich selbst nur noch auf Euphorbia pulcherrima, jenes überzüchtete tropische Gewächs, das hierzulande Weihnachtsstern genannt und gerade wieder im Discounter verramscht wird.
Es ist aber nicht nur die miserable Öko- und Klimabilanz dieser Pflanzen, die mich stört, es ist die Farbe. Das Rot der Hochblätter ist so aufdringlich und überzogen wie die ganze zügellose Züchtung jener Sträucher aus dem westlichen Mittelamerika, wo sie Höhen von fünf Metern und mehr erreichen können. Weihnachtsrot wird dieser Farbton genannt, und es ist schwer, ihm zu entkommen. Ob Kerzen, Christbaumkugeln, Weihnachtsmänner, Tischdecken und neuerdings auch Mund-Nase-Bedeckungen. Ich sehe nur noch rot.
Der Connoisseur greift zu Amaryllis
Dieses Rot ist viel älter als Coca-Cola, es wurde schon im 19. Jahrhundert populär, wie Postkarten zeigen. Weihnachtsmann und Weihnachtsstern kamen erst später zu uns über den Atlantik. Dabei symbolisiert die Farbe Rot wohl den heiligen Nikolaus von Myra, einen Bischof, der an einem 6. Dezember im vierten Jahrhundert starb. Eine zweite Erklärung für den Trend zu roter Symbolik an Weihnachten macht ihn deutlich älter. Rot sei seit fünfzigtausend Jahren die Farbe des Lebens und der Fruchtbarkeit, erklärt Axel Buether, Farbpsychologe an der Universität Wuppertal. Auch die alten Römer schmückten ihre Häuser zur Wintersonnenwende mit roten Äpfeln und grünem Lorbeer, als Zeichen von Fruchtbarkeit und Hoffnung. Grün lässt das Rot strahlen, wertet es auf. Die Symbolik half sicherlich bei der Vermarktung des Weihnachtssterns, er ist mittlerweile eine der meistverkauften Topfpflanzen.
Ich weiß, Euphorbia pulcherrima ist inzwischen auch in Lachsrosa und Cremeweiß zu haben, manchmal sogar gepunktet. Aber das macht die Sache nicht unbedingt besser. Wer wirklich auf das weihnachtliche Rot steht, dem empfehle ich die sogenannte Amaryllis: Rittersterne, Gattung Hippeastrum aus der Familie der Amaryllisgewächse, blühen häufig zur Weihnachtszeit, auch rot, aber längst nicht so aufdringlich wie die „Weihnachtssterne“, außerdem in viel mehr Nuancen. Und die Amaryllis ist wie das Weihnachtsfest: Sie kommt immer wieder.
Beim Nachbar sind mittlerweile auch die Lichterketten im Garten angegangen. Kein Rot, immerhin, dafür kaltes, bläuliches Weiß erleuchtet das Rasenrechteck. Manchmal blinken sie sogar im Wechsel. Na dann, frohes Fest.