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Bild: Illustration Charlotte Wagner

Ab in die Botanik : Pflanzen und Sprachen

Nirgends wachsen mehr Pflanzenarten als auf Neuguinea - und nirgends werden auf so engem Raum so viele Sprachen gesprochen. Beides hängt zusammen.

          2 Min.

          Erhebungen über regionalen Artenreichtum sind auch bei Pflanzen nicht immer einfach. Und das, obwohl sie, anders als Tiere oder Mikroben, weder weglaufen noch besondere technische Anforderungen an ihre Betrachter stellen. Etwa auf der südostasiatischen Insel Neuguinea – deren Westen zu Indonesien gehört und im Osten den Staat Papua-Neuguinea bildet. Fragte man bisher nach der Zahl der dort bekannten höheren Pflanzen, fand man Angaben zwischen 9000 und 25.000. Kürzlich aber hat ein Team aus 99 Botanikern aus aller Welt unter der Leitung von Forschern der Royal Botanic Gardens in Kew bei London in „Nature“ eine sorgfältige Bestimmung von mehr als 700.000 von der Insel vorliegenden Proben samt Prüfung der von ihren Sammlern vergebenen wissenschaftlichen Namen veröffentlicht. Denn fälschliche oder mehrfache Vergabe lateinischer Vor- und Zunahmen an biologisch identische Spezies ist in der Taxonomie lebender wie ausgestorbener Organismengruppen ein notorisches Problem.

          Ulf von Rauchhaupt
          Redakteur im Ressort „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Tatsächlich erwiesen sich 42 Prozent der wissenschaftlichen Namen neuguineischer Pflanzen als ungültig. Trotzdem konnten die Autoren der „Nature“-Studie Neuguinea zur Königin der Pflanzendiversität krönen: Insgesamt 13.634 Arten von Gefäßpflanzen können dort als nachgewiesen gelten. Der botanische Artenreichtum übertrifft damit selbst den Madagaskars um 19 Prozent und den Borneos um 22 Prozent. Von Deutschland ganz zu schweigen: Hierzulande gibt es – allerdings auf etwas weniger als der Hälfte der Fläche Neuguineas – nur 4105 Arten höherer Pflanzen, wie man einer Publikation des Bundesamtes für Naturschutz aus dem Jahr 2007 entnimmt.

          578 Wörter für „Banane“

          Und nur 42 davon, also gerade mal ein Prozent, sind endemisch, kommen also nur hier vor. Auf Neuguinea dagegen sind es 68 Prozent. Sie ist damit sogar die einzige Insel Südostasiens, die mehr endemische Pflanzen aufweist als nichtendemische.

          Diese Fülle kann also nicht nur an dem dortigen Tropenklima liegen. Tatsächlich ist die botanische Diversität Neuguineas eine Folge der geographischen: Von den langen Küsten bis in die Höhen der Gebirge finden alle möglichen Pflanzengruppen eine Heimat, Mangroven ebenso wie alpine Gräser.

          Nun ist die Vielfalt an Pflanzen nicht die einzige, bei der Neuguinea den Weltrekord hält. Die Insel ist auch die mit der höchsten Diversität an Sprachen. Von den laut der Datenbank ethnologue.com aktuell 7117 verschiedenen Sprachen der Welt werden 1053 auf Neuguinea gesprochen, obgleich dort weniger als ein Tausendstel der Weltbevölkerung lebt. Betrachtet man zwei zufällig herausgegriffene Neuguineer, so sprechen sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent verschiedene Muttersprachen. Bei zwei Deutschen wären es nur 18 Prozent. Offenbar ist auch das eine Folge der Geographie.

          Nachdem vor 50.000 Jahren die ersten Menschen in die Gegend einwanderten, fächerten sich ihre Sprachen in dem zerklüfteten Siedlungsgebiet ähnlich weit auf wie zuvor – auf den sehr viel längeren Zeitskalen der biologischen Evolution – die verschiedenen Pflanzengruppen. Und die Kriege der einzelnen Stämme untereinander mündeten nie in die Dominanz einiger weniger, die dadurch den anderen ihre Sprache hätten aufnötigen können. So kommt es, dass es heute auf Neuguinea mindestens 578 verschiedene Wörter für „Banane“ gibt – auch das eine wunderbare Vielfalt, wenn man nicht gerade botanische Taxonomie damit betreiben will.

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