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Anstieg der Zinskosten : EZB erwartet höhere Inflation

EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist nicht unzufrieden, auch wenn die Lage weiter angespannt bleibt. Bild: AFP

Die Notenbank gibt sich wenig besorgt – will aber den Anstieg der Anleiherenditen nicht mehr hinnehmen. Derweil bahnt sich der nächste juristische Streit an.

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          Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihre Inflationsprognose deutlich hoch – und reagiert auf den jüngsten Anstieg der Renditen am Anleihemarkt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde kündigte am Donnerstag nach der März-Zinssitzung des EZB-Rates an, die Notenbank werde das Tempo ihrer Anleihekäufe erhöhen. Im nächsten Vierteljahr sollten die Käufe im Rahmen des Krisenprogramms PEPP „deutlich umfangreicher“ ausfallen als in den ersten Monaten des Jahres.

          Christian Siedenbiedel
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Die Käufe kämen „oben drauf“ auf die monatlich 20 Milliarden Euro des regulären Anleihekaufprogramms APP. Den Gesamtrahmen des Krisenprogramms von 1,85 Billionen Euro müsse man dafür nicht ausweiten. Es seien noch ungefähr 1 Billion Euro übrig. Die Notenbank werde aber Anpassungen vornehmen, wenn sich das als notwendig herausstellen sollte.

          Ihre Inflationsprognose setzte die EZB deutlich hoch. Bislang hatte sie für dieses Jahr 1 Prozent Inflation erwartet. Im Januar und Februar betrug die Inflationsrate aber schon 0,9 Prozent und Lagarde rechnet mit einem weiteren Anstieg im Jahresverlauf. Die neue Vorhersage sieht nun 1,5 Prozent in diesem Jahr vor und 1,2 statt 1,1 Prozent im nächsten. Die Prognose für 2023 wurde bei 1,4 Prozent belassen.

          Inflationsrate von bis zu 2 Prozent

          Lagarde sagte, im Verlauf dieses Jahres könne die Inflationsrate in einzelnen Monaten durchaus 2 Prozent erreichen. Die EZB strebt ein Inflationsziel von mittelfristig „unter aber nahe 2 Prozent“ an. Die Notenbank werde durch den Anstieg der Inflation aber „hindurchsehen“. Der zuletzt höhere Preisauftrieb sei vor allem durch technische und vorübergehende Faktoren verursacht. Die EZB-Präsidentin nannte hier die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer in Deutschland, die Veränderung von Gewichten im Verbraucherpreisindex HVPI als Reaktion auf den Lockdown, die Folgen der Coronakrise für den Schlussverkauf und den Ölpreisanstieg. Auch Auswirkungen des billionenschweren Hilfsprogramms des amerikanischen Präsidenten Joe Biden auf die Entwicklung in der Eurozone seien zu erwarten, sagte Lagarde. Die EZB werde das im Blick behalten.

          Mittelfristig rechne die Notenbank aber weiter mit einer Inflationsrate unterhalb ihres Ziels, sagte Lagarde. Gründe dafür seien die durch die Krise geschwächte Nachfrage, eine Unterauslastung in der Wirtschaft, ein schwacher Lohndruck als Folge der schwierigeren Situation am Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Euro-Wechselkurses gegenüber dem Dollar.

          Keine Kontrolle der Zinsstrukturkurve

          Zu der Entscheidung, das Tempo der Anleihekäufe jetzt vorübergehend zu erhöhen, sagte Lagarde, die Notenbank werde jetzt keine Kontrolle der Zinsstrukturkurve vornehmen, wie es von manchen gefordert worden war. Es sei aber ihr Ziel, zu verhindern, dass ein vorzeitiger Anstieg der Anleiherenditen die Finanzierungskonditionen für Unternehmen in dieser Phase der Pandemie unnötig verschlechtere. Die Notenbank habe dabei in einem „holistischen“ und „facettenreichen“ Ansatz die Transmission der Geldpolitik im Blick – sowohl vorgelagerte Stufen wie den risikolosen Zins und die Renditen der Staatsanleihen, als auch nachgelagerte Effekte wie die Bankkonditionen. Ziel sei es, günstige Finanzierungsbedingungen zu bewahren, ohne dass die Notenbank sich an einem festen Ziel oder einem Referenzwert aus der Vergangenheit für die Anleiherenditen orientiere.

          Auch auf die jüngste spektakuläre Aktion der Umweltschutzorganisation Greenpeace ging die EZB-Präsidentin ein. Aktivisten waren am Mittwoch mit einem Gleitschirm auf das Dach eines der EZB-Gebäude in Frankfurt geflogen und wurden von einer Höhenrettungsgruppe der Polizei heruntergeholt. Sie wollten damit für eine „grünere“ Geldpolitik demonstrieren. Lagarde sagte, auch wenn sie mit diesen Aktivisten in gewisser Weise „auf der selben Seite“ stehe, gehe es natürlich nicht, dass Menschen bei so einer Aktion ihre Sicherheit und womöglich ihr Leben riskierten. „Wir werden aber mit Greenpeace im Dialog bleiben“, sagte Lagarde.

          „Schnell auf Renditeanstieg reagiert“

          Die Reaktionen von Ökonomen waren gemischt. „Die EZB hat schnell auf den Renditeanstieg reagiert“, erklärte der Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, Uwe Burkert. Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding meinte: „Dass die EZB die Flexibilität ihres Kaufprogramms nutzen möchte, um den Anstieg der Anleiherenditen abzubremsen, ist keine Überraschung – aber sie hat dies heute deutlicher betont als erwartet.“ Friedrich Heinemann, Ökonom am Forschungsinstitut ZEW sagte: „Es ist gut, dass sich die Tauben im EZB-Rat dieses Mal noch nicht völlig durchgesetzt haben und der Rat nicht verfrüht eine neuerliche Erhöhung der PEPP-Obergrenze beschlossen hat.“

          Unterdessen gibt es eine neue Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen das Krisen-Anleihekaufprogramm PEPP der EZB. Eine Gruppe von Unternehmern und Professoren um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber hat sie eingelegt. Die Verfassungsbeschwerde ging am Montag ein, wie ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts bestätigte (Az. 2 BvR 420/21). Die Beschwerdeführer meinen, mit dem Corona-Krisenprogramm breche die Notenbank endgültig aus ihrem Kompetenzrahmen aus.

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