Work-Life-Balance : Generation Weichei
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Lieber Ausflüge mit der Familie als im Büro zu sitzen: Das Verhältnis vieler Deutschen zu ihrer Arbeit ändert sich Bild: dpa
Freizeit statt Karriere, Sabbatical statt Stress: Die jungen Leute geben für den Beruf nicht mehr alles. Fortschritt oder Verfall? - Stimmen Sie selbst mit ab.
Es ist zum Verrücktwerden mit den jungen Menschen. Da hat eine große deutsche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einen Posten in New York zu besetzen. New York, wohlgemerkt, nicht Timbuktu oder Baku. Trotzdem schlägt keiner der Kandidaten gleich zu. „Die Stadt ist so stressig“, meint ein Jungspund abwägend. „Das muss ich erst mit meiner Frau besprechen“, erklärt der nächste. So geht es lustig weiter: Vielleicht. Mal sehen. Nur, wenn... Oder einfach: Nein, danke.
„Die spinnen“, klagt der Personalchef der Wirtschaftsprüfer, der viele solcher Geschichten über die Berufsanfänger erzählen kann. Und nicht nur er: Alle Führungskräfte und Personalberater, die mit der Generation Y, also den nach 1985 Geborenen, in Kontakt kommen, stellen fest: Die Jungs und Mädels, die da momentan in die Wirtschaft drängen, setzen den Unternehmen arg zu. Offiziell will das so niemand sagen. Schließlich braucht die Wirtschaft die Generation Y - allein schon wegen des demografischen Wandels: Der Nachwuchs ist knapp. Kein Unternehmen kann es sich leisten, die Chefs von Morgen zu verprellen.
Nur weiß niemand, ob die das überhaupt wollen: Chef werden, Karriere machen. Oder ob sie das können. Ein Job in New York - vor zehn Jahren hätten die Mitarbeiter sich darum gerissen. Heute überlegen die Kandidaten: Passt das in mein Lebenskonzept? Was sagt mein Partner dazu? Habe ich noch Zeit für Sport und Musik, für die Familie, für mich? Wenn zu viel auf der Strecke bleibt, ziehen weder Top-Salär noch New York City.
Ein erfülltes Leben, neben der Arbeit?
Die Geister scheiden sich an der Frage, ob das nun gut ist oder schlecht: Sind das alles Weicheier, die sich vor Karriere und Chefsein drücken? Oder haben wir es mit einem cleveren Nachwuchs zu tun, jungen Leuten, die nur lautstark einfordern, was viele gerne hätten, sich nur nie zu fordern trauten: Ein erfülltes Leben neben der Arbeit?
Eines ist offensichtlich: Die Prioritäten haben sich verschoben. Das bestätigen Personalvorstände von Dax-Konzernen, Geschäftsführer von Beratungsfirmen und wissenschaftliche Studien: Karriere um jeden Preis ist für das Gros der 18- bis 29-Jährigen unvorstellbar. Die Arbeit steht nicht mehr unangefochten an erster Stelle, Freizeit, Hobbys, Familie und Freunde holen auf.
Zwei Drittel, so belegen Umfragen, sind nicht mehr bereit, berufliche Ziele über private Belange zu stellen. Eine ausgeglichene „Work-Life-Balance“ ist gar jedem zweiten wichtig. Auf Mitbestimmung legen sie großen Wert und auf eine angenehme Arbeitsatmosphäre, flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und Sabbaticals. Sie arbeiten am liebsten im Team, sind lieber Stellvertreter als Chef - und das gerne auch zu zweit.
Gewohnt, in allen Belangen gefragt zu werden
Christoph Fellinger kennt das nur zu gut. Der Beiersdorf-Manager, selbst Jahrgang 1969, kümmert sich im Nivea-Konzern ums Personalmarketing. Sein Job ist es, herauszufinden, wie die Generation tickt, wie man junge Talente findet, umwirbt und ans Unternehmen bindet. „Wer das nicht schafft, hat in spätestens drei Jahren einen echten Wettbewerbsnachteil“, prophezeit er. Deshalb müssen die Konzerne umdenken und sich auf die Jungen einstellen. „Das ist ein Muss.“
Es ist die erste Generation, die mit der Work-Life-Balance-Welle groß geworden ist. Behütet, in Wohlstand gebettet und international ausgebildet. Eine Generation, die es von Geburt an gewohnt ist, im Mittelpunkt zu stehen und in allen Belangen gefragt zu werden: Ob sie Fußball spielen wollen, Tennis oder doch lieber Geige. Und natürlich durften sie immer alles ausprobieren. „Die sind demotiviert“, erklärt Fellinger, „wenn man in der Arbeitswelt ihre Meinung übergeht.“ Die Folge: Die Youngsters wollen ständiges Feedback, möglichst positives natürlich. Sie arbeiten am liebsten an abwechslungsreichen, „sinnvollen“ Projekten, selbstbestimmt, in möglichst kleinen Teams. Da zeigen sie dann durchaus Leistung.