Wohnungsmarkt : „Wer ist so verrückt und kauft noch in Berlin?“
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Altbau und neue Wohneinheiten in Berlin. Bild: dpa
Die Mieten steigen in den großen Städten kaum noch. Aber die Preise für Eigentumswohnungen schießen weiter in die Höhe. Ökonomen schlagen Alarm.
Zehn Jahre hält er nun schon an, der große Immobilienboom in Deutschland. Die Folgen sind bekannt: Die Mieten in neuen Verträgen haben sich in den großen Städten teils fast verdoppelt, die Preise für Wohneigentum sind noch stärker gestiegen. Wer nicht unbedingt umziehen muss, bleibt besser, wo er ist. Und alle fragen sich: Geht das jetzt immer so weiter?
Am Montag hat der Rat der Immobilienweisen sein neues Jahresgutachten veröffentlicht. Seine Antwort lautet kurz gesagt: Für Mieter wird es tendenziell günstiger, für Kaufinteressenten dagegen nicht.
Die Mieten in neuen Verträgen sind 2019 weiter gestiegen, um durchschnittlich 3,5 Prozent. Das ist etwas weniger als im Vorjahr (3,8 Prozent) und vor allem: Die Mieten sind langsamer gestiegen als die Einkommen der Arbeitnehmer. Die Belastung für den Durchschnittsverdiener wird also geringer. Auch in den von der Wohnungsknappheit besonders betroffenen Großstädten hat sich die Lage zumindest leicht entspannt, was daran liegt, dass nicht mehr so viele Menschen dorthin ziehen, zugleich aber mehr Neubauten entstehen.
„2020 dürfte das Angebot in allen A-Städten stärker wachsen als die Nachfrage“, sagt Harald Simons, Vorstand des Analysehauses Empirica. „Die Zeiten der starken Mietanstiege in den Großstädten scheinen vorbei. In Berlin kann man sogar einen kleinen Rückgang der Angebotsmieten sehen.“ Vor allem die günstigeren Wohnungen, nicht so ausgestattet in schlechterer Lage, würden günstiger. Unter den sogenannten A-Städten fasst die Immobilienwirtschaft die sieben wichtigen Märkte Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart zusammen.
Verglichen mit 2010 sind die Steigerungen in den Städten aber immens. Am stärksten stiegen die Angebotsmieten seitdem in Berlin (+60 Prozent), gefolgt von München (+53 Prozent) und Stuttgart (+51 Prozent). München ist mit 16,40 Euro/Quadratmeter weiter die teuerste deutsche Metropole, gefolgt von Frankfurt (13,10 Euro/Quadratmeter) und Stuttgart (12,60 Euro/Quadratmeter). Hamburg, Köln und Düsseldorf liegen um die 10,50 Euro/Quadratmeter und Berlin ist trotz des großen Anstiegs der vergangenen Jahre weiter am günstigsten mit weniger als 10 Euro/Quadratmeter.
Was den Rat der Immobilienweisen, der die Bundesregierung in der Wohnungspolitik berät, mehr besorgt als der Anstieg der Mieten, ist der ungebremste Aufwärtstrend bei den Kaufpreisen. Der lag 2019 in ganz Deutschland mit 9,7 Prozent ein weiteres Mal deutlich über der Wachstumsrate der Neuvertragsmieten. Durchschnittlich kostet die Eigentumswohnung in Deutschland rund 2660 Euro/Quadratmeter, in Großstädten wie München und Frankfurt aber auch schnell mal das Dreifache. Die Niedrigzinspolitik der EZB, die Anleger verzweifelt nach attraktiven Anlagemöglichkeiten suchen lässt, hat daran einen entscheidenden Anteil. „Die zukünftige Preisentwicklung auf dem Wohnimmobilienmarkt ist damit vollständig abhängig von der weiteren Zinsentwicklung“, heißt es in dem Gutachten.
Seit dem Jahr 2009, dem unteren Wendepunkt in Deutschland, haben sich die Kaufpreise um 93 Prozent erhöht, also fast verdoppelt. Damit sind sie 2,6 Mal so stark gestiegen wie die Neuvertragsmieten. „Es ist eine Zeit für Schuldner“, sagt Lars Feld, Mitglied des Sachverständigenrats. Die Auseinanderentwicklung von Mieten und Kaufpreisen wirft aus seiner Sicht „Fragen der Finanzstabilität“ auf. Ähnlich sieht es Simons: „Wir hoffen, dass die Bundesbank das genau beobachtet, sonst könnten wir in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.“ Mitunter würden Anleger bei Immobilien sogar Negativrenditen in Kauf nehmen, Immobilien würden zu einer Art „Schwundgeld“. „Ich frage mich schon seit langem, wer noch so verrückt ist, sich in Berlin eine Wohnung kaufen“, sagt Simons. Sorge bereitet dem Rat der Immobilienweisen auch, dass in ländlichen Regionen trotz sinkender Bevölkerungszahlen weiter eifrig Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden.
Die Zahl der neugebauten Wohnungen lag zuletzt bei knapp unter 300.000 und damit unter dem politisch gewünschten Wert von 375.000. Aus der Sicht von Empirica-Vorstand Simons ist dies aber „völlig okay“. Angebot und Nachfrage würden sich in etwa gleich entwickeln. Proportional zur Einwohnerzahl wurden zuletzt in München mit mehr als 6,4 Wohnungen je 1000 Einwohner die meisten Wohnungen errichtet, gefolgt von Hamburg (5,8). Frankfurt folgt mit 5,0 auf Rang drei. Auf die Wohnungspolitik der Bundesregierung ist der Rat der Immobilienweisen nicht gut zu sprechen. Das Baukindergeld hätte aus Sicht von Andreas Mattner, Chef des Zentralen Immobilienausschusses, besser in ein (noch) höheres Wohngeld investiert werden sollen. Den Berliner Mietendeckel bezeichnet er als „Bärendienst an den Mietern, weil Wohnungen dann verrotten“.