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Smart Cities : Die vernetzte Stadt

  • -Aktualisiert am

Bild: Valentine Edelmann

Die Zukunft des Wohnens hat längst begonnen. Überall auf der Welt wird am Konzept der smarten Stadt getüftelt, um das Leben der Bewohner bequemer, sicherer und energieeffizienter zu gestalten. Wo führt das alles hin?

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          Leise, sauber, grün - so sieht die Stadt der Zukunft aus. Dort fahren Autos, die vor einer Schule selbständig das Tempo drosseln, in den Häusern stimmen Uhren per Sensor die Raumtemperaturen auf den Alltagsrhythmus der Bewohner ab, und in den Straßen lassen sich entspannte Menschen per App das passende E-Verkehrsmittel für den wahlweise schnellsten, sichersten oder CO2-ärmsten Weg zur Arbeit anzeigen. Klingt wie eine Utopie? Ist es auch. Bisher. Die „Smart City“ im Gesamtbild beschreibt eine Vision, die Forscher und Unternehmer landauf, landab mit Einzelprojekten, Initiativen und Verbünden entwickeln.

          Während in Asien ganze hochtechnologisierte, von Konzernen mit gesteuerte Planstädte wie etwa die südkoreanische New Songdo City mit ihren mehr als 20.000 Bewohnern entstehen, arbeiten europäische Städte eher daran, digitale Abläufe und Produkte in Verwaltung und öffentliches Leben zu integrieren. Einen deutschlandweiten „Smart City“-Plan gibt es nicht; allerdings hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) als Ressortforschungseinrichtung des Bundes unlängst ein eigenes Cluster gegründet mit dem Ziel, eine „Smart City Charta für Deutschland“ zu entwerfen. Auch auf kommunaler Ebene tut sich einiges, häufig mit Blick auf Nachbarländer: Amsterdam, Kopenhagen und Wien haben sich längst übergreifende Smart-City-Strategien verpasst.

          Im Grunde genommen geht es vor allem in den Bereichen Verkehr, Energie und Datenmanagement darum, Daten mit Technologien zu verbinden. Zum „Smart City“-Projekt wird das Ergebnis, wenn es in die Stadtöffentlichkeit hineinwirkt, das Leben für die Bewohner angenehmer gestaltet. Großstädte bieten sich als Versuchsfeld an, erläutert die Leiterin von Fraunhofer Fokus, Ina Schieferdecker: „Städte sind die größten Verbraucher von Ressourcen, haben aber auch das größte Optimierungspotential.“ Schieferdeckers Institut ist mit 450 Mitarbeitern eines der größten im Fraunhofer-Verbund und forscht in Berlin unter dem Motto „Wir machen Städte schlau“ zu Anwendungen, die einer Smart City zugutekommen.

          Der „Smart Port“ optimiert in Hamburg Waren- und Verkehrsströme

          Ein ideales Experimentierfeld finden die Professorin und ihr Team vor der Haustür: Berlin bietet sich als stark wachsende Metropole mit vielfältigen Lebensentwürfen an. Täglich zeigen sich hier Chancen aus dem Wandel und zugleich die Herausforderungen, wenn verkrustete, geschrumpfte Verwaltungsstrukturen auf die Dynamik einer sich ständig ändernden Stadtgesellschaft prallen: Die Fraunhofer-Forscher etwa haben zwar ein Navigationssystem entwickelt, das Sehbehinderten auch innerhalb von Bahnhöfen, Einkaufszentren und Behörden bei der Orientierung hilft. Einen Termin bei einer Berliner Behörde zu erlangen, um die Wohnung anzumelden oder einen Pass ausstellen zu lassen, ist jedoch ein Geduldsspiel; und während es in zahlreichen kleineren Städten in der vermeintlichen Provinz längst öffentliches W-Lan gibt, stottert das Projekt in Berlin seit Jahren vor sich hin.

          Gleichwohl gilt Berlin als die Schmiede für innovative Mobilitäts- und Verkehrssysteme. Wer hier wohnt, kann E-Mobilitäts-Projekte, häufig in Verbindung mit flexiblen Carsharing-Modellen ausprobieren, ist als App-Tester zum Optimieren bestimmter Wegstrecken gefragt oder kann neue Liefersysteme testen. Im Rahmen des EU-Verbundprojekts „Bentobox“ etwa waren Boxen als flexible Module an einem zentralen Standort für alle Lieferunternehmen zugänglich. Sie dienten als Abholstation und Umschlagplatz - Lieferwagen schlossen die Pakete dort ein, Fahrradkuriere übernahmen die Auslieferung zum Kunden.

          Alltagsgewohnheiten, Verkehrsströme und ihre Folgen für Logistik und die städtische Infrastruktur spielen auch in Hamburg eine zentrale Rolle bei der Förderung digitaler Projekte. Die Stadt wiederum arbeitet an einem „Smart Port“ - einer intelligenten Infrastruktur für den Hafen, der dank vernetzter Informationen Waren- und Verkehrsströme optimiert und Pendler per E-Mobilität zur Arbeit bringt. Außerdem wollen Verwaltung und Hafenbehörden die Industriegebiete um die Elbe zu einem Schaufenster für Energietechnik, alternative Energiequellen und ressourcenschonende Wirtschaft machen. Ein Maßnahmenbündel von der Prüfung von Solarstandorten bis hin zu Datenplattformen zum besseren Koordinieren von Wegstrecken und alternativer Energiezufuhr für liegende Schiffe soll so die Energiewende im Hafen einleiten.

          Städte werden durch partizipierende Bewohner schlau

          Hamburg gilt ohnehin als eine der Vorreiterinnen bei der Digitalisierung. Hier erhellen sich mittlerweile Straßenlampen, wenn ein Radfahrer kommt, Ampeln wissen, wann sich Busse nähern, und Lastwagen erhalten längere Grünphasen. Auf einem „Transparenzportal“ können Interessierte Daten zur Luftmessung oder eines Baumkatasters ebenso abrufen wie Gutachten, die als Grundlage für politische Entscheidungen dienen. In der Senatskanzlei koordinieren vier Mitarbeiter einer „digitalen Leitstelle“ ressortübergreifend digitale Pilotprojekte und arbeiten an einer Strategie für die Gesamtstadt. Damit hat es die gut 1,7 Millionen-Einwohner-Metropole auf den zweiten Platz eines Rankings von Pricewaterhouse Coopers (PWC) geschafft. An der Spitze der Auswertung liegt Köln, hauptsächlich wegen seiner bürgerfreundlichen digitalen Verwaltung. Über ein Internetportal konnten Kölner Projekte für ihren Stadtteil vorschlagen, für die es ihrer Ansicht nach Geld geben sollte. Aus den Vorschlägen und anhand veröffentlichter Kriterien entwickelte die Verwaltung eine Bestenliste, über die Haushaltspolitiker abgestimmt haben. Ausgang und erste Schritte zur Umsetzung dokumentierte die Verwaltung online. Für 2016 hat die Stadt 100.000 Euro je Bezirk in diesen Bürgerhaushalt eingestellt.

          Eine Geschäftsstelle im Büro des Stadtdirektors kümmert sich darum, dass die vor vier Jahren aufgelegte „digitale Agenda“ ressortübergreifend umgesetzt wird. Damit haben Köln und Hamburg eine der Haupthürden überwunden, die den PwC-Analysten zufolge den Umbau zu einer Smart City erschweren: „In Sachen Digitalisierung hapert es in den Kommunen oft an der Umsetzung, da klare Ziele und integrierte Konzepte kaum vorhanden sind“, bilanzieren die Autoren der Studie.

          Werden Städte also weniger durch schillernde Einzelprojekte insgesamt schlau, sondern eher durch Menschen, die bereits Bestehendes zusammenführen und einordnen? Wissenschaftler bejahen das. „Entscheidend ist eine Strategie, um bestehende Datenbestände zu vernetzen und das Leben zu verbessern, ohne gleich eine Stadtmaschine à la George Orwell zu bauen“, bekräftigt der BBSR-Referatsleiter für Digitale Stadt, Peter Jakubowski. Er verweist auf die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die eine Digitalisierung möglichst vieler Lebensbereiche nutzen will, um bis 2025 klimaneutral zu werden. Dort erfassen Sensoren in Laternen, Kanälen und Abfallbehältern Abfallmengen, Kohlendioxidemissionen, Lärm und Luftverschmutzungs-Daten. Die Sensoren zeichnen auch auf, wie sich Menschen bewegen, und übertragen die Daten anonymisiert an Stadtplaner. „Nicht die Digitalisierung an sich ist der Wert, sondern dieses Klimaziel“, sagt Jakubowski.

          Ein amerikanischer Blogger, der Städte nach einem eigenen Bewertungsschema auf ihren schlauen Charakter hin prüft, sieht Kopenhagen wegen seiner Klima-Ziele an der weltweiten Spitze schlauer Städte. Auch die vielen Radfahrer sind ihm zufolge ein Pluspunkt: Immerhin legen die Kopenhagener 40 Prozent aller Wege in der Stadt mit dem Fahrrad zurück. Gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology haben Unternehmer ein spezielles „Copenhagen Wheel“ erfunden: Ein Hinterrad, das ein herkömmliches Fahrrad zum E-Bike umwandelt und mit dem Smartphone abgeschlossen und verbunden werden kann. Die Daten zu Fahrverhalten, zu Staus und Luftqualität kann der Radfahrer der Stadt zur Verfügung stellen. Das „Copenhagen Wheel“ kostet umgerechnet fast 1100 Euro; wie viele das produzierende Unternehmen bisher verkauft hat, war nicht zu erfahren.

          Werden Kommunen abhängig von digitalen Unternehmen?

          Start-ups und etablierten Unternehmen kommt dabei der generell unbekümmerte Umgang mit Daten und die grundsätzlich positivere Haltung gegenüber Politikern und Behörden in Skandinavien entgegen; der sich kümmernde Staat existiert zwar kaum mehr, hat aber dank seiner jahrzehntelangen Prägung Spuren hinterlassen. In Stockholm etwa ziehen vom Herbst an 150 Familien in ein sogenanntes Active House ein und lassen ihr Leben komplett durchleuchten: Vom Kühlschrankinhalt bis zu Schlafenszeiten, Freizeitgewohnheiten und täglichen Arbeitswegen zeichnen sie ihre eigenen Daten auf und stellen sie Stadtplanern, Energie-, Verkehrs- und Entsorgungsunternehmen zur Verfügung. Es sei nicht schwierig gewesen, ausreichend Bewerber für die Wohnungen zu finden, heißt es vom federführend handelnden Energiekonzern Fortum.

          In Deutschland misstrauen Bürger tendenziell Behörden und Politikern, wenn es um persönliche Daten geht; dass Konzerne wie Facebook und Google diese Daten längst besitzen, regt weniger auf. Wer schreibt schon verschlüsselte E-Mails? Wer wehrt sich dagegen, mit Punktesammelkarten und Standortangaben im Internet sein Konsumverhalten transparent zu machen? Nur gegen die Volkszählung wird weiter protestiert. Dabei seien es gerade die Kommunen, die im digitalen Wandel das zentrale Steuerelement und die Hoheit über Daten besitzen müssten, fordert Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik. Er kritisiert, dass auf der Suche nach Normen und Standards für „smarte“ Entwicklungen einseitig die Interessen global tätiger Konzerne verfolgt würden. „Kommunen dürfen sich nicht in Abhängigkeit von Unternehmen bringen“, warnt Libbe.

          Konzerne verdienen dann eben nicht nur konkret mit ihren Produkten, sondern bestimmen auch Werte und Diskussionen in einer Gesellschaft - weit über das Private hinaus: Letztlich steht grundsätzlich auf dem Spiel, wie sich die Stadt entwickelt. Die Utopie eines Alltags mit selbstfahrenden Autos kommt dem Leitbild einer autogerechten Stadt wieder nahe, das längst überwunden schien. Geht es dann wieder um das Optimieren von Straßenbreiten, statt um ein Miteinander, das sich an den Bedürfnissen der schwächsten Verkehrsteilnehmer orientiert? An Fußgängern lässt sich kein Geld verdienen.

          Wissenschaftler Jakubowski denkt in eine ähnliche Richtung. Die bestehenden Stadtstrukturen bauten auf einer Verwaltung, die idealerweise das Wohl der Gesamtstadt im Blick hat. Bürger, die per E-Government und per Mausklick politische Entscheidungen treffen könnten, müssten entsprechend vorbereitet werden, sagt er. Die „Wutbürger“ gegen den zu erwartenden Fluglärm am neuen Berliner Flughafen waren zuerst akademische Gutverdiener, die sich zu artikulieren und zu organisieren wussten. Bürgerinitiativen gegen Bauprojekte in der Stadt nähren sich von Anwohnern, die selbstverständlich für günstigen Wohnraum sind, aber doch nicht in ihrer Straße - solche Beispiele gibt es zuhauf, egal aus welchem politischen oder gesellschaftlichen Lager. Einzelinteressen und Gemeinwohl vertragen sich selten. „Was wird aus der öffentlichen Seite der Stadt, wenn da gar keiner mehr ist?“, fragt Jakubowski. Eine Antwort hat er nicht, dafür noch mehr Fragen. Sie malen die Utopien der digitalen schönen Welt in anderen Farben. „Wenn Bürger per Mausklick alles für sich entscheiden könnten“, sagt der Wissenschaftler, „was ist, wenn sie das Interesse verlieren - wer übernimmt dann Verantwortung?“

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