Raumhöhe : Oberklasse im Höhenrausch
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Städter, deine Freiheit ist die Deckenhöhe Bild: Superbild
Ist es nur der Drang nach Großmannsucht oder doch eher die Sehnsucht nach Freiheit, die uns für hohe Decken schwärmen lässt? Bauhistoriker und Psychologen beurteilen die Begeisterung für Raumhöhen von 2,70 Metern und mehr unterschiedlich. Der Makler jedenfalls weiß: Es ist Luxus.
Um es gleich zu sagen: Es gibt ihn, diesen Typ, der es kuschlig und behütet mag. Der sich pudelwohl fühlt, wenn die Holzbalkendecke zum Greifen nah scheint. Andere dagegen leben unter Deckenhöhen von drei Metern und mehr auf. Sie haben das Gefühl, nur in hohen Räumen frei atmen zu können, weswegen etwaige Sorgen vor horrenden Heizkosten zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Entsprechend räumt dieser Typ dem Wunsch nach einer Behausung mit hohen Decken einen Spitzenplatz auf der Liste seiner Wohnwünsche ein.
Doch die Gelegenheiten, dieses Bedürfnis am deutschen Wohnungsmarkt zu befriedigen, sind eher rar. Altbauten aus der Gründerzeit, die Raumhöhen von drei bis vier Metern bieten, gibt es viel zu wenige, als dass alle Interessenten dort eine Bleibe finden könnten. Im übrigen Bestand wird der Wunsch konsequent gedeckelt. Die Raumprogramme der zwanziger Jahre wie auch der Nachkriegszeit hatten das Ziel, möglichst viele Wohnungen zu schaffen und vorhandene Fläche maximal auszunutzen. Verschwendung von Höhenmetern verbat sich. So herrscht en gros ein Maß um die 2,40 Meter.
Nun wachsen auch im Neubau die Räume in die Höhe - allerdings nur im Premiumsegment
Seit ein paar Jahren nun wachsen die Räume im Wohnungsneubau wieder mehr in die Höhe - freilich nur im Luxusangebot. Es ist ohnehin das einzige Segment im Wohnungsbau, auf das die Investoren - gleich ob kommunale Unternehmen oder private Bauträger - setzen, weil es dort etwas zu verdienen gibt. Seit einigen Jahren nun verbreitet die Branche von Berlin aus die Botschaft, die Vorzüge eines Neubaus mit denen eines Altbaus verbinden zu wollen.
Raumluxus steht im Vordergrund: Die Wohnfläche pro Kopf nimmt zu. An die 43 Quadratmeter bewohnt der Deutsche im Schnitt. In der Oberklasse sind es leicht 80 Quadratmeter und mehr. Raumansprüche wachsen zunächst immer in der Horizontalen, dann jedoch auch in die Höhe. Im exklusiven Topsegment des Neubaus seien 2,75 Meter Standard, sagen Makler wie etwa Rainer Ballwanz aus Frankfurt: „Das muss man bieten, um dort mitspielen zu können.“ Im absoluten Premiumsegment könnten es durchaus auch mal 3 Meter sein.
„Demonstration von Macht, Erhabenheit und Reichtum“
So, wie sich heute die Anbieter an den Altbauten der Gründerzeit orientieren, hatten auch die damaligen Investoren ihre Vorbilder. Im 19. Jahrhundert ahmte das aufstrebende Bürgertum adelige Wohnverhältnisse unter dem Dach von Mehrfamilienhäusern nach. Mit all dem Stuck an den Wänden, dem Parkett, den Flügeltüren und eben ihrem ungeheuren Raumvolumen waren die Wohnungen so etwas wie Etagenschlösschen. Wer hoch baut, zeigt, dass er sich Verschwendung leisten kann. „Hohe Räume sind immer eine Demonstration - von Macht, Erhabenheit und von Reichtum“, schlussfolgert Johannes Cramer, Professor für Baugeschichte an der Technischen Universität Berlin. Immer geht es um Repräsentanz; von einer gewissen Höhe an, einzig und allein um den Eindruck. Das gilt für gotische Kirchen genauso wie für manchen Museumsbau der jüngeren Zeit. „Die Funktion ist da nicht mehr zu erkennen“, sagt Cramer.
Prestigebauten mal außer Acht gelassen, hat der Wunsch nach hohen Räumen für Seelenforscher zunächst nicht unbedingt etwas mit Mode oder Großmannssucht zu tun. „Das ist sensorisch“, urteilt der Grazer Wohnpsychologe Harald Deinsberger, „es geht um Offenheit.“ Die kann auf verschiedene Art erreicht werden: Durch große Fenster und Glasfronten, durch Austritte wie Balkone und Terrassen - und im Innern eben durch hohe Decken. Vor allem diejenigen, die sich lange in Innenräumen aufhalten, wissen eine gewisse Großzügigkeit zu schätzen.
Ein Zuviel an Raum kann überfordern
Doch Offenheit ist das eine, Geborgenheit das andere. „In jeder Wohnung, in jedem Haus sollte es geschützte Ecken geben“, rät Deinsberger. Ein Zuviel an Raum kann Menschen auch überfordern. Was passiert, wenn ein Bewohner das Gefühl hat, seine Wohnung oder sein Haus nicht mehr zu beherrschen, weiß der Psychologe aus Erfahrung: Dann werden Räume auf Dauer zugeschlossen, Etagen nicht mehr betreten, Trakte abgeriegelt.
Mehr als um Höhe aber, belehrt Deinsberger, geht es um Abwechslung. „Monotonie ist in jedem Fall schlecht“, urteilt er. Und so entfaltet erst durch den Kontrast die Höhe ihren wahren Reiz. Einer der ersten, der sich übrigens mit der Wirkung unterschiedlicher Raumhöhen auseinandersetzte, war der Wiener Architekt Adolf Loos. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ersann er sein Konzept des „Raumplans“. Dabei veränderte er nicht nur die Deckenhöhen von Etage zu Etage, sondern schuf Räume mit fließenden Höhenunterschieden.
Am Ende verzichtbar
Auf andere Art setzte Le Corbusier auf unterschiedliche Raumhöhen. In seinen Duplex-Wohnungen hatte er die Raumhöhe auf 2,26 Meter abgesenkt. Damit den Bewohnern die Decke nicht sprichwörtlich auf den Kopf fiel, plante er einen hohen Raum ein. Dies war möglich, weil es sich um eine Maisonette handelte. Die niedrigen Decken haben sich nicht durchgesetzt, die Idee eines wie auch immer ausgestalteten Luftraums gehört für Planer und Anbieter im gehobenen Wohnungsbau indes zum Standard.
Für die Masse der Mieter und Käufer ist und bleibt die Raumhöhe ein Luxusthema. In der Umfrage eines Maklerhauses, worauf sie bei der Wahl am ehesten verzichten können, stand „viel Raumhöhe“ an erster Stelle.