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Klötzchen-Architektur : Eintönige Neubauten

  • -Aktualisiert am

In mildes Licht getauchte Monotonie Bild: Frank Röth

Warum müssen überall die gleichen tristen Wohnklötze entstehen, hat sich unsere Autorin gefragt. Zumal Investorenarchitektur schon mal viel ansprechender war.

          6 Min.

          Wer wissen will, wie die Stadt von morgen aussieht, der muss nur schauen, was heute gebaut wird. In Hamburg am Othmarschen Park, in Berlin-Pankow, im Frankfurter Europaviertel oder in München am Arnulfpark. Einerlei in welcher größeren deutschen Stadt, unter jedem Baukran wächst das Gleiche empor: Wohnhäuser in Klotzform, monoton nebeneinander gewürfelt, aneinandergereiht oder aufeinandergestapelt. Die Fassaden haben zwar tausend Fenster, leben aber nicht: monotone Baukörper in völliger Eintönigkeit, wohin man schaut. Bauträger betiteln das freilich anders. Sie verkaufen es als „zeitlose urbane Eleganz“. Urban ist das sicher, aber zeitlos? Und vor allem: Ist es elegant? Darüber kann man streiten – und man sollte es viel mehr tun, finden Fachleute.

          Architekten werden offenbar selten gefragt, was sie selbst zu dieser Art des Bauens sagen. Jedenfalls ringen sie lange nach Worten, wenn sie einen Namen für die zeitgenössische Architektur nennen sollen. Sie reden dann von Klarheit und Funktionalität, von neuen Materialien, und am Ende kommen Begriffe heraus wie „klassizistischer Spätrationalismus“.

          Rationalismus am Bau, das kennt die Welt aus den zwanziger und dreißiger Jahren, als die Architektur auf radikal vereinfachte Formensprache abzielte und jedes Gebäude auf ein simples Grundelement zurückwarf – den Würfel. Von nun an prägte der Skelettbau die Städte: schlichte Fassaden mit Lochmustern aus extrem regelmäßigen Fensterreihen. Schon damals redeten alle von Abstraktion und Reduktion. Ornamente galten als Vergeudung von Material, Arbeitskraft und Kapital, so meinten damalige Stararchitekten – und vor allem in der Nachkriegszeit entwickelten sich daraus dann Häuser ganz ohne Eigenschaften.

          Wenn ein Gebäude quadratisch und praktisch sei, dann sei es auch gut, lautete das Credo der rationalen Baumeister. Und wir erleben derzeit die späte Fortsetzung davon: Der Spätrationalismus ist der Baustil des neuen Jahrtausends. Aber soll man den nun schön finden und es mögen, dass die Städte bald voller Riesenwürfel und Wohnklötze sind?

          „Radikale Ökonomisierung des Bauens“

          „Bitte nicht!“, stöhnen schon jetzt viele Bürger, Kulturkritiker und Makler allerorten. „Es ist weniger ein Stil, der sich da abzeichnet“, findet Architekt und Real-Estate-Manager Paul van der Kuil aus Berlin, „sondern vielmehr ein Prozess. Er ergibt sich daraus, dass sich die Auftraggeber und die Nutzer solcher Gebäude mehr und mehr voneinander entkoppeln.“ Die einen bauen aus ökonomischem Kalkül, da ist ihnen die Reduktion aufs Nötigste gerade recht – und vor allem billig. Die anderen schauen mit Gefühl auf solche Gebäude, es sind die Bewohner und Bürger, und die finden die scharfkantige Einfallslosigkeit sehr fremd. „Unambitioniert“ ist noch das harmloseste Wort der Betrachter für die Klotzarchitektur. Manche wünschen sich, dass solche „Wohn-Ungetüme“ bald wieder abgerissen werden, ähnlich wie die Plattenbauten oder Waschbetonsilos der sechziger und siebziger Jahre, die sich längst als Geschmacksverirrung herausgestellt haben. Andere sprechen von „Zombifikations-Urbanismus“. Sogar Verantwortliche der Wohnungswirtschaft sagen hinter vorgehaltener Hand: „Wir schaufeln uns städtebaulich unser eigenes Grab, wenn wir so weiterbauen.“

          Das ist offenbar die Mehrheitsmeinung, zumindest wenn man den wenigen Erhebungen glauben darf, die es zum Thema Baukultur gibt. Ein Online-Forum von Architekturfachleuten befragte vor einer Weile seine Mitglieder, ob das Land noch mehr Investorenarchitektur dieser Art brauche, und die Antwort fiel eindeutig aus: 79 Prozent der Antwortenden sagten „Nein!“ Die 21 Prozent Jasager begrüßten solche Bauten auch nicht gerade aus Gestaltungsgründen, sondern betonten nur, dass dringend Wohnungsbauinvestoren gebraucht würden. Wieso entstehen dennoch allerorts eintönige Neubauten, wenn sie doch niemand will?

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