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Illustrationen: Niels Blaesi

Städte gegen den Klimawandel

Von ANNE-CHRISTIN SIEVERS, BIRGIT OCHS und JUDITH LEMBKE
Illustrationen: Niels Blaesi

20. Oktober 2021 · Zwischen Tropennächten und Starkregen – die Folgen der Klimakrise sind auch in Deutschland immer stärker zu spüren. Und was tun die Städte? Sieben Beispiele.

Die Klimakrise hat Deutschland im Griff. Forscher sind sich einig: Extremwetterereignisse nehmen zu, und sie fallen immer heftiger aus. Jüngstes Beispiel war die Flutkatastrophe im Ahrtal.

Hitze
Hitze
Seitdem sind auch jene Städte alarmiert, die das Thema bisher weniger dringlich behandelt haben. Sie müssen sich so schnell wie möglich auf massive Folgen des Klimawandels vorbereiten und dazu Stadtentwicklung neu denken. Zumal ihnen mit Blick auf das Weltklima eine entscheidende Rolle zukommt. Mit etwa 75  Prozent verursachen die Städte einen Großteil der CO2-Emissionen, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung angibt.

Während etliche Kommunen die Situation noch analysieren, gehören für andere Anpassungsstrategien zum Planungsalltag. „Betroffenheit ist dafür ein starker Motivationsfaktor“, sagt Thomas Abeling vom Umweltbundesamt in Dessau.

Manche Städte treffen die Klimafolgen wegen ihrer speziellen Lage besonders hart: Karlsruhe, für das Klimaforscher bis 2100 ein Klima wie im Herzen Tunesiens voraussagen, hat vor allem mit der Hitze zu kämpfen, Hamburg und Bremen drohen durch den steigenden Meeresspiegel Hochwasser und Sturmfluten. Und Stuttgart, wo viele Häuser am Hang stehen, sieht sich mit der Gefahr von Sturzfluten durch Starkregen konfrontiert.
Dürre
Dürre
Es sind aber besonders die Großstädte, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Das größte Problem der deutschen Ballungsräume ist die Hitze. Im Sommer werden Innenstädte zu Wärmeinseln: Der asphaltierte Boden und die Betongebäude speichern Wärme und geben sie nachts nur langsam wieder ab, Automotoren und Industriebetriebe heizen zusätzlich auf. Die dichte Bebauung versperrt Frischluftschneisen. Grünflächen, Schatten spendende Bäume und Gewässer, die durch Verdunstung die Umgebung kühlen, fehlen vielerorts. Schon jetzt ist die Temperatur in einigen Innenstadtvierteln durchschnittlich um vier Grad höher als in den Außenbezirken, Tendenz steigend.

Wenn heiße Tage mit mehr als 30 Grad zunehmen, steigt die Zahl der Tropennächte. Das setzt vor allem alten und kranken Städtern zu. Im Sommer 2018 verzeichnete das Robert Koch-Institut allein in Berlin 490 hitzebedingte Todesfälle. Hinzu kommt die Dürre. In einigen Städten sind die Stadtbäume durch geringe Niederschläge bereits so massiv gefährdet, dass viele abzusterben drohen. Und an den Stadträndern steigt die Gefahr für Waldbrände.
Starkregen
Starkregen
Gehen Starkregen nieder, kann die Kanalisation die Massen selten fassen, binnen Kürze laufen Straßen und Keller voll. „Dieses Wasser nicht nur abzuleiten, sondern für trockene Perioden zu speichern, daran fehlt es in Deutschland noch besonders“, urteilt der Geograph Fabian Dosch vom Bundesamt für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Wie können wir klimaresilient neu bauen, und an welchen Stellen in der Stadt darf das überhaupt noch geschehen, an welchen muss vielleicht rückgebaut werden? Diese Fragen müssen viele Kommunen nicht zuletzt vor dem Hintergrund beantworten, dass vielerorts Wohnraum fehlt. Das führt zu einem Ziel- und Interessenkonflikt. „Es geht aber kein Weg daran vorbei, die bestehende Stadt weiterzubauen, Suburbanisierung ist keine Lösung“, sagt Dosch.
Versiegelte Böden
Versiegelte Böden
So setzt auch München, Deutschlands dichtest besiedelte Stadt, einerseits weiter auf Flächenrecycling andererseits auf die Rückeroberung versiegelter Böden für öffentliches Grün. „Wo im öffentlichen Raum mehr grün-blaue Infrastruktur entsteht, muss man an anderer Stelle Parkplätze oder Straßen einsparen“, sagt Darla Nickel von der Berliner Regenwasseragentur. Das erfordere auch eine Mobilitätswende. „Wir müssen vor dem Hintergrund der Klimakrise neu aushandeln, wie lebenswerte Städte aussehen sollen und wie wir uns darin fortbewegen wollen.“

Karlsruhe 

Gegen die Hitze

Die badische Großstadt ist Vorreiter. Bereits seit 2013 folgt sie einem Klima-Masterplan. Dafür wurde das Stadtgebiet analysiert und auf seine Problemzonen hin untersucht. Aus gutem Grund. Für die Region lautet die Prognose: Es wird so heiß wie in Nordafrika. Die Tigermücke, die das Zika- oder Dengue-Virus überträgt, ist schon da. Hitze und Dürre sind daher zwei Phänomene, auf die Karlsruhe besonders reagiert. Mehr als 80 Maßnahmen hat die Stadt definiert, dazu zählen Gründächer im Neubau, neue Wasserflächen und zusätzliche Trinkwasserbrunnen. Neuerdings gibt es zudem einen interaktiven Stadtplan für heiße Tage, der Orte zeigt, die weniger aufgeheizt sind. Klingt nicht spektakulär, soll es auch nicht. Karlsruhe setzt auf viele Stellschrauben. Auch weil der große klimagerechte Umbau der bestehenden Stadt kaum möglich ist. Neben den Gewerbegebieten sind Altbauviertel echte Hotspots. Dort in den Straßen Bäume zu pflanzen wäre effektiv. Doch aus der Erfahrung weiß man in Karlsruhe, das geht auf dem Papier einfacher als in der Realität. Unterm Pflaster liegen Rohre und Kabel, den Untergrund umzurüsten ist teuer. Eine Erkenntnis lautet daher: Synergien schaffen. Wenn die Straße im Zuge von Baumaßnahmen ohnehin aufgerissen wird, dann denkt man das Thema Stadtgrün am besten mit. Oder das Beispiel Rasengleise: Liegen die Gleise der Stadtbahn nicht mehr im Asphalt oder Schotterbett, ist das nicht nur gut fürs Stadtklima, sondern reduziert auch Lärm und steigert die Lebensqualität. „Bei uns haben mittlerweile alle Ämter das Thema auf dem Schirm“, sagt Julia Hackenbruch vom Amt für Umwelt und Arbeitsschutz. Das macht den Unterschied. 

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