https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wohnen/innenstadt-im-wandel-ideen-nach-der-corona-pandemie-17459285.html

Zukunftsstudie : Immer mehr Ideen beleben die Innenstadt

  • -Aktualisiert am

Umbau in Bremen: Die sonst vierspurige Martinistraße in der Innenstadt ist für den Verkehr gesperrt. Bild: dpa

Lastenräder per App, digitale Marktplätze und neue Aktionen: Innovationen sollen mehr Menschen ins Zentrum locken, zeigt eine neue Studie. Was hilft der Innenstadt?

          3 Min.

          Im Kern der Stadt hüpfen Kinder auf temporären Spielburgen. Andere streuen daneben Samen aus für die urbane Landwirtschaft, mit der das Gemüse nicht am Rand des Ballungsraums, sondern wie in London im Untergrund auf ungenutzten Bahnlinien wächst. Viele Wege führen in die Innenstadt, und das sind nur zwei der zahlreichen Möglichkeiten der künftigen Rolle. Um die Einkaufszone zu beleben, müssen sich Kommunen, Händler und Gastronomen jedenfalls weitaus mehr anstrengen, anderes ausprobieren und sich auch neu erfinden. Nicht jeder Laden wird wohl diesen Wandel überleben, der mit Internetbestellungen angefangen hat und den die Corona-Pandemie noch beschleunigt.

          Jan Hauser
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Um die Rolle des urbanen Zentrums sorgen sich deshalb Kommunen, Vermieter und Forscher. Wissenschaftler vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation haben nun die Lage der Innenstädte in Deutschland untersucht und weisen mit zahlreichen Beispielen Wege in die Zukunft. Temporäre Spielgeräte auf zen­tralen Plätzen und urbane Landwirtschaft mit dem britischen Vorbild sollen Abwechslung mit sich bringen, aber auch hybride Einzelhandelsangebote, Pop-up-Straßenlokale und virtuelle Stadtrundgänge die Einwohner anziehen. Die Studie zur „Zukunft der Innenstädte“ im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit liegt der F.A.Z. vorab vor und soll demnächst erscheinen.

          Sommer in Lüneburgs Fußgängerzone: Der Wandel in der Stadt bringt auch Platz für Neues mit sich.
          Sommer in Lüneburgs Fußgängerzone: Der Wandel in der Stadt bringt auch Platz für Neues mit sich. : Bild: dpa

          Gleich mehrere Herausforderungen sehen die Forscher: Wie passt sich der Einzelhandel der Digitalisierung an? Wie bleibt die Innenstadt erreichbar und geht mit steigenden Waren- und Lieferströmen um? Wie besteht ein lebhaftes Zen­trum mit Aufenthaltsqualität weiter? Die Autoren Patrick Ruess, Božana Vrhovac und Katharina Yoga fordern ein offenes Herangehen an den Wandel: „Die Zukunft der Innenstädte wird mehr denn je von Innovatoren bestimmt, die Neues wagen, Bestehendes weiterdenken und dieses geschickt mit lokalen Gegebenheiten verknüpfen. Daher ist es von Relevanz, in Kommunen Innovation zu ermöglichen und zu fördern.“

          Auch dem Klima soll das helfen

          Die Forscher schlagen vor, dass Städte ortsansässige Geschäfte und besonders kleinere Läden ins digitale Leben mitnehmen und wie Lippstadt lokale Angebote in Onlinemarktplätzen bündeln. Zudem können Kommunen einen „Business Improvement District“ einrichten: Die dortigen Einzelhändler und Grundstücksbesitzer verpflichten sich, freiwillig und gemeinsam den Standort aufzuwerten. Urbane Produktion und Landwirtschaft wie im Londoner Untergrund sollen mit kurzen Wegen helfen, Treibhausgasemissionen zu senken.

          Gleiches gilt für ein digital gestütztes Lieferzonenmanagement mit sensorbasierten Verkehrsschildern und Smartphone-App, mit der Lieferanten freie Parkplätze sehen und reservieren können. Elektrolastenräder könnten ebenfalls per App gebucht werden, um den Wechsel auf das Fahrrad zu erleichtern, was in Tübingen erprobt wird. Eine Chance liege darin, wenn mit Handwerk, Manufakturen, Wohnen und Kultur neue Nutzer in Immobilien ziehen, deren Mieter als Folge der Pandemie ihre Geschäfte dichtmachen mussten.

          Vorübergehendes Bewegungsangebot: In Bremen können sich Surfer an einer künstlichen Welle ausprobieren.
          Vorübergehendes Bewegungsangebot: In Bremen können sich Surfer an einer künstlichen Welle ausprobieren. : Bild: dpa

          Gerade kleinere und mittelgroße Kommunen sollten sich laut der Studie besser vermarkten, mehr in sozialen Netzwerken kommunizieren und wie die Stadt Bernau mit virtuellen Rundgängen das Zentrum erkunden lassen, in denen Geschäfte und Restaurants auftauchen sollten. Straßen und Plätze können mit Pop-up-Bewegungsangeboten, Spielplätzen oder Fitnessflächen den Erlebnischarakter der Innenstadt erhöhen. Die Gas­tronomie sollte Essen und Trinken öfter draußen anbieten und vorübergehend angrenzende Flächen zu Aktionstagen oder anderen Anlässen bewirtschaften.

          Doch eigentlich lockt die Innenstadt seit jeher Menschen schon mit mehr als Geschäften an. Selbst kleinere Gemeinden organisieren Umzüge, Feste und Konzerte. Jahrmarkt, Wochenmarkt, Flohmarkt: Ganz verschiedene Anlässe sollen den Umsatz in Läden, Restaurants und an Ständen beflügeln. Das versuchen einige Kommunen zu intensivieren. Hier müssen sich die Beteiligten wohl mehr einfallen lassen. Daher hat auch das Bundeswirtschaftsministerium in diesem Jahr mit Vertretern des Handels und der Kommunen Praxisbeispiele gesucht, die den Kern der Stadt stärken. Das reicht von virtuellen Erlebniswelten über Modepartys bis hin zu Gutscheinen und sollte meist den Einzelhandel stärken.

          Die Stuttgarter Wissenschaftler loben generell den Wert der Innenstadt, die meist das älteste Siedlungsgebiet ist und als Innovationsmotor dient. Sie seien jedoch schon immer einem kontinuierlichen Wandel unterworfen und die zuletzt verstärkt wahrgenommenen Herausforderungen Merkmale längerfristiger Prozesse. Einen Bedeutungsverlust brachte der Onlinehandel, der schon vor der Pandemie mehr als 10 Prozent des gesamten Umsatzes im deutschen Einzelhandel einstrich. Kleinere und mittlere Städte trifft Leerstand mehr als Großstädte. Außerdem ziehen Gastronomen öfter in ehemalige Ladenzeilen und auch Lebensmittelhändler zurück in die Zentren. So verliert der Einzelhandel mehr und mehr seiner städtischen Monopolstellung, halten die Autoren fest.

          Mehr als ein romantisiertes Relikt

          Viele Wege führen in die Zukunft. Die Autoren sehen zahlreiche Möglichkeiten für Innenstädte mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität, weil sie auch Raum für soziale Interaktion, Wertschöpfung und kreative Formate bereitstellen. „Städtische Zentren als pulsierende, markante und attraktive Anziehungspunkte für die Bewohnerschaft und die Besuchenden sind kein romantisiertes Relikt in einer globalisierten und vernetzten Gesellschaft, sondern ein Ausdruck dieser Gesellschaft in all ihrer Vielfalt.“ Im Idealfall macht der Wandel die Innenstadt besser.

          Weitere Themen

          „Eine Cola und einen Joint, bitte“

          Heute in Rhein-Main : „Eine Cola und einen Joint, bitte“

          Findige Frankfurter Unternehmer bereiten sich auf die Cannabis-Legalisierung vor. Medikamente werden in den Apotheken knapp. Und außerdem braucht es Konzepte für die Innenstädte von Morgen. Die F.A.Z.-Hauptwache blickt auf die Themen des Tages.

          Topmeldungen

          Joshua Kimmich im Interview : „Auf Strecke reicht das nicht“

          Der Führungsspieler der DFB-Elf sagt im Interview, was die Kapitänsbinde ihm bedeutet, wie das wiederholte Scheitern seiner Generation ihn plagt und was sich am Bewusstsein der Nationalspieler vor der Heim-EM ändern muss.
          Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) beim Stockacher Narrengericht im Februar

          Wolfgang Kubicki : Der FDP-Mann für die Attacken

          Wolfgang Kubicki ist für die FDP wichtiger denn je. Wo andere in der Regierung Kompromisse machen müssen, macht er Krawall. Aber nicht nur.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.