Wohnen unter der Erde
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Organisch: Die Erdhaussiedlung im Schweizer Dietikon gleicht riesigen Maulwurfshügeln. Bild: Vetsch Architektur
Tief hinein statt hoch hinaus: Menschen haben schon immer in Höhlen gelebt. Angesichts des Klimawandels könnte das Leben unter der Erde zur Wohnform der Zukunft werden.
Schlafen unter einem Dach aus Felsen, tief vergraben im Bergesinnern, umgeben von Tonnen Erde – was für den einen urgemütlich klingt, jagt dem anderen einen kalten Schauer über den Rücken. Höhlen gelten als Urbehausung des Menschen. Seit jeher üben sie eine magische Anziehung aus, sind Thema von Mythen, Sagen und Märchen, faszinieren und ängstigen zugleich. Bei manchen lösen sie Klaustrophobie aus und die Angst, lebend begraben zu sein. Bei Höhlen denkt man an nasse, kalte Steine und Moder, sie stehen für absolute Dunkelheit, Stille und Tod. Zugleich bieten Höhlen Schutz, Geborgenheit und Wärme, symbolisieren Fruchtbarkeit und erinnern an den Mutterleib. Sie weisen den Weg nach innen, zurück zum authentischen, natürlichen Selbst außerhalb gesellschaftlicher Konvention. „Die Menschen haben den Wunsch, in Verbindung mit der Natur zu wohnen“, sagt der Schweizer Architekt Peter Vetsch, der auch unter der Erde baut – doch dazu später. „Man fühlt, bewegt sich und denkt ganz anders, wenn man nicht in einen viereckigen Kasten gepresst, sondern umgeben von runden, organischen Formen lebt.“ Und sieht man sich die aktuelle Lage an, zwischen Pandemie, Krieg und Klimakrise, wer möchte sich da nicht manchmal vor der Welt in einer Höhle verkriechen?
Seit der Steinzeit haben Menschen zu allen Zeiten in vielen Gegenden der Welt in Höhlen gehaust. Und sie tun es noch immer, manche Familien seit Generationen: in Guadix in Spanien und Kandovan in Iran, im türkischen Kappadokien, im Tal der Loire in Frankreich oder auf den Kanarischen Inseln. Die Höhlenwohnungen entstanden häufig aus dem Abbau von Kalk- und Tuffstein oder wie auf Gran Canaria durch das Erkalten von Gasblasen in der Lava. Ihre Bewohner gestalteten sie in Handarbeit nach ihren Bedürfnissen und vergrößerten sie zu veritablen Wohnungen. Auch hierzulande, in Langenstein im Harzvorland, lassen sich fünf erhaltene Unterkünfte Deutschlands einziger Wohnhöhlensiedlung besichtigen. Tagelöhner hatten sie im 19. Jahrhundert mangels Geld und Material in den Fels geschlagen, der letzte Bewohner zog 1916 aus.
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