Stadtentwicklung : Homöopathie gegen Schrumpfung
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Ruhige Kugel: Die Innenstadt von Köthen/Sachsen-Anhalt Bild: IMAGO
Nirgendwo stehen so viele Wohnungen leer wie in Sachsen-Anhalt. Die Stadt Köthen setzt daher in der Stadtplanung auf ungewöhnliche Mittel.
Es war eine ungewöhnliche Fracht, mit der die kleine Barkasse „Suhr & Consorten 2“ vom Hamburger Hafen ablegte und elbaufwärts Richtung Magdeburg fuhr: medizinische Fachbücher aus dem 17. Jahrhundert, Handschriften und Skizzen, insgesamt 2000 historische Werke. Für den Hamburger Arzt Curt Kösters ist es „eine wahre Schatzkammer“. Kösters ist Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte und hat seinen „Schatz“ persönlich vom bisherigen Standort an der Hamburger Staatsbibliothek nach Sachsen-Anhalt begleitet.
Ziel der Reise war die Kleinstadt Köthen zwischen Magdeburg und Halle. Dort hat der Verein im Herbst in einem früheren Klosterspital der Barmherzigen Brüder die „Europäische Bibliothek für Homöopathie“ eröffnet - als Vorbote einer größeren Entwicklung: Köthen ist Modellstadt der Internationalen Bauausstellung (IBA) Stadtumbau in Sachsen-Anhalt. Im Rahmen der IBA wurde das verfallene klassizistische Spitalgebäude aufwendig saniert und für die Bibliothek und andere Nutzungen umgebaut. Vom kommenden Jahr an bietet die Universität Magdeburg hier einen Masterstudiengang für Homöopathie. Der Umbau des Spitals ist laut IBA-Projektleiterin Sonja Beeck nur ein Baustein eines umfassenderen Stadtumbauprojekts mit dem Titel „Homöopathie als Entwicklungskraft“.
Weiterer Rückgang
Im Jahr des Mauerfalls 1989 zählte die Stadt 33 000 Einwohner, heute sind es trotz zahlreicher Eingemeindungen 5000 Menschen weniger. Mittelfristig wird nochmals mit einem Rückgang in ähnlicher Größenordnung gerechnet. Das ist ein Problem in ganz Sachsen-Anhalt. Das Bundesland habe den stärksten Bevölkerungsschwund und den höchsten Wohnungsleerstand in Deutschland, wie IBA-Geschäftsführer Philipp Oswalt erläutert. Jede fünfte Wohnung steht leer. Neunzehn Städte in Sachsen-Anhalt nehmen an der Internationalen Bauausstellung teil, die ihren Sitz in Dessau am legendären Bauhaus hat. Dessen Direktor Philipp Oswalt ist deshalb auch Geschäftsführer der IBA.
Unter den Modellstädten sind Kleinstädte wie Köthen und Quedlinburg, aber auch die größten Städte des Landes Magdeburg, Halle und Dessau, das so stark geschrumpft ist, dass es 2007 mit seiner Nachbarstadt Roßlau fusionierte. Die Frage lautet: Wie organisiert man eine Stadtgesellschaft, deren Infrastruktur überdimensioniert und unbezahlbar geworden ist und in der die Bevölkerung keine Perspektiven sieht? Auf diese Fragen versuchen die Städte verschiedene, zum Teil außergewöhnliche Antworten zu geben. So verabschiedet man sich in Dessau-Roßlau vom kompakten Stadtkörper, reißt große Areale ab und lässt nur noch einzelne „Siedlungsinseln“ stehen. Aschersleben will systematisch von außen nach innen zurückbauen und sich auf den historischen Stadtkern konzentrieren.
Neue Wege
„Wir Planer können nur Wachstum“, sagt Sonja Beeck über ihren Berufsstand, „für Schrumpfung haben wir nichts im Instrumentenkasten.“ Also müssen neue Wege eingeschlagen werden. In Köthen ergaben sich neue Ansätze durch die Zusammenarbeit mit neuen Akteuren - der homöopathischen Ärzteschaft, für die die Stadt so etwas wie ein Wallfahrtsort ist: Direkt neben der neu eröffneten Bibliothek steht das Hahnemann-Haus, in dem der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, um 1830 gelebt und gearbeitet hat und in dem heute ein Museum untergebracht ist.
Zwei Welten prallten aufeinander, als Homöopathen und Stadtplaner 2004 erstmals zu Gesprächen in einer Arbeitsgruppe zusammenkamen. „Planer glauben an Zahlen und wollen am Anfang schon wissen, was am Ende rauskommt - Homöopathen begleiten dagegen offene Prozesse“, fasst Beeck die Unterschiede zusammen. Stand am Anfang nur die Idee, Homöopathie als Image- und Standortfaktor im Sinne des Stadtmarketings zu nutzen, ist daraus durch die gemeinsame Arbeit mehr entstanden: Einerseits entwickelt sich in Köthen das Thema Gesundheit und Gesundheitsbildung zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Andererseits werden inzwischen auch die homöopathischen Leit- und Lehrsätze von der „Ganzheitlichkeit“ und „Impulssetzung“ versuchsweise auf die Stadtplanung übertragen.