Leseraktion : Wie Nachbarn sich verzetteln
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Manche Nachbarn werden beste Freunde, andere entpuppen sich als Feind hinter der Thujahecke. Bild: Anna Gusella
Böse Briefe und Tritte gegen die Mülltonne: Was sich in einer Reihenhaussiedlung im Taunus zuträgt, könnte überall spielen. Erzählen auch Sie uns Geschichten aus der Nachbarschaft!
Im Sommer vor zweiunddreißig Jahren, als im Garten der Wildkirschenbaum prächtige rote Früchte trug, bezog das Ehepaar Schmidt, das eigentlich anders heißt, das Haus der verstorbenen Eltern in dem Mikrokosmos einer Reihenhaussiedlung im vorderen Taunus. Beide freuten sich auf ein künftiges Wohnerlebnis am Rande von Wiesen und Feldern inmitten der Natur und waren schon neugierig auf ihre Nachbarschaft.
Es waren keinerlei Hürden und keine Fallstricke vorhanden, die einem guten Verhältnis im Weg hätten stehen können. Die Tochter erwachsen, sie lebte auswärts, der Pflegehund ein braves, zurückhaltendes Tier, und das Ehepaar selbst bevorzugte lieber kleine Gästeeinladungen statt rauschender Partys. Zudem waren die Nachbarn zur Linken langjährige Freunde und die Nachbarn zur Rechten, ein pensionierter Richter mit seiner Frau, sympathische, verträgliche und überaus friedfertige Zeitgenossen.
Doch es dauerte genau eine Woche, bis Herr Schmidt einen handgeschriebenen Zettel in seinem Briefkasten vorfand. Eine Familie W., die an dem hinteren Privatweg wohnte, schrieb von den zermanschten Wildkirschen vom Baum der Eheleute Schmidt und von Vogelsch. . . und dass es eine Zumutung sei, dass dieser Dreck in ihren gepflegten Vorgarten und somit auch in ihr gepflegtes Haus getragen würde. Sie verlangten eine tägliche Reinigung – und dass der Kirschbaum gefällt werden müsse.
Die Sache mit dem Zettel war erst der Anfang
Nach dem ersten Schreck machten sich die Schmidts kundig über das Nachbarrecht in Hessen, 19. Auflage, und schrieben zurück, dass nach Paragraph 906 ff., Absatz 15 die „Beeinträchtigung“ durch vom Nachbargrundstück herüberfallende kleine Beeren oder Früchte eine ortsübliche und zumutbare Einwirkung sei, die toleriert werden müsse. Sie verwiesen auf entsprechende Gerichtsurteile und empfahlen Familie W., vor ihrem Grundstück öfter mal den Besen selbst in die Hand zu nehmen.
Man ahnt. Die Sache mit dem Zettel war erst der Anfang, es sollten Jahre vergehen und unzählige Briefe hin- und herwandern, bis die W.s ihr Haus verkauften und in eine andere Gegend zogen, der Wildkirschenbaum indessen weiter wuchs, blühte und rote Früchte trug, die die Amseln zu schätzen wussten.
Auch ein weiterer Nachbar machte dem Ehepaar Schmidt das Leben schwer. Ein pedantischer alleinstehender Rentner, der als Nörgler in der ganzen Reihe bekannt war und der mit dem Metermaß in der Hand die Efeuranken der Schmidts argwöhnisch belauerte, ob diese nicht bald seinen Balkon in Besitz nehmen würden.
Auch eine als freundlich empfundene Nachbarin vom Eckhaus wurde später entzaubert, als sie sich laut zeternd über die ihrer Meinung nach unordentlich platzierten Mülltonnen der Schmidts beschwerte und den Hindernissen einen kräftigen Tritt verpasste, weil die Tonne ihr beim Einparken die Sicht versperrten.
Die Zeit verging, viele Eigenheimbesitzer(innen) mieteten sich in Seniorenheimen ein, wurden alt, krank, pflegebedürftig oder starben.
Kinderjuchzen störte plötzlich niemanden mehr
Junge Familien mit kleinen Kindern wohnten jetzt in den Reihenhäusern und setzten auf eine erfrischende, andere Art Impulse einer Nachbarschaft. Kinderjuchzen störte plötzlich niemand mehr und auch keine Bratwurstdünste vom Grill und kein fröhliches Lachen nach 22 Uhr.