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Aufräumen als Familientherapie : Hempels auf der Couch

Wenn die Wohnung trotz Aufräumen nicht ordentlicher wird, stecken manchmal tieferliegende Gründe dahinter. Bild: Hero Images/F1online

Das Thema Aufräumen boomt – dabei richtet sich mancher aus gutem Grund in seiner Unordnung ein. Über Stellvertreterkriege um Geschirrberge, die Last privater Reliquien und Entrümpeln als Familientherapie.

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          Eine Wohnung, die blitzt und blinkt, in der alles seinen Platz hat und die Ordnung einer zwingenden Logik folgt, wer möchte das nicht? Aufräumgurus wie Marie Kondo mit ihrer „Konmari“-Methode oder Werner Küstenmacher mit seinem Bestseller „Simplify your life“ zeigen allen, die sich nach einem aufgeräumten Zuhause sehnen, wie man seine Unterwäsche und Handtücher so faltet, dass sie in kleine Boxen passen, oder wie man sich von Überflüssigem trennt.

          Anne-Christin Sievers
          Redakteurin im Ressort „Wohnen“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Viele Menschen sind darum bemüht, ihre vier Wände aufgeräumt und in Ordnung zu halten, und dennoch gelingt es mindestens genauso vielen nicht. Sie haben zu viele Sachen, die obendrein in der Wohnung keinen festen Ort finden. Das sorgt für Chaos und führt zum Dauerstreit um die Frage, wer wann und wo hier mal endlich Ordnung machen sollte.

          Den wenigsten kommt in den Sinn, dass die scheinbar störende Unordnung ihnen eigentlich ganz nützlich ist. Wie das? Gereiztheit hin, Genervtheit her: Unordnung im Haus kann eine unbewusste Strategie sein, um Reibungen zu vermeiden und Konflikte zu verbergen, die eigentlich hinter dem alltäglichen Gezeter über den nicht gemachten Abwasch, die dreckigen Wäscheberge oder den vollgestellten Keller liegen. Wer darüber zankt, hat ein Thema, über das er ohne große Folgen streiten kann.

          Sich zu weigern, in der eigenen Wohnung aufzuräumen, kann auch ein Weg sein, Konflikte auf eine verschobene Art auszuleben. Litt der Vater unter kontrollhaftem Ordnungszwang, der schon jede stehengelassene Tasse als Angriff auf sein Harmonieempfinden erscheinen ließ, mag sich das Kind, wenngleich längst erwachsen, absichtlich in der Unordnung eingerichtet haben. Als stiller Akt der Rebellion und um den Vater zu ärgern, der zwar gar nicht mehr anwesend ist, im eigenen Kopf aber umso präsenter.

          Ständig neue Baustellen

          Unabsichtlich und absichtlich zugleich verstellt man sich auch deshalb den Weg und den Blick mit Unterlagen, Dingen, Erinnerungsstücken, Spielzeug und Möbeln, weil eine klare Sicht unangenehme Wahrheiten zutage bringen würde und ein freier Weg dazu einlädt, ihn zu gehen und die Umstände zu verändern. Wer weiß, vielleicht verlässt mich meine Frau, wenn wir uns nicht mehr mit den Dingen um uns herum ablenken können und nach dem Aufräumen wirklich deutlich wird, wie unglücklich wir in dieser Beziehung sind? Vielleicht braucht das Kind die mütterliche Hilfe und damit die Mutter in ihrer bisherigen Rolle nicht mehr, wenn es seinen Haushalt selbst in Schuss halten kann?

          Räume geben einem Haus oder einer Wohnung Struktur. In einem Zimmer wird geschlafen, im anderen gearbeitet, im dritten gespielt. Räume haben auch eine symbolische Bedeutung und bringen Botschaften über die Beziehungen zueinander, das Zusammenleben zum Ausdruck, so etwa das gemeinsame Schlafzimmer der Eltern, die eben nicht nur Eltern, sondern auch Paar sind. Lässt sich diese Aufteilung durch die zunehmende Menge an Dingen und Chaos nicht mehr aufrechterhalten, so stellt das für die Beteiligten oft eine Grenzverletzung dar. Die Möglichkeit und Fähigkeit, den eigenen Raum abzugrenzen und damit auch die eigenen Interessen, Bedürfnisse und Persönlichkeit zu wahren, geht verloren. Stellt die Mutter, anstatt auszumisten, ihre Kleiderschränke ins Kinderzimmer, oder verteilt der Partner seine Hobby-Utensilien wie Angelzubehör oder alte Autoteile aufs ganze Haus, sagt das auch etwas darüber aus, was und wer im Haus wie viel Raum einnehmen darf und warum. Und wenn das Elternschlafzimmer zur Abstellkammer verkommt und das Ehebett unter Massen an Kinderspielzeug nicht mehr zu sehen ist, wird augenfällig, welcher Beschäftigung sich das Paar abends ganz sicher nicht mehr widmet – und vielleicht ist das gerade Sinn der Sache.

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