Kraftstoff: Brunnenkresse ist reich an Vitamin C, Eisen und Senföl. Bild: Jens Haentzschel
Der Brunnenkresse-Anbau hat in Erfurt seit fast 400 Jahren Tradition. Schon Napoleon schwärmte für das Gemüse aus der Domstadt. Doch lange war die Spezialität aus der Stadt verschwunden. Bis Ralf Fischer seine alte Familiengärtnerei wieder fit machte.
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Gärtnern als Balanceakt. Für Ralf Fischer gehört das zum beinahe täglichen Geschäft. Sobald er seine kleine Brunnenkresse-Anlage betritt, wird er zum Akrobaten, der auf den rutschigen und wackeligen Holzplanken unterwegs ist. Am Ziel angekommen, wird es nicht besser. Zentimeter für Zentimeter schiebt er sich kniend über die Bretter, die seine Welt bedeuten, und erntet mit scharfem Messer und routinierten Bewegungen die Kressebüschel. So hängt er minutenlang über dem Wasser und füllt seinen Korb mit einem wahren Superfood.
Brunnenkresse ist eine Vitaminbombe und hat im Hause Fischer Tradition. Schon die Großeltern und Eltern von Ralf Fischer waren auf den Klingen unterwegs, so heißen die künstlich angelegten Wasserläufe mit einem leichten Gefälle, damit das Wasser ohne Temperaturverlust durch die Anlage strömen kann. Im Fluss stecken Zigtausende Pflanzen, die von weitem grün leuchten. Fischer hat schon als Kind fleißig bei der Ernte mitgeholfen, er ist auch schon oft ins nur wenige Zentimeter flache Wasser gefallen. Heute ist der 67-Jährige zumindest in der Blumenstadt Erfurt der Letzte seiner Zunft, denn nur diese eine Klinge gibt es noch für ein Gemüse, das die Domstadt berühmt gemacht hat.
Seit 1630 wird hier nachweislich Brunnenkresse angebaut. Was sehr natürlich begann, wurde zunehmend professionalisiert und von immer mehr Gärtnereifamilien als guter Verdienst angesehen. Christian Reichart, der Universalgelehrte und Begründer des deutschen Gartenbaus, war es dann, der das Anbausystem perfektionierte. Als Sohn einer reichen Erfurter Familie kombinierte er die Wasserläufe für den Brunnenkresse-Anbau mit Dämmen für andere Gemüsesorten und sorgte somit für mehr Ertrag auf den Flächen und Feldern vor der Stadt.
Napoleon baut Brunnenkresse in Versailles an
Die würzige Kresse hat Jahre später einen großen Fürsprecher. Kaiser Napoleon Bonaparte war bei seinem Erfurter Aufenthalt 1808 so angetan von dem Kraut, dass er kurzerhand zwei Gärtner nach Versailles mitnahm, um dort Brunnenkresse nach Erfurter Vorbild anzubauen. In den 1960er Jahren war die Anbaufläche in Erfurt rund 20.000 Quadratmeter groß. Bis zu 44 Tonnen wurden damals geerntet. Brunnenkresse war rentabel, wurde selbst in der Pharmazie eingesetzt. Mit der Verstaatlichung vieler Betriebe und dem Weggang von Ralf Fischers Vater 1974 endete langsam der Anbau dieses Gemüses mit Tradition. Viele Klingen wurden zugeschüttet, andere liegen bis heute brach.
Dass es die grüne Spezialität wieder gibt, verdankt die Stadt der Initiative von Ralf Fischer, der nach der Rückübertragung der Fläche eine Klinge rekonstruierte und anfing, das Quellwasser mit Nasturtium officinale, wie der botanische Name der Brunnenkresse lautet, zu beleben. Der gelernte Elektriker erfüllte damit seinem Vater und seiner Großmutter einen Traum. Seither ist Ralf Fischer im Winter auf den Brettern unterwegs und erntet die vitaminreiche Spezialität. „500 Quadratmeter Klingenfläche ergeben keinen riesigen Verdienst, aber in guten Jahren ernten wir pro Quadratmeter drei bis vier Kilo Brunnenkresse“, sagt Ralf Fischer. „Das Gemüse hat eine Exklusivität und liegt je nach Saison bei knapp 30 Euro das Kilo.“ Zwischen sechs bis acht Kilo schneidet Fischer jede Woche. Das reicht für Stammkunden und Restaurants in der Region.