Im fürstlichen Grün
Von CHRISTA HASSELHORST16.08.2017 · Fürst Pückler ist berühmt für die gleichnamige Eiskreation. Doch die gestalteten Parklandschaften des selbsternannten Parkomanen sind mindestens so geschmackvoll.
S chöner lässt sich in diesem Sommer im Preußischen Arkadien nicht lustwandeln. Und eine spektakulärere Aussicht als im Park von Schloss Babelsberg in Potsdam gibt es auch nicht. Endlich ist aus dem lange vernachlässigten Stiefkind ein üppig blühendes Vorzeigestück geworden. Der Park prangt seit Beginn des Sommers in neuer, wiederhergestellter alter und unglaublich aufwendiger Pracht. Sein Gestalter, der exzentrische Fürst Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) dürfte sich lustvoll in seinem Tumulus rollen, der als See-Pyramide gestalteten Grabstätte im Branitzer Park.
Denn Babelsberg, der Sommersitz des preußischen Prinzen Wilhelm und seiner Gattin Prinzessin Augusta, ist so etwas wie das Herzstück der Schlösser und Parks von Berlin und Potsdam, seit 1990 Unesco-Welterbe. Es liegt geradezu ideal mit sich bis zu vierzig Meter erhebenden Anhöhen über der Havel, an der idyllischen Schnittstelle zwischen Berlin und Potsdam. Rund um das pittoreske Schloss schmiegt sich ein weitläufiger Park. Von ihm genießt man die berühmten Sichtachsen über die glitzernde Wasserfläche, auf die Silhouette Potsdams mit der Kuppel der Nikolai-Kirche, das Belvedere-Schloss auf dem Pfingstberg, dazwischen die Glienicker Brücke und direkt vis-à-vis das nächste Kleinod, Schloss und Park Glienicke, einst im Besitz von Wilhelms Bruder, Prinz Carl.
Dessen Park gestaltete der preußische Gartendirektor Peter Joseph Lenné (1789–1866). Er empfahl den Hohenzollern den gegenüberliegenden Babelsberg mit der heiter bewegten Topographie, getreu seinem Motto „Man muss stets Herr der Aussicht bleiben“. 1833 erhielt Carls Bruder Wilhelm den Babelsberg als Sommerresidenz. Nach Entwürfen von Preußens Stararchitekt Karl Friedrich Schinkel entstand das neogotische Schloss. Und Lenné, Sohn einer Bonner Gärtner-Dynastie mit profunder Ausbildung, seit 1816 am Preußischen Hof und Generaldirektor der Königlichen Gärten mit vielen erfolgreichen Projekten, wurde mit der Parkgestaltung beauftragt. Er legte ein elegantes Wegenetz an, schuf die Basis für den „Pleasureground“, jenen blumengeschmückten Bereich nah am Schloss, und modellierte die sich in anmutigen Wellen zur Havel erstreckenden Rasenflächen.
Doch was nützen alle schönen Pläne, wenn sie auf trockenem märkischen Sandboden realisiert werden müssen, es aber keine Bewässerung gibt? Dafür hatte Wilhelm kein Geld, also vertrockneten Büsche, Sträucher und Blumen. Der Prinz war nicht begeistert und setzte Preußens ruhmreichen Gartenkünstler, einen Bürgerlichen, vor die Tür.
Nach dem Tod Friedrich Wilhelms III. 1840 wird Wilhelm Thronfolger (von 1861 an König und 1871 Deutscher Kaiser), damit fließt auch mehr Geld in seine Schatulle. Pückler wittert seine Chance, mit einem 1842 verfassten „Promemoria“ übt er harsche Kritik an Lenné und empfiehlt sich als erfahrenen Gartengestalter. Mehr Selbstbewusstsein geht kaum: Gerade einen Park hat der Adelsspross bisher gestaltet, Muskau, seinen Privatbesitz, in dem er vollkommene Gestaltungsfreiheit hat. Doch mit Babelsberg, wo er zum „Dienstleister“ eines royalen Auftraggebers wird, geht es um eines der prestigeträchtigsten Werke der Zeit. Zudem bewegt sich der geltungssüchtige Dandy damit im Dunstkreis des Kronprinzenpaares. Das wiederum findet die Gesellschaft dieses schillernden Adelssprosses voller Esprit interessant. Pückler bekommt den Auftrag und triumphiert gleich doppelt über Lenné, eine pikante Volte des Schicksals: Der Park Glienicke hatte vor Prinz Carl dem Staatskanzler Karl August von Hardenberg gehört, ausgerechnet Pücklers Schwiegervater. Der engagierte 1816 doch tatsächlich den Bonner Neuling Lenné. Und nicht seinen zukünftigen Schwiegersohn Pückler. Von dem hielt er nicht viel, hatte dieser doch bislang mit Skandalen und Affären von sich reden gemacht, ein notorischer Frauenheld, Taugenichts, Luftikus. Nun, mehr als 25 Jahre später, darf Pückler also Babelsberg vollenden, an dem Lenné, der ewige Rivale, scheiterte. Der geniale Dilettant siegt über den erfahrenen Profi – letztlich wegen Wassermangels, welche Ironie.
Für die Perfektion des Parks wird ein mit Dampfmaschinen betriebenes Bewässerungssystem installiert, ohne zweckmäßige Bewässerung sei es „unmöglich, aus dem Sandberg frische Wiesen und üppigen Wald hervorzuzaubern“, warnt Pückler. In seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ notiert er: „Wasseranlagen erhöhen den Reiz in Gärten unendlich“, und so setzt er – wie auch in anderen Parks – dieses Element als romantisches Gestaltungsmittel ein. Er legt einen buchtenreichen See mit Inselchen, das „Schwarze Meer“, an, inszeniert malerische Bachläufe und einen künstlichen Wasserfall in die sanft hügelige Landschaft. Rund um das 1844 erweiterte Schloss setzt er Terrassen, die aufs kostbarste ausgeschmückt werden. Glanzstück ist die „Goldene Terrasse“ mit einer dreistöckigen Blumenfontäne: „Sie übersteigt meine kühnsten Erwartungen und ich finde daß wir dem Fürsten Pückler zu wahrem Dank verpflichtet sind. Der Hang hat endlich durch die Ausdehnung der Terrasse, auch den Schmuck derselben (...) so gewonnen“, berichtet Prinzessin Augusta im September 1845 nach ihrer Rückkehr auf Schloss Babelsberg. Lennés begonnenes Wegenetz entwickelt Pückler weiter mit feingliedrig gekurvten Fußwegen. Er modelliert das große Gelände subtil und strukturiert es mit zahlreichen, meist einheimischen Gehölzen. Pückler plaziert mit dem Park Babelsberg einen „kostbaren Edelstein“ in Lennés „Perlenkette“ eines großräumig gestalteten Arkadien.
Während Pückler noch in Babelsberg tätig ist, muss er 1845 Muskau – „Die Tat meines Lebens“ – verkaufen. Dort legte der talentierte Amateur auf 830 Hektar ererbtem Privatbesitz einen der größten Englischen Landschaftsparks, wenn auch längst nicht den ersten, in Deutschland an. Die Vorbilder hatte er sich, wie sein Konkurrent Lenné, bei einem England-Aufenthalt 1814 angeschaut, schließlich sprach das gesamte gebildete Europa von dieser neuen revolutionären Gartenmode. 36 (!) Parks begutachtet er in nur sechs Wochen, darunter Wilton, Blenheim und den berühmtesten, Stourhead in Wiltshire. Er vor allem soll Pückler für Muskau inspiriert haben. Anglophil und als „Parkomane“, so Pückler über sich, kehrt er heim. Und startet 1815 in Muskau sein gigantomanisches Parkprojekt, für dass er ganze Dorfstraßen großer Bäume ausgraben und, spektakulär, aber erfolgreich, mittels eines eigens konstruierten Wagens verpflanzen lässt. Typisch für den ungestümen Gartenkünstler. Muskau beschäftigt ihn viele Jahre, zwingt ihn jedoch letztendlich – generell lebt er stets über seine Verhältnisse – an den Rand des Ruins.
Heute ist die einzigartige Landschaftssymphonie annähernd in alter Pracht erlebbar und präsentiert sich wieder als grünes Gesamtkunstwerk. Das sogar Ländergrenzen überspannt, denn zwei Drittel liegen auf polnischer, ein Drittel auf deutscher, sächsischer Seite. Die Neiße ist zwar noch Grenzfluss, doch man kann entspannt über die wiedererbaute weiße Doppelbrücke oder die „Englische Brücke“ vom sächsischen in den polnischen Teil und zurück promenieren. Seit 2004 ist Pücklers grünes Vermächtnis – „wer Muskau gesehen, hat mir ins Herz gesehen“ – zum Unesco-Welterbe nobilitiert.
Mit diesem Titel kann sich Branitz in Brandenburg noch nicht schmücken, der Antrag dafür ist in Vorbereitung. Branitz ist die brillant verfeinerte Quintessenz von Muskau, gerade mal 100 Hektar groß. Aber virtuos und mit unglaublichem Elan gestaltet. Gerade in Muskau gescheitert, schwupp, setzt Pückler im Familienbesitz Branitz im Jahr 1847 noch mal alles auf Anfang. Mit 60 Jahren. Dazu in einem völlig pfannkuchenplatten sandigen Gelände. „Es ist nun mal meine Bestimmung, Sandwüsten in Oasen zu verwandeln“, fühlt er sich herausgefordert und legt sein nächstes „Naturgemälde“ quasi aus dem Nichts an. Wieder mit geschlängelten Bachläufen, zierlichen Brücken, Wechselspiel von lichten weiten Wiesen und schattigen Waldpartien, künstlichen Hügeln. Auch hier wird das Gelände wie eine Theaterlandschaft, ein dreidimensionales poetisches Gemälde mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund, arrangiert.
Die Matrix der Wege, die „stummen Führer“, leitet den Spaziergänger zu immer neuen Überraschungen wie dem „Mondberg“ und besonderen Aussichtspunkten. Gleich hinter dem Schloss erinnert eine Büste der Opernsängerin Henriette Sonntag inmitten einer luftigen Rosenlaube an eine Liaison des romantischen Casanovas. Bis heute erhalten ist die „Königswiese“, so genannt anlässlich des von Pückler jahrelang ersehnten eintägigen Besuches von Königin Augusta am 25. Juli 1864. Dazu schrieb sie an ihren Gemahl: „Reizend ist die Terrasse und der Schloß Garten mit der Wasserpartie.“ Sie sah auch das exaltierte Glanzstück inmitten eines Sees, jene 12,50 Meter hohe Pyramide, in der Pückler und Gattin Lucie später begraben wurden. Die letzte Provokation des Rebellen. Mit ihrer Spiegelung im Wasser ist sie bis heute ein überwältigender Anblick. Pückler bezeichnete Branitz als sein „Meisterstück“. Für Dieter Hennebo, Nestor der deutschen Gartengeschichte im 20. Jahrhundert, gilt Pückler als der „Vollender des klassischen deutschen Landschaftsgartens“.
Dennoch bleibt der passionierte Parkomane zeitlebens ein Getriebener, Rastloser. Mit Duellen, Spielschulden und jeder Menge Affären sorgt er für Furore in Europas Salons. Gleichzeitig verkehrt der geistreiche Unterhalter mit der intellektuellen Elite um Goethe, Heine und Humboldt. Gebrochene Frauenherzen pflastern seinen Weg, der zieht sich durch Europa über Nordafrika bis nach Ägypten. Vor Problemen flieht er durch neue Reisen und Abenteuer. Derweil führt daheim Lucie, die treue „Schnucke“, die Geschäfte, kümmert sich auch fachkundig um Park und Garten. Schreiben, Gärtnern, Frauen, Reisen sind die Fixpunkte seines Lebens. Die aus den Reisen resultierenden Bücher werden wider Erwarten zu Bestsellern wie seine amüsant-ironischen „Briefe eines Verstorbenen“. Ein treffsicheres Sittenpanorama der Englischen Oberschicht, dank Brexit gerade wieder sehr lesenswert.
Was kann man heute vom „Grünen Fürsten“ lernen? Wer hat schon noch Latifundien, um einen privaten Park in derartigen Dimensionen anzulegen? Da sind die ovalen Blumenbeete bessere Anregung, selbst für den kleinen Garten. In Babelsberg zücken die Besucher begeistert ihre Handys angesichts der mit Terrakotta-Ziegeln gefassten großen „Blumenkörbe“, Pücklers Markenzeichen. Die Bepflanzung ist bunt und nostalgisch: gelbe Wandelröschen, rote Begonien, blassblaue Bleiwurz-Hochstämmchen. Das hochaufragende Indische Blumenrohr, noch heute beliebter Hingucker, war schon zu Pücklers Zeiten begehrt wegen des tropischen Flairs.
Was bleibt, sind seine wenigen grandiosen Parks. Und, ach ja, das legendäre Eis. Ein pfiffiger Konditor aus Cottbus durfte seine Kreation nach dem berühmten Fürsten benennen. Tolles Marketing? Schon erstaunlich, dass mehr Menschen Pückler heute durch das Eis und nicht wegen seiner Parks kennen. Dabei haben sie einen Besuch mehr als verdient. Sie sind poetisch gestaltete Räume mit majestätischen Bäumen und köstlicher Stille – oder in Pücklers Worten „nie vollendete und immer werdende, lebendige Kunstwerke“. Sein Eis bekommt man dort auch, in Babelsberg lockt im Café der „Fürst-Pückler-Becher“, in Branitz serviert man es im „Kavaliershaus“, schwört auf „selbstgemacht nach Original-Rezept“. Gar nicht hipp, kein Chili oder Matcha, nur Vanille-Schokolade-Erdbeer. Klassisch – wie Pücklers Parkparadiese.
Park und Schloss Babelsberg, Potsdam, Brandenburg Ausstellung „Pückler-Babelsberg, Der Grüne Fürst und die Kaiserin“, bis 15.10.2017, www.spsg.de
Park und Schloss Branitz bei Cottbus, Brandenburg Ausstellung „Augusta von Preußen – die Königin zu Gast in Branitz“, bis 31.10.2017, www.pueckler-museum.de
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 16.08.2017 10:37 Uhr
